VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 18.07.2008 - AN 19 K 08.30051 - asyl.net: M13976
https://www.asyl.net/rsdb/M13976
Leitsatz:

Bejaht das Bundesamt das Fortbestehen des Schutzbedürfnisses eines Asylberechtigten oder anerkannten Flüchtlings, ist ein späterer Widerruf der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung gem. § 73 Abs. 2 a AsylVfG nur auf dem Ermessenswege möglich.

 

Schlagwörter: Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Asylanerkennung, Ermessen, Altfälle, Übergangsregelung, Mitteilung, Ausländerbehörde, Einbürgerungsbehörde
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a
Auszüge:

Bejaht das Bundesamt das Fortbestehen des Schutzbedürfnisses eines Asylberechtigten oder anerkannten Flüchtlings, ist ein späterer Widerruf der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung gem. § 73 Abs. 2 a AsylVfG nur auf dem Ermessenswege möglich.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 23. Januar 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger auch in seinen Rechten, was sowohl für den erfolgten Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter gilt als auch für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und für die Versagung von Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthG. [...]

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hat das Bundesamt eine Anerkennung als Asylberechtigter und ebenso eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Die Widerrufspflicht gilt auch hinsichtlich einer nicht nach dem Aufenthaltsgesetz, sondern nach früherem Recht getroffenen Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04). Dazu bestimmt die mit Geltung ab 1. Januar 2005 neu eingefügte Vorschrift des § 73 Abs. 2 a AsylVfG, dass die Prüfung etwaigen Widerrufs spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der (Anerkennungs-)Entscheidung zu erfolgen hat und bei nicht erfolgendem Widerruf (bzw. Rücknahme) eine spätere Widerrufsentscheidung (nach § 73 Abs. 1 AsylVfG) im Ermessen steht. Hinsichtlich der "Prüffrist" ist zwischenzeitlich vom Gesetzgeber durch § 73 Abs. 7 AsylVfG (in der Neufassung durch das Gesetz vom 19. August 2007) eine Übergangsregelung getroffen worden.

Vorliegend fehlt es an der dem Bundesamt aufgegebenen Ausübung von Ermessen im Rahmen der getroffenen Widerrufsentscheidungen, womit der angegriffene Verwaltungsakt - entsprechend nachstehenden Ausführungen insgesamt - aufzuheben war, zumal ein derartiger Rechtsfehler auch nicht heilbar ist und das Bundesamt zudem das Vorliegen eines "Ermessensfalls" bestreitet, mithin - aus seiner Sicht konsequent - auch nicht im Nachhinein noch Ermessen ausgeübt hat.

Vorweg ist zum Fall des Klägers zu bemerken, dass die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes unter Geltung von § 73 Abs. 2 a AsylVfG erfolgt ist und hier gut drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Vorschrift bzw. im letzten Kalenderjahr, während dessen Laufs eine Prüfung nach § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG spätestens erfolgen muss. Mit der auch für die gerichtliche Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen aktuellen Rechtslage (hier: § 73 Abs. 7 AsylVfG) ist geklärt, dass der Anwendung des § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG nicht der Umstand entgegensteht, dass - wie hier vorliegend - die Entscheidung über den Asylantrag bereits vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist (vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 72 Abs. 7 AsylVfG das Urteil des BVerwG vom 20.3.2007 - 1 C 21.06). Im Streit steht vorliegend ernsthaft nur die Frage, ob die im Fall des Klägers erfolgte Sachbehandlung durch das Bundesamt als "Negativentscheidung" (Terminologie des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 20.3.2007) zu erachten ist, welche zwingend bei einer späteren Entscheidung die Ausübung von Ermessen gebietet, oder ob die Sachbearbeitung beim Bundesamt die Rechtsfolge nach § 73 Abs. 2 a Satz 4 AsylVfG für das nunmehrige Widerrufsverfahren nicht auszulösen vermochte.

