VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Beschluss vom 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - asyl.net: M14084
https://www.asyl.net/rsdb/M14084
Leitsatz:

Kein genereller Stopp der Dublin-Überstellungen nach Griechenland.

Schlagwörter: Griechenland, Verfahrensrecht, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Drittstaatenregelung, Verordnung Dublin II, Abschiebungsanordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Übernahmeersuchen, Selbsteintrittsrecht, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Verfassungsmäßigkeit, Darlegungserfordernis, Verfahrensrichtlinie, Aufnahmebedingungen, normative Vergewisserung, Anerkennungsrichtlinie
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; VO EG/343/2003 Art. 18 Abs. 7; AsylVfG § 27a; VO EG/343/2003 Art. 10 Abs. 1; VO EG/343/2003 Art. 3 Abs. 2; GG Art. 16a Abs. 2
Auszüge:

[...]

1. Der Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO hat sowohl in Ziffer 1 als auch in Ziffer 2 keinen Erfolg, da er unzulässig ist. Die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat darf nämlich nicht nach § 80 oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausgesetzt werden, § 34a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG).

a. Zwar besteht für den Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO das Rechtsschutzbedürfnis, obwohl in dem von der Antragsgegnerin eingeleiteten Rückübernahmeverfahren noch keine Abschiebungsanordnung im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ergangen ist. Das Bundesamt hat ausweislich der vorgelegten Verfahrensakte am 16. Juli 2008 ein Übernahmeersuchen an Griechenland gerichtet. Dieses wurde - soweit ersichtlich - von Griechenland zwar noch nicht beantwortet. Der Ablauf der zweimonatigen Frist des Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Abl. L 50/1 vom 25.2.2003, Dublin II) steht jedoch unmittelbar bevor. Da nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin von dem Übernahmeverfahren absehen will, steht auch der zeitnahe Erlass einer Abschiebungsanordnung im Raum. Vor diesem Hintergrund kann es dem Antragsteller nicht zugemutet werden, mit einer Antragstellung zuzuwarten, bis eine Abschiebungsanordnung ergangen ist. Ansonsten wäre bei der dann unmittelbar stattfindenden Abschiebung die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG möglicherweise unzumutbar erschwert.

Der Zulässigkeit des Antrags steht jedoch § 34a Abs. 2 AsylVfG entgegen. Griechenland ist ein Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften und damit nach den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers ein sicherer Drittstaat im Sinne des § 26a Abs. 1 AsylVfG, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG). Damit kann sich der Antragsteller von Verfassungs wegen nicht auf das Asylrecht in der Bundesrepublik berufen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, die verfassungsrechtlichen Rang genießen, ist davon auszugehen, dass zur Prüfung des Asylantrags des Antragstellers nicht die Antragsgegnerin sondern Griechenland zuständig ist. Sein Asylantrag ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig. Es ist dem Antragsteller zuzumuten, seine Rechtsverfolgung in dem hier nach Dublin II zuständigen Staat - nämlich Griechenland - zu betreiben.

Griechenland ist für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II zuständig. [...]

Der Antragsteller kann auch keinen Anspruch auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II geltend machen. Es ist bereits fraglich, ob die Bestimmungen von Dublin II - auch hinsichtlich der Selbsteintrittskompetenz eines EU-Mitgliedstaates - subjektive Rechte des Asylbewerbers begründen. Sie dienen nämlich alleine der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den EU-Mitgliedstaaten (vgl. VG München vom 28.1.2008 Az. M 22 S 08.60006). Selbst wenn man einen Anspruch des Asylbewerbers auf fehlerfreien Ermessensgebrauch annehmen würde (vgl. zum Streitstand VG München vom 30.5.2008 Az. M 16 K 07.51049, das einen Selbsteintritt nur bei Vorliegen außergewöhnlicher humanitärer Gründe, die an der Person des einzelnen Asylbewerbers anknüpfen, bejaht; VG Gießen vom 25.4.2008 Az. 2 L 201/08), bestehen hier keine Anhaltspunkte dahingehend, dass sich dieser zu einem Anspruch auf Selbsteintritt reduziert ("Ermessensreduzierung auf Null"). Hierzu sind die vorgebrachten individuellen Gründe des Antragstellers - wie unten noch gezeigt wird - nicht schwerwiegend genug.

§ 34a Abs. 2 AsylVfG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verfassungsgemäß (vgl. BVerfG vom 14.5.1996 Az. 2 BvR 2315/93, BVerfGE 94, 49/52 und 113). § 34a Abs. 2 AsylVfG ist jedoch dann nicht anwendbar, wenn in den in dem Urteil beschriebenen Ausnahmefällen Einwendungen des Ausländers zu einer individuellen Gefährdung im Drittstaat geltend gemacht werden können (vgl. BVerfG vom 14.05.1996, BVerfGE 94, 49/113). [...]

Der Antragsteller unterfällt keiner dieser Fallgruppen. Insbesondere wurde in dem einstweiligen Rechtsschutzantrag nicht glaubhaft gemacht, dass sich der griechische Staat seiner ohne jede weitere Prüfung des Asylbegehrens entledigen würde. Hierfür reicht das pauschale Vorbringen, dass er nicht mit einem fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahren in Griechenland rechnen könne, nicht aus. Dies ist mit den vom Bundesverfassungsgericht geforderten strengen Anforderungen an eine Darlegung der einer Abschiebung ausnahmsweise entgegen stehenden Hinderungsgründe nicht vereinbar. [...] Dass sich die für die Qualifizierung Griechenlands als sicherer Drittstaat maßgeblichen Kriterien schlagartig geändert hätten, z. B. durch einen politischen Umsturz oder eine vergleichbare abrupte Änderung der politischen Lage, ist weder ersichtlich noch vorgebracht. Dem Vorbringen des Antragstellers lassen sich außerdem keine Hinweise dafür entnehmen, dass Griechenland selbst den Kläger aus asylrelevanten Gründen verfolgen würde.

