VG Dessau-Roßlau

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Zitieren als:
VG Dessau-Roßlau, Urteil vom 25.09.2008 - 3 A 44/08 DE - asyl.net: M14010
https://www.asyl.net/rsdb/M14010
Leitsatz:

Anspruch auf Widerruf der Einweisung in ein Ausreisezentrum durch Wohnsitzauflage und räumliche Beschränkung der Duldung, wenn nicht dargelegt werden kann, welche weiteren konkreten Maßnahmen möglich sind, um die Passbeschaffung oder Identitätsklärung zu fördern.

 

Schlagwörter: D (A), Verpflichtungsklage, Untätigkeitsklage, Bescheidungsklage, Klageerweiterung, Klageänderung, Duldung, Wohnsitzauflage, räumliche Beschränkung, Ausreiseeinrichtung, Widerruf, Erlasslage, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Verhältnismäßigkeit, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Identitätsklärung
Normen: VwGO § 42 Abs. 1; AuslG § 56 Abs. 3; AufenthG § 61; VwVfG § 49 Abs. 1
Auszüge:

Anspruch auf Widerruf der Einweisung in ein Ausreisezentrum durch Wohnsitzauflage und räumliche Beschränkung der Duldung, wenn nicht dargelegt werden kann, welche weiteren konkreten Maßnahmen möglich sind, um die Passbeschaffung oder Identitätsklärung zu fördern.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die erhobene Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) ist zulässig,

Der Kläger durfte den Ablehnungsbescheid, der nach Erhebung der gem. § 75 VwGO zulässigen Untätigkeitsklage erlassen worden ist, sofort in das anhängige Klageverfahren einbeziehen und musste nicht zunächst das Widerspruchsverfahren durchführen (vgl. dazu Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 75 Rdnr. 26 m.w.N.)

Weiterhin handelt es sich bei dem Übergang von einer Bescheidungs- zur Verpflichtungsklage nicht um eine Klageänderung i.S.d. § 91 VwGO (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 15. A., § 91 Rdnr. 9; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 24. Oktober 2006 - 6 B 47.06 -, zit. nach JURIS), sondern um eine bloße Klageerweiterung.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Aufhebung der Wohnsitzauflage und der räumlichen Aufenthaltsbeschränkung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat aber einen Anspruch gem. § 49 Abs. 1 VwVfG. Danach kann ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

Bei der streitgegenständlichen Wohnsitzauflage und der räumlichen Aufenthaltsbeschränkung handelt es sich um einen den Kläger nicht begünstigenden Verwaltungsakt. Auch müsste im Falle seines Widerruf weder ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden noch ist sonst ein Grund für die Unzulässigkeit des Widerrufs ersichtlich.

Das dem Beklagten eingeräumte Ermessen ist auch auf Null reduziert. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt zur Aufhebung einer bezüglich der GU ZASt gem. § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG erlassenen Wohnsitzauflage ist im Rahmen der Ermessensausübung nach § 49 Abs. 1 VwVfG vor allem zu berücksichtigen, ob die Wohnsitzauflage auf Grund des mittlerweile erfolgten Zeitablaufs und/oder zwischenzeitlich veränderter Umstände noch einen sinnvollen Bezug zu einem zulässigen Verfahrenszweck, insbesondere dem der Identitätsfeststellung und Passbeschaffung, aufweist. Die Auflage dürfe nicht in eine Schikane mit strafähnlichem Charakter ausarten, auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen oder den Betreffenden unverhältnismäßig treffen. Weiterhin sei auch zu beachten, für welche Zeitspanne der Ausländer den Beschränkungen bereits ausgesetzt sei und welche psychischen und körperlichen Auswirkungen diese für ihn und seine Angehörigen haben könnten; je länger die Beschränkungen dauerten, ohne dass sich eine Beendigung des Abschiebungshindernisses abzeichne, umso eher werde sich ihre weitere Aufrechterhaltung als unangemessen erweisen (so Urt. v. 29. November 2007 - 2, L 223/06 -, zit. nach JURIS).

