VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Beschluss vom 14.08.2008 - 8 L 85/08 - asyl.net: M14068
https://www.asyl.net/rsdb/M14068
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Scheinehe, Visum, Visumsverfahren, Zumutbarkeit, Ermessen, Schutz von Ehe und Familie
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 3 S. 2; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

2. Der Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den Antragsteller bis zur Entscheidung der Kammer über die zum Aktenzeichen 8 K 320/08 erhobene Klage abzuschieben, hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller hat das Vorliegen eines entsprechenden, im Wege einer einstweiligen Anordnung auf Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG - rechtliche und/oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung - zu sichernden Rechts nicht glaubhaft gemacht.

Sein Vortrag zu dem seiner Auffassung nach gegebenen Anspruch nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Familiennachzug zu Deutschen) greift nicht durch. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller aufgrund der Eheschließung mit seiner deutschen Ehefrau einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat, weil der Antragsteller jedenfalls das für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorausgesetzte Visumserfordernis des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt und die ablehnende Ermessensentscheidung des Antragsgegners über das Absehen vom Visumserfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Im Einzelnen: Ob der Antragsteller in einer für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen, im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG schützenswerten ehelichen Lebensgemeinschaft lebt, ist offen.

Diesen Zweifeln muss die Kammer hier nicht nachgehen. Die Frage der Scheinehe kann offen bleiben, weil das Gericht selbst dann, wenn es das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft unterstellen würde, dennoch nicht von einer durch eine einstweilige Anordnung zu sichernden Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgehen könnte. Denn der Antragsteller hat die auch im Rahmen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche - und lediglich im hier mangels einer Eheschließung im Bundesgebiet und mangels Duldung nicht gegebenen Fall des § 39 Nr. 5 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) nicht zum Tragen kommende - allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum (§§ 5 Abs. 2 Nr. 1, 6 Abs. 4 AufenthG) nicht erfüllt.

Zwar kann die Ausländerbehörde gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vom Visumserfordernis des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG absehen, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen.

Besondere Umstände, die es für den Antragsteller unzumutbar machen, das Visumsverfahren nachzuholen, sind weder dargelegt noch ersichtlich. Wenn man von dem - ungeklärten - Bestehen eines Anspruchs auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und damit von einem das Ermessen auslösenden Sachverhalt ausgeht und die angefochtene Ordnungsverfügung an den für die Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Regeln (§ 114 VwGO) misst, zeigt sich, dass die ablehnende Ermessensentscheidung des Antragsgegners in seiner mit der Klage angefochtenen Ordnungsverfügung vom 18. Januar 2008 nicht zu beanstanden ist. Er hat dabei die vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) entwickelten Grundsätze (vgl. die Beschlüsse vom 10. April 2007 - 18 B 303/07 -, DVBl. 2007, 852 (Ls) = AuAS 2007, 195, vom 5. Oktober 2006 - 18 B 1767/06 -, InfAuslR 2007, 56 = EZAR NF 22 Nr. 3, und vom 26. Oktober 2006 - 18 B 783/06 -) beachtet. Danach hat die Ausländerbehörde zu beurteilen, ob eine Ausnahme von der Einhaltung der Visumsregeln vertretbar und angemessen ist. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Regelung als Ausnahmebestimmung prinzipiell eng auszulegen ist. Die Durchführung des Visumverfahrens soll nach der amtlichen Begründung des § 5 Abs. 2 AufenthG sowohl bei Vorliegen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als auch in allen anderen Fällen die Regel bleiben (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 70).

Auf diese Weise wird einerseits sichergestellt, dass die Steuerungsmechanismen des Aufenthaltsgesetzes nicht konterkariert und die dort vorgesehenen Zugangskontrollen hinsichtlich eines Aufenthalts in der Bundesrepublik nicht unterlaufen werden. Andererseits soll die Einhaltung der Visumsregeln kein reiner Selbstzweck sein (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 5 AufenthG, Rdn. 59).

Bei der demnach erforderlichen, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragenden Güterabwägung ist daher zu berücksichtigen, dass die Einhaltung des Visumsverfahrens der Regelfall bleiben soll und dass allein die Verpflichtung, vor der Einreise zur Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft ein Visum einzuholen, nicht Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Demzufolge sind die legitimen Interessen des Ausländers (z.B. wirtschaftliche Interessen, Familieneinheit) gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumsverfahrens abzuwägen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Nachholung des Visumsverfahrens stets mit den allgemein anzutreffenden und deshalb auch vom Gesetzgeber in den Regelungen des AufenthG berücksichtigten Unannehmlichkeiten verbunden ist. Vor allem aber gilt es, dem Eindruck bei anderen Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch eine Einreise stets vollendete Tatsachen schaffen. Die Grenze liegt dort, wo das Beharren auf die Einhaltung des Visumsverfahrens objektiv als unangemessen empfunden werden müsste.

Als erheblichen öffentlichen Belang darf die Ausländerbehörde anführen, dass aus generalpräventiven Gründen im Falle des gezielten Versuches einer Umgehung der Erteilungsvoraussetzungen für ein nationales Visum die Nachholung des Visumsverfahrens als angemessenes Mittel zu fordern sei.

Die hier zu überprüfende Ermessensentscheidung folgt diesen Grundsätzen. Die für den Antragsteller mit einer Ausreise verbundenen Unannehmlichkeiten gehen nicht über den vom Gesetzgeber gesehenen Normalfall hinaus. Entgegen der in seinem Antragsschreiben vom 5. Dezember 2006 geäußerten Ansicht des Antragstellers ist es kein für ihn sprechender schützenswerter Belang, dass er sich nach der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrages im Juni 2003 (illegal) in Europa aufgehalten, "bislang jedoch nirgendwo einen gesicherten Aufenthaltsstatus" habe "erlangen" können. Es ist vielmehr nicht zu beanstanden, dass der Antragsteller es als gegen ein Absehen im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sprechende Erwägung ansieht, dass sich nach illegaler Einreise trotz vollziehbarer Ausreiseverpflichtung der Kontrolle der Ausländerbehörde entzogen und in den Jahren seines unerlaubten Aufenthalts durch Verwendung eines Alias-Namens über seine Identität getäuscht und verschiedene Versionen über die Umstände seiner Einreise angegeben hat. Jahrelanger illegaler Aufenthalt schafft bei dem betreffenden Ausländer keinen schützenswerten Vertrauenstatbestand darauf, dass die Behörde die lange Aufenthaltszeit rechtlich positiv bewerten würde.