Keine extreme Gefahrenlage wegen Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul für Rückkehrer, der aus Kabul stammt; Art. 15 Bst. c Qualifikationsrichtlinie setzt voraus, dass eine besondere Betroffenheit durch einen bewaffneten Konflikt dargelegt wird (hier verneint für Rückkehrer nach Kabul).
Keine extreme Gefahrenlage wegen Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul für Rückkehrer, der aus Kabul stammt; Art. 15 Bst. c Qualifikationsrichtlinie setzt voraus, dass eine besondere Betroffenheit durch einen bewaffneten Konflikt dargelegt wird (hier verneint für Rückkehrer nach Kabul).
(Leitsatz der Redaktion)
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
1. Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz) besteht zu Gunsten des Klägers kein Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Die Feststellung eines Abschiebungsverbots i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann der Kläger auch nicht wegen allgemeiner Gefahren beanspruchen. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine solche Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr), seit mit Erlass des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz vom 22. Juli 2005, der dementsprechende Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder umsetzt, "volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (24. Juni 2005) noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufhalten", "mit Vorrang zurückzuführen sind". Diese Sperrwirkung des 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift hier ein, ohne dass sie aus verfassungsrechtlichen Gründen einzuschränken ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den früheren Regelungen der §§ 53 Abs. 6, 54 des Ausländergesetzes - AuslG - über den Abschiebungsschutz bei sogenannten allgemeinen Gefahren (vgl. BVerwG, 1 C 2.01, BVerwGE 114, 349), an der das Bundesverwaltungsgericht festhält (BVerwG, 10 B 47.07, juris), ist die verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 AufenthG nur gerechtfertigt, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit (BVerwG, 1 B 291 03, juris) mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen allgemeinen Gefahr dergestalt begegnen würde, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG zur Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, vgl. etwa 1 B 132.04, juris).
a) Der Kläger wäre im Falle einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan wegen der dort herrschenden Sicherheitslage zwar Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Diese Bedrohung erreicht aber nicht den hohen Wahrscheinlichkeitsgrad einer extremen allgemeinen Gefahr.
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist einmal durch militärische Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Kräften einerseits sowie afghanischen und internationalen Truppen andererseits beeinträchtigt, aber auch durch politisch motivierte und/oder kriminelle Gewaltanwendung. Während im Süden und Osten des Landes Aktivitäten regierungsfeindlicher Kräfte die primäre Sicherheitsbedrohung darstellen, sind es in anderen Teilen Afghanistans Rivalitäten lokaler Machthaber oder Milizenführer sowie die zunehmende Kriminalität, die die Sicherheit der Bewohner bedrohen.
Eine solche extreme Gefahr kann für den Kläger nicht angenommen werden, obwohl sich nach dessen Angaben gegenwärtig keines seiner Familienmitglieder in Kabul aufhält und er derzeit auch keinen Kontakt zu anderen Personen in seiner Heimat unterhält. Der Kläger hat aber aufgrund seiner Mittelschulbildung, seiner früheren Tätigkeit im Handelsgeschäft seines Vaters und seiner Ortskenntnisse die Möglichkeit, sich nach seiner Rückkehr in sein früheres Wohnumfeld in Kabul bzw. seinen Bekanntenkreis zu begeben, um sich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren. Sein im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt angegebener früherer Wohnbezirk gehört nicht zu denjenigen, die als unsicher zu betrachten sind. Der UNHCR stuft in seinem Bericht "Die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf die Gewährung ergänzenden Schutzes" vom 25. Februar 2008 von den insgesamt 15 Bezirken Kabuls nur die Distrikte Sarobi, Paghman, Khak-e-Jabar, Musahi und Charasyab als unsicher ein.
Damit übereinstimmend beurteilen auch andere Obergerichte die Sicherheitslage in Afghanistan nicht als so kritisch, dass jeder in sein Heimatland zurückkehrende und nach Kabul gelangende Afghane berechtigter Weise die Sorge haben muss, Opfer eines Übergriffs oder Anschlags zu werden oder in sonstiger Weise von rivalisierenden ethnischen, religiösen oder sonst motivierten Gruppen oder Banden in seinem Leben oder seiner Unversehrtheit geschädigt zu werden (vgl. HessVGH, 8 UE 1913/06.A, juris; OVG N-W, 20 A 5164104.A, juris; 20 A 4676106.A, juris; SächsOVG, A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris: OVG B-B, 12 B 9.05, juris; 12 B 11.05, juris).
b) Der Kläger würde durch eine Abschiebung nach Afghanistan auch nicht mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert (BVerwG, 9 B 617/98, NVwZ 1999, 668) oder in einen unausweichlichen lebensbedrohlichen pathologischen Zustand geraten.
Das kann allerdings nicht aus den Darlegungen von Herrn Georg David, der während einer Beurlaubung als Beamter der Beklagten im Rahmen des Rückkehrerprogramms "Return, Reception and Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" in Kabul bis zum 22. Mai 2006 tätig war und wegen dieser Tätigkeit von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 24. März 2006 als sachverständiger Zeuge vernommen worden ist, gefolgert werden. Denn das RANA-Programm ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof Ende April 2007 ausgelaufen.