In Anwendung dieser Grundsätze ist die Aufrechterhaltung der Wohnsitzauflage und der damit verbundenen räumlichen Beschränkung gegenüber dem Kläger nicht mehr angemessen. Denn die Wohnsitzauflage ist nicht geeignet, den von der Beklagten mit ihr in erster Linie verfolgten Zweck - die Identitätsfeststellung des Klägers und eine Passbeschaffung für ihn - in nennenswerter Weise zu fördern. Zwar ist die Identität des Klägers immer noch nicht hinreichend geklärt und es ist unstreitig, dass er nicht bzw. nicht in ausreichender Weise an seiner Identitätsfeststellung mitwirkt. Dies allein ist aber nicht ausreichend. Es muss gewährleistet sein, dass Maßnahmen zur Feststellung der Identität des Ausländers getroffen werden bzw. noch getroffen werden können. Ein andauernder Aufenthalt in der Einrichtung, ohne dass weitere sinnvolle Maßnahmen ersichtlich sind, die zu einer Beendigung des Abschiebungshindemisses in absehbarer Zeit führen könnten, ist unangemessen (so auch VG Braunschweig, Urt. v. 15. Januar 2004 - 3 A 241/03, zit. nach JURIS).

Der Beklagte hat in dem Ablehnungsbescheid nicht dargelegt, welche weiteren konkreten Maßnahmen nach dem inzwischen fast vierjährigen Aufenthalt des Klägers in der GU ZASt geplant oder überhaupt möglich sind, um den Zweck seiner Identitätsfeststellung in nennenswerter Weise zu fördern. Vielmehr hat der Beklagte selbst ausgeführt, dass den Ermittlungsmöglichkeiten der Ausländerbehörde und der Zentralen Abschiebungsstelle Grenzen gesetzt seien, die Identitätsklärung letztlich nur durch die Mitwirkung des Klägers möglich sei und dass die Unterbringung in der Einrichtung unter anderem auch der Erzeugung eines Drucks zur freiwilligen Ausreise diene. Soweit er auf die "aus Sicht der Ausländerbehörde und der Abschiebungsstelle noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der Identitätsfeststellung" abstellt, dürfte sich dies auf die von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen des Klägers beziehen. Aus den Verwaltungsvorgängen, insbesondere einem Schreiben der Zentralen Abschiebungsstelle vom 17. Dezember 2007, ergibt sich, dass angesichts der fehlenden Mitwirkung des Klägers inzwischen nur noch eine Vor-Ort-Prüfung in Ägypten zu seiner Identitätsfeststellung erfolgsversprechend ist. In dem Schreiben wird aber weiter ausgeführt, dass es dazu einer größeren Zahl von ausreisepflichtigen Ägyptern im Bundesgebiet bedürfe, weil sonst der Aufwand zu groß sei. Diese Voraussetzung sei noch nicht erfüllt. Auch in einem weiteren Schreiben vom 19. Mai 2008 werden keine weiteren Angaben gemacht und zudem mitgeteilt, dass Bemühungen bei der französischen Botschaft zur Erlangung der Visumsunterlagen des Klägers erfolglos geblieben seien. Nach Auskunft der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung kann insoweit nicht davon ausgegangen werden, dass in absehbarer Zeit für den Kläger eine solche Vor-Ort-Prüfung durchgeführt wird.

Angesichts der (derzeit) fehlenden Möglichkeiten zur Förderung der Identitätsfeststellung des Klägers, der Zeitdauer seiner bisherigen Unterbringung und der von ihm zumindest substantiiert geltend gemachten psychischen Belastungen ist das Widerrufsermessen des Beklagten zur Aufhebung der Wohnsitzauflage und der damit zusammenhängenden räumlichen Aufenthaltsbeschränkung danach inzwischen auf Null reduziert.