OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.05.2008 - 2 B 9.06 - asyl.net: M14012
https://www.asyl.net/rsdb/M14012
Leitsatz:

Asylanerkennung für kolumbianischen Staatsangehörigen, der wegen seines Engagement für die studentische Organisation GRE von Paramilitärs bedroht worden sind; Verfolgungsmaßnahmen der Paramilitärs sind dem kolumbianischen Staat auch nach dem Demobilisierungsprozess zuzurechnen; keine interne Fluchtalternative vor Verfolgung durch Paramilitärs.

Schlagwörter: Kolumbien, Drohungen, GRE, Studenten, Plan Columbia, Drohbriefe, Glaubwürdigkeit, Übergriffe, Paramilitärs, Vergewaltigung, Scheinexekution, gesteigertes Vorbringen, traumatisierte Flüchtlinge, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, Schutzbereitschaft, Demobilisierung, interne Fluchtalternative, Verfolgungssicherheit, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Autodefensas Unidas de Colombia, AUC, Medellín, Bogotá, FARC, Situation bei Rückkehr
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Asylanerkennung für kolumbianischen Staatsangehörigen, der wegen seines Engagement für die studentische Organisation GRE von Paramilitärs bedroht worden sind; Verfolgungsmaßnahmen der Paramilitärs sind dem kolumbianischen Staat auch nach dem Demobilisierungsprozess zuzurechnen; keine interne Fluchtalternative vor Verfolgung durch Paramilitärs.

(Leitsatz der Redaktion)

1. Der Kläger hat Kolumbien auf der Flucht vor politischer Verfolgung verlassen.

a) Der Kläger hat sein politisches Engagement an der Universität del Valle und die hierauf erfolgte Bedrohung durch paramilitärische Kräfte bei seiner Erstbefragung durch den Bundesgrenzschutz, der Anhörung durch das Bundesamt und bei seinen gerichtlichen Anhörungen in der ersten und zweiten Instanz glaubhaft, in sich schlüssig, insbesondere ohne beachtliche Widersprüche und ohne Übertreibungen und Steigerungen im Vorbringen geschildert. So steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in der von ihm benannten, politisch links gerichteten studentischen Gruppierung GRE aktiv gewesen ist und sich für studentische Belange eingesetzt hat. Soweit der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesgrenzschutz sich als Mitglied der Gewerkschaft CUT bezeichnet hat, hat das Verwaltungsgericht überzeugend dargelegt, dass aufgrund der tatsächlich bestehenden politischen Übereinstimmung und der Übereinstimmung hinsichtlich der Aktionsformen, insbesondere bei der Bekämpfung des "Plan Colombia" zwischen CUT und der vom Kläger benannten studentischen Organisation, dem Kläger geglaubt werden könne, dass für ihn kein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Organisationen bestand. Dieser Einschätzung des Verwaltungsgerichts schließt sich der Senat an. Das vom Kläger geschilderte Szenario entspricht, wie das Verwaltungsgericht ausführt, ohne dass dies von der Beklagten oder dem Beteiligten im Berufungsverfahren angegriffen worden wäre, den tatsächlichen Verhältnissen an der Universität del Valle in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt. Die vom Berufungskläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Karte über die Hauptverbreitungsgebiete der Paramilitärs und der FARC-Guerilla in Kolumbien im Jahr 2000 spricht nicht gegen diese Annahme des Verwaltungsgerichts, sondern bestätigt sie. Danach lag zwar Cali nicht im Haupteinflussgebiet der Paramilitärs, wohl aber in der Zone, in der beide sich bekämpfende Gruppierungen präsent waren. Die Angaben des Klägers werden ferner durch die von ihm und von seinem Bruder im Asylverfahren vorgelegten Dokumente gestützt. Der Umstand, dass in Kolumbien Drohbriefe nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 1995 (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Februar 1995 - I 8) eine gängige Einschüchterungsmethode sind, die auch gegen missliebige Nachbarn eingesetzt werde, rechtfertigt nicht den Schluss, dass gerade die vom Kläger vorgelegten Drohschreiben keinen politischen Hintergrund hatten. Aus der in dem ablehnenden Bescheid der Beklagten zitierten Auskunft geht nämlich weiter hervor, dass Drohbriefe an politisch exponierte Personen, beispielhaft werden u.a. Gewerkschafter und Geistliche genannt, durchaus ernst zu nehmen seien. Zu diesem Personenkreis zählte der Kläger jedenfalls solange er sich an seiner Universität durch regierungskritische, politische Aktionen in einer linksgerichteten studentischen Gruppe während der besonders intensiv geführten Auseinandersetzung um den so genannten ,,Plan Colombia" exponiert hat. Dafür, dass in diesem Zeitpunkt nur hochrangige oder sonst in besonderer Weise herausgehobene Personen bedroht wurden und gefährdet waren, gibt die Auskunftslage nichts her. Im Gegenteil sprechen hiergegen die Ausführungen in zwei weiteren Auskünften des Auswärtigen Amtes, in denen von einer so großen Zahl ernst zu nehmender Bedrohungen, die "schließlich auch zu Ermordungen führen", die Rede ist, dass kein staatlicher Schutz dagegen gewährt werden könne (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 5. Januar 2004 - I 17 und Auskunft vom 11. Juni 2003 - I 13). Daher überzeugt es auch nicht, wenn in dem Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2001 Zweifel an dem geschilderten Verfolgungsgeschehen damit begründet werden, dass aus anderen Verfahren ähnlich gestaltete Drohbriefe im Rahmen privater

Bedrohungen bekannt geworden seien. Soweit kritisiert wird, die paramilitärischen Gruppen würden wohl nicht zu derart kindlich anmutenden Drohschreiben greifen, fehlt schon eine Erklärung dafür, warum die Art der Anfertigung eines der Schreiben (aus Zeitungsartikeln zusammengesetzte Buchstaben) als kindliches Verhalten zu charakterisieren ist. Soweit die Beklagte zum Ausdruck bringen will, es sei von einer nicht ernst zu nehmenden privaten Bedrohung auszugehen, spricht hierfür angesichts des vom Senat angenommenen politischen Engagements des Klägers an der Universität nichts. Das Verwaltungsgericht hat zudem darauf hingewiesen, dass ihm die geschilderte Bedrohungsmethode aus Angaben einer anderen Asylantragstellerin, die an der Universität del Valle beschäftigt gewesen sei, bekannt sei. Der Senat ist schließlich ebenso wie das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass die Drohungen gegenüber dem Kläger bei lebensnaher Betrachtung dahin verstanden werden müssen, dass es den Urhebern nicht nur darum ging, dass er seine Aktivitäten an der Universität del Valle aufgibt, sondern um die Einstellung jeder "revolutionären" politischen Tätigkeit. Hierfür spricht insbesondere, dass die Drohungen nicht aufhörten, obwohl der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt und dem Verwaltungsgericht nach der ersten mündlichen Drohung aus Angst ein weiteres politisches Engagement unterlassen hat.

vgl. im Übrigen das weitgehend gleichlautende Urteil vom 28.5.2008 - 2 B 15.07 - M13819