Aus der Zusammenschau dieser Erkenntnisse ergibt sich, dass der Kläger im Rückkehrfall nicht verelenden würde, sondern das zum Leben Notwendige voraussichtlich auch ohne die Unterstützung von Verwandten erlangen könnte. Der Kläger kann sich in Kabul, seiner Heimatstadt, niederlassen und nach einer Eingewöhnungsphase selbständig tätig werden oder sich um eine Arbeitsstelle als Koch bemühen. Dabei würden ihm seine neunjährige Schulbildung, seine Erfahrungen im Handelsgeschäft seines Vaters, seine Ortskenntnisse in seinem früheren sozialen Umfeld in Kabul, seine Ausbildung zum Koch auch für asiatische Spezialitäten im Imbiss-Service seines Bruders sowie die dort erworbenen Kenntnisse wirtschaftlicher Betriebsführung von Nutzen sein.
2. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, 10 C 42.07) entschieden, dass der subsidiäre Abschiebungsschutz keinen landesweiten (innerstaatlichen) bewaffneten Konflikt voraussetzt. Dennoch kann der Kläger Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG selbst dann nicht beanspruchen, wenn man die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und ISAF-Truppen einerseits sowie Talibangruppen und anderen regierungsfeindlichen Kräften andererseits als innerstaatlichen bewaffneten Konflikt versteht (vgl. OVG S-H, 2 LB 38/07, juris). Denn die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG führt dazu, dass nur im Falle extremer Gefahr Abschiebungsschutz eingreift (vgl. HessVGH, 8 UE 1913/06.A, juris). Dass davon auch hinsichtlich der in Afghanistan herrschenden Sicherheitssituation nicht gesprochen werden kann, ist bereits unter 1. a) ausgeführt worden. Die dort dargestellten Beeinträchtigungen der Sicherheit für die Zivilbevölkerung beruhen in Kabul zudem nicht hauptsächlich auf den erwähnten bewaffneten Auseinandersetzungen.
3. Dem Kläger kann auch kein subsidiärer Schutz unmittelbar aufgrund des Gemeinschaftsrechts zustehen, selbst wenn man annimmt, die Vorschriften der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29. April 2004 - EGRL 2004/83 - seien hinsichtlich des subsidiären Schutzes nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt worden. Auch eine unmittelbare Anwendung der Art. 2 Buchst. e, 15 Buchst. c EGRL 2004/83 vermittelt dem Kläger keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz setzt nach diesen Bestimmungen u.a. voraus, dass stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass bei einer Rückkehr die tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, beispielsweise in eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu geraten. Zwar muss dieser bewaffnete Konflikt nicht landesweit bestehen (BVerwG, 10 C 42.07). Art. 15 Buchst. c EGRL 2004/83 lässt aber grundsätzlich keine allgemeine Bedrohung für den subsidiären Flüchtlingsschutz genügen, sondern verlangt eine individuelle Bedrohung (vgl. hierzu auch BVerwG, 1 B 217/06, juris), die die Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ist. Gefahren, die auf unterschiedslos wirkender, nicht auf eine bestimmte Person gerichteter Waffengewalt beruhen, sind jedoch typischerweise allgemeine Bedrohungen (so auch Funke-Kaiser, InfAuslR 2008, 90 [93]). Ob sie deshalb mit Rücksicht auf den 26. Erwägungsgrund der EGRL 2004/83 keine individuelle Bedrohung sind, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre (vgl. hierzu VGH B-W, A 2 S 229/07, NVwZ 2008, 447, juris; OVG S-H, 1 LA 125/06, juris), bedarf keiner weiteren Erörterung. Denn eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit können allgemeine Gefahren nur darstellen, wenn stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 2 Buchst. e EGRL 2004/83 für die Annahme vorgebracht werden, dass bei einer Rückkehr die tatsächliche Gefahr besteht, von dieser willkürlichen Gewalt betroffen zu werden. Der Betroffene muss darlegen, "dass er eine begründete Angst um sein Leben hat, wenngleich die Gründe für diese Angst nicht personenspezifisch sind" (Müller, ASYLMAGAZIN 2008, 4 (8) unter Hinweis auf die Begründung der Kommission zum Richtlinien-Entwurf KOM (2001) 510). Marx (InfAuslR 2007, 413 [424]) hält diese Darlegungspflicht für erfüllt, wenn der Antragsteller Umstände bezeichnen kann, wonach die Gewalthandlungen wahllos jeden Angehörigen der Zivilbevölkerung in seiner Heimatregion treffen können.
Hailbronner (ZAR 2008, 209 [214 f]) hält besondere Merkmale, die die einzelne Zivilperson als potentielles Opfer willkürlicher Gewalt kennzeichnen, sowie das Ausmaß des generellen Verlustes an Schutz für die Gruppe, der der Betroffene angehört, für entscheidend.
An einer solchen Darlegung individueller Gründe fehlt es hier jedoch. Abgesehen davon, dass in Kabul die Folgen willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts - wie ausgeführt - nicht im Vordergrund der Bedrohung der Zivilbevölkerung stehen, hat der Kläger auch selbst nichts vorgetragen, aus dem sich eine ernsthafte individuelle Gefahr für ihn ergibt, im Rückkehrfall Opfer der willkürlichen (wahllosen) Waffenwirkung im Rahmen des kriegerischen Konflikts in seinem Heimatland zu werden. Dass er - wie es im Folgeantrag heißt - vor dem Verlassen Afghanistans mit den Taliban verfeindet war, lässt nicht den Schluss zu, er werde bei seiner Rückkehr in eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts geraten.