Die Bewertung der (sogar mehrfachen) Prüfungen durch das Bundesamt ergibt hier, dass es sich um Prüfungen gehandelt hat, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Abs. 1 von § 73 AsylVfG vorliegen (Terminologie von Abs. 2 a) bzw. um Prüfungen, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch vorliegen (Terminologie des Abs. 1 von § 73 AsylVfG). Vorweg sei hier noch bemerkt, dass es sich sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem offenbaren Sinn des Gesetzes bei der Mitteilung des Ergebnisses einer entsprechenden Prüfung an die Ausländerbehörde (§ 73 Abs. 2 a Satz 2 AsylVfG) nicht um eine Voraussetzung für die vorgesehene Rechtsfolge (Ermessensausübung) handelt, sondern um eine weitere Rechtsfolge einer Widerrufsprüfung, womit eine entsprechende Unterlassung nichts an der Rechtsfolge des Gebots zur Ausübung von Ermessen zu ändern vermag. Vorliegend erfolgten im Übrigen - sogar mehrere - Mitteilungen an die Staatsangehörigkeitsbehörden, wobei diese im Grunde - und auch hier - mit den Ausländerbehörden identisch sind und im Übrigen das Bundesamt seine Mitteilung vom 29. August 2005 an das Landratsamt Augsburg als Mitteilung an die "zuständige Ausländerbehörde" verstand (s. Telefax des Bundesamtes vom 31.8.2005 an den damals Bevollmächtigten des Klägers).

Das Bundesamt kann sich nicht darauf berufen, dass die von ihm vorgenommenen Prüfungen nicht die Rechtsfolge nach § 73 Abs. 2 a Satz 4 AsylVfG nach sich gezogen haben. Der Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolgen kann selbstverständlich nicht - wie allerdings vom Bundesamt nicht behauptet - im Belieben des Bundesamtes liegen. Das Bundesamt hat allerdings dahingehend argumentiert, dass hier keine Prüfung erfolgt sei, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG vorliegen. Mithin soll es nach Auffassung des Bundesamtes letztlich auch Prüfungen ("nur") dahingehend geben, dass ein Widerrufsverfahren wegen "weiterhin bestehenden berechtigten Schutzinteresses" nicht durchgeführt wird, wobei eine solche Aussage ja nur bei Kenntnis der Asylakten erfolgen kann und vor dem Hintergrund gesehen werden muss, dass das Bundesamt im Asylverfahren zuerkannten Schutz bei Wegfall der politischen Verfolgung zwingend zu widerrufen hat. Damit verbietet es sich, ein - wie auch immer begründetes - Schutzinteresse zu bejahen und aber gleichzeitig eine "Negativentscheidung" zu verneinen. Nichts anderes hat das Bundesamt aber getan, wenn es auf mehrfache Anfragen und unter Hinweis auf die Bedeutung des Weiterbestehens der früher festgestellten politischen Verfolgung die Asylakten prüft und letztlich nach Außen antwortet, dass es bei der Anerkennung als Asylberechtigter und bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verbleibt. [...]

Die Verfahrensweise des Bundesamtes kann auch nicht etwa deswegen rechtlich anders als geschehen bewertet werden, weil der Beibehaltung des Schutzstatus für den Kläger Zweckmäßigkeitserwägungen und Prioritätserwägungen, zu Grunde gelegen hätten, wie es in der mündlichen Verhandlung ausgeführt worden ist. Dem Bundesamt hätte es freigestanden, hier z.B. die Durchführung eines Widerrufsverfahrens in der Reihenfolge vor dem womöglichen Hintergrund zurückzustellen, dass eine Prüfung noch weiter bestehender Schutzbedürftigkeit zurzeit noch bei vielen politischen Flüchtlingen ansteht. Bei der hier vorliegenden Konstellation ausdrücklich erklärten Festhaltens an der Anerkennung kann allerdings in sich letztlich geradezu aufdrängender Weise nur davon ausgegangen werden, dass das Bundesamt eine politische Verfolgung des Klägers als nach wie vor gegeben angesehen hat, auch wenn dies hier schon damals wohl nicht mehr der Fall war.

Nach alledem sind in der Sachbearbeitung beim Bundesamt Prüfungen dahingehend zu erkennen, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht vorliegen bzw. nach entsprechender Prüfung ist ein Widerruf nicht erfolgt, womit die streitgegenständliche Widerrufsentscheidung vom 23. Januar 2008 nur im Weg der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens hätte erfolgen dürfen. Da dieses Ermessen nicht ausgeübt wurde, liegt ein Rechtsfehler vor, der zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung zunächst insoweit führt, als das Bundesamt die ehedem erfolgte Anerkennung als Asylberechtigter und weiterhin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen hat. [...]