Selbst wenn man die oben angesprochenen Sonderfälle nicht für abschließend hält, stünde das Vorbringen des Antragstellers in seiner Antragsbegründung einer Abschiebung nach Griechenland nicht entgegen. Den vom Bundesverfassungsgericht für eine solche Darlegung geforderten strengen Anforderungen kann sein Vorbringen nicht genügen.

Zunächst ist festzustellen, dass der Hinweis auf die in der Antragsbegründung aufgeführten Entscheidungen - insbesondere auf den Beschluss der 2. Kammer des Verwaltungsgerichtes Gießen vom 25. April 2008 Az. 2 L 201/08, dem sich die anderen Entscheidungen zum großen Teil ohne eigenständige Begründung anschließen - für eine solche Darlegung nicht ausreicht. Letztlich kommen diese Entscheidungen zu dem Ergebnis, dass in Griechenland die Durchführung eines ordnungsgemäßen und mit anderen Mitgliedsstaaten gleichwertigen Asylverfahrens nicht gewährleistet sei und damit den Anforderungen des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560) und der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) nicht genügt werde. Der mit der Bestimmung zum sicheren Drittstaat gemäß Art. 16a Abs. 2 GG einhergehende Ausschluss des Eilrechtsschutzes erfordere, dass Ausländern im Drittstaat ein Prüfungsverfahren offen stehe, das insbesondere die Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der europäischen Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 (ABl. L 326/13 vom 13.12.2005) einhalte. Außerdem erfordere der Ausschluss des Eilrechtsschutzes die Einhaltung der Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18 vom 6.2.2003).

Mit einer solchen Argumentation kann der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren jedoch keinen Erfolg haben, da deren Folge im Rahmen des oben dargestellten Konzepts der normativen Vergewisserung wegen der Zugehörigkeit Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften nicht bloß eine Änderung von § 26a Abs. 2 AsylVfG, sondern auch von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG sein müsste (vgl. VG Gießen vom 15.7.2008 Az. 10 L 1497/08). Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften und damit auch Griechenland gelten als sicher kraft Entscheidung der Verfassung. Daher ist wegen des dieser Entscheidung zugrunde liegenden Konzepts normativer Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Außerdem beruht Dublin II wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung dieser Normen in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Dublin II Erwägungsgründe Nr. 2 und 12). Soweit die oben genannten Richtlinien bisher nicht in das nationale Recht Griechenlands umgesetzt worden sein sollten, wird darauf hingewiesen, dass diese bei nicht fristgerechter Umsetzung Direktwirkung entfalten. Vergleichbares gilt hinsichtlich der sogenannten Qualifikationsrichtlinie vom 29. April 2004 (Abl. L 304/12 vom 30.9.2004; vgl. hierzu VG Frankfurt vom 11.1.2008 Az. 7 G 3911/07.A).

Eine generelle Qualifizierung Griechenlands durch Behörden und/oder das Gericht als "unsicher" scheidet damit aus, weil sonst die Intentionen des Gesetzgebers konterkariert werden würden. Im Übrigen lässt sich eine solche Einschätzung nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren, das in seinem obigen Urteil ausdrücklich das Vorliegen einer individuellen Gefährdung verlangt (vgl. BVerfG vom 14.05.1996 BVerfGE 94, 49/113).

Es kommen daher allenfalls individuelle Gründe mit im Vergleich zu den obigen Fällen vergleichbarer Schwere in Betracht, um ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot nach Griechenland und eine Durchbrechung der Regel des § 34a Abs. 2 AsylVfG annehmen zu können (vgl. VG München vom 30.5.2008 a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt vom 5.6.2007 Az. 2 M 82/07). Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Griechenland nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sind (vgl. hierzu die Dokumentation von Pro Asyl "Neue Recherchen und Dokumente zur Situation von Schutzsuchenden in Griechenland" Stand: August 2008) und Verfahren nicht mit der in Deutschland üblichen Effizienz durchgeführt werden (vgl. "UNHCR-Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland nach der "Dublin-II-Verordnung"" vom 15. April 2008). Härten des Einzelfalls trägt die Antragsgegnerin nach Kenntnisstand des Gerichts jedoch dadurch Rechnung, dass im Zweifel bei besonders schutzwürdigen Personen von einer Überstellung nach Griechenland abgesehen wird (vgl. VG Saarland vom 23.7.2008 Az. 2 L 446/08). Dies gilt für Flüchtlinge hohen Alters, für Minderjährige und für Flüchtlinge, bei denen eine Schwangerschaft, ernsthafte Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder besondere Hilfsbedürftigkeit vorliegt. Der Antragsteller unterfällt keiner dieser Gruppen. Das Gericht sieht sich jedoch auf Grund der oben dargestellten Gesetzeslage daran gehindert, Asylbewerbern im Falle von Griechenland eine generelle Ausnahme von der Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG zuzugestehen.

Eine individuelle Gefährdung hat der Antragsteller nicht mit der erforderlichen Gewissheit glaubhaft gemacht. [...]