BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 - 5 C 28.07 - asyl.net: M13946
https://www.asyl.net/rsdb/M13946
Leitsatz:

Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag nach § 25 Abs. 1 StAG nur, wenn ihm der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, deutsche Staatsangehörigkeit, Verlust, Antragserwerb, Einbürgerung, Kenntnis, Kennenmüssen, Entziehung
Normen: StAG § 25 Abs. 1; RuStAG § 25 Abs. 1; GG Art. 16 Abs. 1
Auszüge:

Die Revision der Kläger ist begründet.

Die Berufungsentscheidung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 RuStAG (in der hier maßgeblichen und noch anzuwendenden Fassung vom 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618), der im vorliegenden Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 StAG (in der heute gültigen Fassung vom 19. August 2007, BGBl I 1970) übereinstimmt, auch dann eintreten kann, wenn der deutsche Staatsangehörige zum Zeitpunkt des Antragserwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit keine Kenntnis davon gehabt hat, Deutscher zu sein. § 25 Abs. 1 RuStAG ist ebenso wie heute nach § 25 Abs. 1 StAG auf derartige Fallgestaltungen nicht anwendbar.

§ 25 Abs. 1 StAG (und ebenso bereits § 25 Abs. 1 RuStAG) ordnen für den Fall des Antragserwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht bedingungslos an, sondern enthalten einschränkende Voraussetzungen.

a) Bereits der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG enthält mit dem Verweis auf § 19 StAG eine bedeutsame Einschränkung.

b) In einem engen Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 RuStAG/StAG hat der Gesetzgeber seit jeher den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch Antragserwerb einer anderen Staatsangehörigkeit für denjenigen ausgeschlossen, der "vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat" (§ 25 Abs. 2 Satz 1 StAG). Darin kommt zum einen zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber schon immer eine Doppelstaatsangehörigkeit nicht ausnahmslos ausgeschlossen, sondern im Einzelfall die Hinnahme mehrfacher Staatsangehörigkeit ermöglicht hat.

Auch die Möglichkeit, eine Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen, setzt zum anderen stillschweigend voraus, dass der Betroffene seine deutsche Staatsangehörigkeit kennt. Nur dann kann er eine Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 Satz 1 StAG beantragen, um sich vor dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu schützen oder im Falle der Ablehnung der Beibehaltungsgenehmigung seinen Schritt noch einmal zu überdenken.

c) Für die Rechtslage nach § 25 StAG gilt nichts anderes.

d) Auch wenn der Verweis auf § 19 StAG und das Institut der Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 StAG die Auslegung des § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG/StAG nahelegt, dass der gesetzliche Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit die Kenntnis von ihrem Besitz voraussetzt, bleibt die bisherige ständige Rechtsprechung zu den objektiven Anforderungen der Bestimmung im Übrigen unberührt. Die Anwendung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG ist danach nicht ausgeschlossen, wenn dem deutschen Staatsangehörigen zwar seine deutsche Staatsangehörigkeit, nicht aber die Rechtsfolgen seines Handelns im Falle des Antragserwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit bekannt waren oder wenn er diese Rechtsfolge nicht bedacht hat oder nicht wollte oder wenn er die mit seinem Handeln objektiv verbundene Hinwendung zu einer fremden und Abwendung von seiner deutschen Staatsangehörigkeit subjektiv nicht bezweckte (vgl. Beschluss vom 13. Oktober 2000 BVerwG 1 B 53.00 Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11 und Urteil vom 21. Mai 1985 BVerwG 1 C 12.84 Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr. 5).

e) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ist schließlich der Hinweis auf die Möglichkeit der Wiedereinbürgerung nach § 13 StAG nicht geeignet in Frage zu stellen, dass die Rechtsfolge des automatisch kraft Gesetzes eintretenden Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG deren Kenntnis bei dem Handelnden voraussetzt. Das ergibt sich für die Klägerin zu 1 (und ggf. den Kläger zu 2, s.u. 4.) schon daraus, dass nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag die Ermessenspraxis des Beklagten in Fällen der vorliegenden Art eine Wiedereinbürgerung nach einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG ausnahmslos nicht zulässt.

3. § 25 Abs. 1 StAG ist danach entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auf den Fall der Klägerin zu 1 nur anwendbar, wenn feststeht, dass ihr bei dem festgestellten Antragserwerb der russischen Staatsangehörigkeit im Jahre 1995 eine damals etwa bestehende bisher nur vom Verwaltungsgericht bejahte, vom Oberverwaltungsgericht lediglich unterstellte deutsche Staatsangehörigkeit nach ihrem Vater bekannt war oder Grund für die Annahme besteht, ihr hätte die deutsche Staatsangehörigkeit bekannt sein müssen. Nur dann kann auch davon ausgegangen werden, dass der Antrag auf Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit objektiv die die gesetzliche Verlustfolge legitimierende - selbstverantwortliche Entscheidung für die Hinwendung zu einer fremden (hier: russischen) Staatsangehörigkeit zum Ausdruck gebracht hat. Fehlte es der Klägerin hingegen an jeglichem Bewusstsein, deutsche Staatsangehörige zu sein, ist § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG (RuStAG) auf den Antragserwerb im Jahre 1995 nicht anwendbar. Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich auch aus den grundrechtlichen Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 GG an die gesetzliche Ausgestaltung von Verlustgründen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die gesetzliche Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG (§ 25 Abs. 1 RuStAG), die den Verlust der Staatsangehörigkeit an den freiwilligen, antragsgemäßen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit knüpft, verfassungsrechtlich grundsätzlich bedenkenfrei (BVerfG, Kammer-Beschluss vom 8. Dezember 2006 2 BvR 1339/06 InfAuslR 2007, 162 Rn. 12 f. unter Bezugnahme auf das Urteil vom 24. Mai 2006 2 BvR 669/04 BVerfGE 116, 24 44>; vgl. auch BVerfG, Kammer-Beschluss vom 10. August 2001 2 BvR 2101/00 NVwZ 2001, 1393). Eine nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit ist danach jede, aber auch nur die Verlustzufügung, welche die für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus liegt insbesondere in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann (vgl. a.a.O. BVerfGE 116, 24 44>). Zur Verlässlichkeit des grundrechtlich geschützten Staatsangehörigkeitsstatus gehört danach auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen (BVerfG a.a.O. S. 45).

b) Mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wäre es nicht vereinbar, § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG (§ 25 Abs. 1 RuStAG) auch auf einen Fall wie den der Klägerin zu 1 anzuwenden, der nach den bisher getroffenen und für das vorliegende Verfahren bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts der (unterstellte) Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit nicht bekannt und bewusst gewesen ist und der ihnen nach den gesamten Umständen des vorliegenden Falles auch nicht bekannt sein musste.

Die Kenntnis von der deutschen Staatsangehörigkeit ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses selbstverantwortlich darüber bestimmen zu können, dass mit der Entscheidung für den antragsabhängigen Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit die daran geknüpfte gesetzliche Rechtsfolge des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt. In den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG fällt auch die dem Einzelnen nicht bekannte und von ihm nicht "gelebte" Staatsangehörigkeit. Dies schließt es von Verfassungs wegen allerdings nicht aus, dass der Gesetzgeber den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch den antragsabhängigen Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit auch für Fälle vorsieht, in denen die deutsche Staatsangehörigkeit dem Einzelnen nicht bekannt ist. Dies bedarf jedoch einer eindeutigen, die öffentlichen und privaten Interessen ausgleichenden gesetzlichen Regelung, wie sie § 25 StAG nach den Ausführungen unter 1. bereits im Wege der Auslegung des einfachen Rechts gerade nicht enthält.