OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 11.07.2008 - 2 So 64/08 - asyl.net: M14057
https://www.asyl.net/rsdb/M14057
Leitsatz:

Es spricht vieles dafür, dass ein Regelanspruch (hier: § 25 Abs. 3 AufenthG) ein "gesetzlicher Anspruch" i.S.d. § 10 Abs. 1 AufenthG ist; ist ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt, genießt der Ausländer den Rechtsstatus als subsidiär Geschützer nach der Qualifikationsrichtlinie; es ist zweifelhaft, ob die Ausweisung wegen Verstoßes gegen Visumsbestimmungen und die Passpflicht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG entgegensteht.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, subsidiärer Schutz, Asylantrag, Berufungszulassungsantrag, Sperrwirkung, Anspruch, gesetzlicher Anspruch, atypischer Ausnahmefall, Anerkennungsrichtlinie, Altfälle, Zuwanderungsgesetz, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, Ausweisung, zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, Visumsverfahren, Passpflicht, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 10 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 2; AuslG § 53 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 24 Abs. 2; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2; ZPO § 114; VwGO § 166
Auszüge:

Es spricht vieles dafür, dass ein Regelanspruch (hier: § 25 Abs. 3 AufenthG) ein "gesetzlicher Anspruch" i.S.d. § 10 Abs. 1 AufenthG ist; ist ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt, genießt der Ausländer den Rechtsstatus als subsidiär Geschützer nach der Qualifikationsrichtlinie; es ist zweifelhaft, ob die Ausweisung wegen Verstoßes gegen Visumsbestimmungen und die Passpflicht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG entgegensteht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde des Klägers zu 1) (im Folgenden: der Kläger) ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg.

1. Dem Kläger ist für das beabsichtigte Klageverfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2. Nach diesen Grundsätzen können der vom Kläger beabsichtigten Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG hinreichende Erfolgsaussichten. nicht abgesprochen werden.

a) Insbesondere lässt sich nicht schon jetzt zweifelsfrei nach jeder denkbaren Betrachtungsweise feststellen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an der Vorschrift des § 10 Abs. 1 AufenthG scheitert, wonach einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden kann, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

aa) Es stellt sich bereits die Frage, ob der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 AufenthG im Falle des Klägers überhaupt eröffnet ist. Zwar betreibt der Kläger vor dem Beschwerdegericht noch ein Verfahren auf Zulassung der Berufung (2 Bf 370/99.A), mit dem er sein durch Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. August 1999 (17 VG A 695/99) abgewiesenes Begehren auf Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft weiter verfolgt. Zu Gunsten des Klägers ist durch das besagte Urteil aber bereits rechtskräftig entschieden, dass bezüglich Aserbaidschan ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 vorliegt, welches nunmehr die Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Regelanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG darstellt. Da § 10 Abs. 1 AufenthG die Beendigung des Aufenthalts nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens sichern will, lässt sich zumindest hinterfragen, ob die Sperrwirkung auch in einem solchen Falle eingreift oder die Regelung nach Sinn und Zweck vielmehr einschränkend auszulegen ist.

bb) Darüber hinaus ist nicht von vornherein auszuschließen, dass auch ein Regelanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - wie ihn § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorsieht - als "gesetzlicher Anspruch" i.S.d. § 10 Abs. 1 AufenthG zu qualifizieren ist und deshalb ausreicht, um die Sperrwirkung zu überwinden. Zwar weist die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht ganz zu Unrecht auf die Ergänzung des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG durch Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) sowie die Tatsache hin, dass § 10 Abs. 1 AufenthG eine entsprechende Ergänzung nicht erfahren hat. Während § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG schon in seiner Ursprungsfassung im Falle eines "Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels" u.a. die Anwendung des Satzes 2 - d.h. die Versagung eines Aufenthaltstitels bei einem nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich Unbegründet abgelehnten Asylantrag - ausschloss, bestimmt die nunmehr geltende Fassung im zweiten Halbsatz außerdem, dass Satz 2 ferner nicht anzuwenden ist, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erfüllt. Diese Ergänzung könnte in der Tat dafür sprechen, dass Regelansprüche nicht schon durch den "Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels" i.S.d. jetzigen ersten Halbsatzes erfasst werden. Schlechterdings zwingend erscheint das aber nicht. Denn nach der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 16/5065 S. 164) soll die Textergänzung in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG "gewährleisten", dass auch im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet der nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) subsidiär Schutzberechtigte eine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann. Dass nach der bis dahin geltenden Fassung des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG die Sperrwirkung des Satzes 2 nur durch strikte Rechtsansprüche, nicht aber durch Regelansprüche oder gar eine Ermessensreduzierung auf Null überwunden werden konnte, war aber keineswegs einhellige Meinung. Die Frage war vielmehr in der Literatur umstritten (vgl. z.B. Discher in: GK-AufenthG, Bd. 1, Stand Juni 2008, § 10 Rn. 171, 60 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. I, Stand April 2008, § 10 Rn. 16; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Bd. I, Stand Oktober 2007, § 10 Rn. 25) und auch in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Aus der Ergänzung des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG lassen sich deshalb ohne nähere Prüfung erst recht keine Rückschlüsse auf den Inhalt und die Reichweite des in § 10 Abs. 1 AufenthG normierten Merkmals des "gesetzlichen Anspruchs" ziehen. In der Literatur wird nach wie vor die Ansicht vertreten, dass insoweit ein Regelanspruch ausreichend ist, sofern kein atypischer Ausnahmefall erkennbar ist (vgl. Wenger in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 4). Dafür sprechen auch gute Gründe. Denn im Regelfall besteht ein Rechtsanspruch, da Ermessen nur auszuüben ist, wenn kein Regelfall vorliegt. Das "soll" bedeutet in diesem Falle ein "muss" (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.7.1992, BVerwGE 90, 275, 278 zu § 21 Abs. 4 SchwbG, m.w.N.).

