OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 10.09.2008 - 13 LB 207/07 - asyl.net: M14087
https://www.asyl.net/rsdb/M14087
Leitsatz:

Im Einbürgerungsverfahren kann nicht offengelassen werden, ob und welche Staatsangehörigkeit der Einbürgerungsbewerber besitzt; der Einbürgerungsbewerber obliegt es, zumutbare Anstrengungen zur Klärung seiner Staatsangehörigkeit zu unternehmen (hier: Kurden aus Libanon).

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Staatsangehörigkeit, Libanesen, Libanon, Staatenlose, Kurden, Sachaufklärungspflicht, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Mitwirkungspflichten, Zumutbarkeit, Kosten, Lebensunterhalt, Beurteilungszeitpunkt, Übergangsregelung, Vertretenmüssen, Familienangehörige
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; StAG § 37 Abs. 1; AufenthG § 82 Abs. 1; StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StAG § 40c; StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 a.F.
Auszüge:

Im Einbürgerungsverfahren kann nicht offengelassen werden, ob und welche Staatsangehörigkeit der Einbürgerungsbewerber besitzt; der Einbürgerungsbewerber obliegt es, zumutbare Anstrengungen zur Klärung seiner Staatsangehörigkeit zu unternehmen (hier: Kurden aus Libanon).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin aufgrund der derzeitigen Sach- und Rechtslage keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG. Denn es steht nicht fest, ob die Klägerin die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt. Insoweit hat sie es als Einbürgerungsbewerberin an einer ihr zumutbaren Mitwirkung fehlen lassen. Gemäß § 37 Abs. 1 StAG gilt im Einbürgerungsverfahren § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entsprechend. Danach ist der Einbürgerungsbewerber verpflichtet, seine Belange und für ihn günstigen Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen. Diesen gesetzlichen Anforderungen an eine Mitwirkung im Einbürgerungsverfahren wird das bisherige Verhalten der Klägerin nicht gerecht.

Im vorliegenden Fall ist bereits nicht hinreichend sicher, ob die Klägerin die aufenthaltsrechtlichen Anforderungen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG erfüllt. Zwar hat die Beklagte ihr im Oktober 2004 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, nachdem sie seit Oktober 1992 fortlaufend eine Aufenthaltsbefugnis erhalten hatte. Für den Fall einer libanesischen Staatsangehörigkeit der Klägerin sind nach dem Vorbringen der Beklagten Auswirkungen auf ihr Aufenthaltsrecht aber nicht auszuschließen, weil die Aufenthaltsbefugnisse der Klägerin seinerzeit nach einer Bleiberechtsregelung erteilt wurden. Sofern die Klägerin als libanesische Staatsangehörige dem von der Bleiberechtsregelung begünstigten Personenkreis nicht angehören sollte, könnten rückwirkende Aufhebungen der jeweils erteilten Aufenthaltstitel ausländerbehördlich in Betracht zu ziehen sein. Schon deshalb kann wegen der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Frage der libanesischen Staatsangehörigkeit der Klägerin könne offen bleiben, nicht gefolgt werden.

Auch wenn bei der Einbürgerung libanesischer Staatsangehöriger die Hinnahme von Mehrstaatigkeit die Regel sein sollte, kann die Staatsangehörigkeit der Klägerin nicht ungeklärt bleiben. Das Erfordernis der Klärung der staatsbürgerschaftlichen Verhältnisse eines Einbürgerungsbewerbers ist in der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt. Der VGH Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 2003 - 13 S 21113/01 - in einem Einbürgerungsverfahren mit ähnlich gelagertem Sachverhalt unter Hinweis auf das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 1. Juli 1997 - 25 A 564/96 - durchaus strenge Anforderungen an die Mitwirkung des Einbürgerungsbewerbers gestellt. Einem Einbürgerungsbewerber, der seinen Einbürgerungsanspruch - wie die Klägerin - auf Art. 2 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29. Juni 1977 (BGBl. I, S. 1101) stützt, obliege es nachzuweisen, dass er alle ihm zu Gebote stehenden Wege, von dem in Betracht kommenden anderen Staat, zu dem er eine besondere Beziehung hat, tatsächlich und rechtlich als dessen Staatsangehöriger behandelt zu werden, erfolglos beschritten hat (VGH BW aaO., S. 19 UA). Wenn hingegen offen bleibt, ob der Eingebürgerte noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt, besteht auf Dauer eine Rechtsunsicherheit, die grundsätzlich vermieden werden muss. Es ist deshalb nicht vertretbar, dass bei den Staaten, die - wie der Libanon - die Aufklärung von Staatsbürgerschaften erschweren, von vornherein auf zumutbare Bemühungen des Einbürgerungsbewerbers verzichtet wird, eine Klärung herbeizuführen. Die Rechtsordnung in Deutschland geht davon aus, dass eine Person entweder eine Staatsangehörigkeit hat oder staatenlos ist. Die Rechtsposition einer ungeklärten Staatsangehörigkeit im Sinne eines dritten Status gibt es dagegen nicht (Mühl-Jäckel, Rechtsfragen einer ungeklärten Staatsangehörigkeit, Festschrift für Günter Berge, Berlin 1989, S. 57 f.). