VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 27.08.2008 - 1 A 78/08 - asyl.net: M14009
https://www.asyl.net/rsdb/M14009
Leitsatz:

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG setzt den Nachweis über den regelmäßigen Schulbesuch nicht nur in einem Schuljahr sondern kontinuierlich während der Schullaufbahn voraus. Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis bei Straftaten des getrennt lebenden Ehemanns/Vaters.

 

Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, Aufenthaltserlaubnis, Sprachkenntnisse, Schulbesuch, Erlasslage, Straftaten, Ehegatte, häusliche Gemeinschaft, Glaubwürdigkeit, Verfassungsmäßigkeit, Gleichheitsgrundsatz, besondere Härte
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 104a Abs. 1 Nr. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG setzt den Nachweis über den regelmäßigen Schulbesuch nicht nur in einem Schuljahr sondern kontinuierlich während der Schullaufbahn voraus. Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis bei Straftaten des getrennt lebenden Ehemanns/Vaters.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG (Altfallregelung).

Die Kläger haben aber nicht nach § 104 a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG den tatsächlichen Schulbesuch nachgewiesen. Danach reicht es nicht aus, dass der Schulbesuch allein im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nachgewiesen ist. Vielmehr muss der Schulbesuch für den gesamten Zeitraum zwischen dem Beginn und dem Ende des schulpflichtigen Alters durch Zeugnisvorlage oder Bescheinigungen der Schulen belegt werden, weil nur der dauerhafte regelmäßige Schulbesuch zu einer Integration führt. Sinn und Zweck des § 104 a AufenthG ist es nämlich gerade eine angemessene Lösung für diejenigen Ausländer zu schaffen, die sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik integriert haben. Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Schulbescheinigungen nehmen die Kläger zu 2., 3. und 6. nicht regelmäßig am Unterricht teil.

Soweit die vorläufigen Niedersächsischen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (vorl. Nds. VV-AufenthG; veröffentlicht auf der Internetseite des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration) vom 31.07.2008 ein unentschuldigtes Fehlen von einem Drittel der Unterrichtstage fordert (Nr. 104 a 1.1.6.1), führt dies im vorliegenden Fall zu keiner anderen Bewertung. Zum einen handelt des sich um eine Verwaltungsvorschrift, die das Gericht nicht bindet. Außerdem stellt die Vorschrift allein auf ein Schulhalbjahr ab. Hier liegt aber ein kontinuierliches Fehlen in der Schule während der gesamten Schullaufbahn der Kläger vor. Das Abstellen allein auf ein Schuljahr wird, wie bereits ausgeführt, dem Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Soweit die Klägerin vorträgt, das häufige Fehlen gehe auf Krankheiten und eine gegenseitige Ansteckung der Kinder zurück und sei jeweils entschuldigt worden, hat das Gericht angesichts des von der Klägerin zu 1. und ihrem Ehemann gezeigten Desinteresses an angebotenen Fördermaßnahmen für die Kinder, Zweifel an dieser Aussage. Nachweise für ihr Vorbringen hat die Klägerin nicht vorgelegt. Nach alledem ist den Klägern der Nachweis des tatsächlichen Schulbesuchs nicht gelungen.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert darüber hinaus an § 104 a Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Der Ehemann der Klägerin zu 1. bzw. Vater der übrigen Kläger ist wegen zahlreicher strafrechtlicher Verurteilungen, die die Grenze von bis zu 50 Tagessätzen bzw. bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz begangen wurden, deutlich übersteigen, ausgewiesen worden. Diese Straftaten haben sich die Kläger nach § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG zurechnen zu lassen. Nach der Überzeugung des Gerichts leben sie nämlich mit dem Ehemann/Vater in einer häuslichen Lebensgemeinschaft. Das Gericht hat ganz erhebliche Zweifel an der vorgetragenen Trennung der Eheleute B. Ein wichtiges Indiz ist, dass der Ehemann in der gemeinsamen Wohnung lebt. Die Klägerin zu 1. hat bei der Beantragung ihrer Aufenthaltserlaubnis vorgetragen, dass sie und ihr Mann sich im August 2006 getrennt hätten. Das es dem Ehemann in den folgenden zwei Jahren nicht gelungen sein will, eine eigene Unterkunft zu finden, erscheint dem Gericht nicht glaubhaft.

Die Vorschrift des § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Gesetzgeber hat mit der Altfallregelung aus humanitären Gründen langjährig zumeist ohne Aufenthaltstitel in Deutschland lebenden Ausländern eine Vergünstigung eingeräumt, zu der er verfassungsrechtlich nicht verpflichtet war. Ihm ist daher bei der Regelung der Voraussetzungen ein weiter Gestaltungszeitraum zuzubilligen, der seine Grenzen lediglich im Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) findet. Der Bestimmung des § 104 a Abs. 3 AufenthG liegen ausreichende sachliche Erwägungen zugrunde. Die Zurechnungsregelung berücksichtigt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5065 S. 202), dass Kinder das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen, ein negativer Einfluss auf die übrigen in häuslicher Lebensgemeinschaft lebenden Familienmitglieder nicht auszuschließen ist und die bei Straffälligkeit von Kindern denkbare Verletzung von Aufsichts- und Erziehungspflichten. Ferner ist zu berücksichtigen, dass andernfalls im Hinblick auf Art. 6 GG häufig auch ein begleitetes Aufenthaltsrecht des an sich nach § 104 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG ausgeschlossenen Ausländers entstehen würde; die Vorschrift also teilweise leer laufen würde (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 21.05.2008, 11 A 485/06 m.w.N., juris).

Von der Anwendung des § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist auch nicht nach Abs. 3 Satz 2 abzusehen, weil es zur Vermeidung einer besonderen Härte nicht erforderlich ist, der Klägerin zu 1. den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Bei der Beurteilung, ob eine besondere Härte vorliegt, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Begünstigte bereits Integrationsleistungen erbracht hat und eine günstige Zukunftsprognose insbesondere im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhaltes erstellt werden kann (s. vorl. Nds. VV-AufenthG, Nr. 104 a 3.2.2). Trotz ihres Aufenthalts von nahezu 16 Jahren ist die Klägerin zu 1. lediglich in der Lage sich in einfachsten Worten und Sätzen auf Deutsch zu verständigen. Größere Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen und damit der Willen zu einer Eingliederung in die Gesellschaft, sind nicht erkennbar. Auch hat die Klägerin, wie bereits ausgeführt, nicht für einen regelmäßigen Schulbesuch ihre Kinder gesorgt. Vielmehr sind zahlreiche Bußgeldverfahren wegen Verletzung der Schulpflicht eingeleitet worden. Angebotene Hilfeleistungen, um die Integration ihrer Kinder zu verbessern, hat sie ebenfalls nicht in Anspruch genommen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass die Klägerin an eine Eingliederung kein erhöhtes Interesse hatte. Für das Gericht sind deshalb Integrationsleistungen der Klägerin zu 1. nicht erkennbar und ein besonderer Härtefall liegt nicht vor.