cc) Schließlich würde § 10 Abs. 1 AufenthG einem Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG auch dann nicht entgegenstehen, wenn der Kläger subsidiären Schutz nach Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG genießen würde und die Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG mit der Richtlinie unvereinbar wäre. Dies erscheint ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

Dass der Kläger zum Kreise derjenigen gehört, denen der Schutzstatus nach Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG zuerkannt worden ist, dürfte sich nicht allein schon mit dem Hinweis darauf verneinen lassen, dass subsidiärer Schutz nur bei Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG (entsprechend Art. 15 Buchst. b) der Richtlinie 2004/83/EG), § 60 Abs. 3 AufenthG, (entsprechend Art. 15 Buchst. a) der Richtlinie 2004/83/EG) oder § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend Art. 15 Buchst. c) der Richtlinie 2004/83/EG) bestehe, im Falle des Klägers dagegen ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 festgestellt worden sei, was dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG entspreche. Nach der Änderung der Tatbestände des § 60 AufenthG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union spricht nämlich einiges dafür, dass bei der Überführung der noch unter der Geltung des § 53 AuslG 1990 festgestellten Abschiebungshindernisse in das geltende Recht eine differenziertere Betrachtungsweise erforderlich ist. Dabei könnte hier insbesondere von Bedeutung sein, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 AufenthG neben der konkreten Gefahr der Folter nunmehr auch die konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung erfasst. Insoweit stimmen jetzt der Wortlaut von § 60 Abs. 2 AufenthG, Art. 15 Buchst. b) der Richtlinie 2004/83/EG und Art. 3 EMRK weitgehend überein. Da das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 26. August 1999 das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 damit begründet hat, dass der Kläger in Aserbaidschan voraussichtlich unmenschlicher Behandlung gemäß Art. 3 EMRK ausgeliefert wäre, erscheint es nicht von vornherein fernliegend, dass das festgestellte Abschiebungshindernis nach nunmehr geltendem Recht (auch) die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG, Art. 15 Buchst, b) der Richtlinie 2004/83/EG beinhaltet. Ob - wie der Kläger geltend macht - möglicherweise (auch) die Tatbestände des § 60 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Buchst. c) der Richtlinie 2004/83/EG einschlägig sein könnten, kann gegenwärtig dahinstehen.

Sollte sich der Kläger auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus berufen können, würde sich die Frage nach der Vereinbarkeit der Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG mit Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG stellen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, "so bald wie möglich" nach Zuerkennung des Schutzstatus einen Aufenthaltstitel auszustellen. Selbst wenn man der vom Verwaltungsgericht im Verfahren der Tochter des Klägers (17 E 920/08) vertretenen Auffassung folgt, dass die Formulierung "so bald wie möglich" auf gegenläufige Interessen Rücksicht nimmt und zu diesen Interessen auch jenes an der Stabilität von Aufenthaltstiteln gehört, lässt sich hier nicht ohne Weiteres sagen, dass dieses Interesse im Falle der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG vor Abschluss des noch in der Berufungsinstanz anhängigen Verfahrens 2 Bf 370/99.A gefährdet wäre. Denn der Kläger kann in jenem Verfahren seine aufenthaltsrechtliche Position durch die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft allenfalls noch verbessern; dagegen steht - wie oben dargelegt - das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 als Grundlage einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht mehr in Frage. Eine weitere Erörterung der Problematik ist im vorliegenden Verfahren nicht veranlasst. Die Frage der Vereinbarkeit des § 10 Abs. 1 AufenthG mit der Richtlinie 2004/83/EG ist ebenso wie die übrigen zuvor aufgezeigten Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren näher zu prüfen.

b) Dasselbe gilt für die Frage, ob der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 27. November 1998 gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegensteht. Sollte sich der Kläger auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus berufen können, könnte sich auch die Sperrwirkung der Ausweisung als problematisch erweisen. Denn nach dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG sind die Mitgliedstaaten nur dann von ihrer Verpflichtung zur Ausstellung eines Aufenthaltstitels entbunden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen. Dass diese Voraussetzung auch im Falle einer Ausweisungsverfügung gegeben ist, die - wie hier - wegen eines Verstoßes gegen Sichtvermerksvorschriften und die Passpflicht erlassen worden ist, lässt sich gerade in einem Fall der subsidiären Schutzgewährung zumindest bezweifeln.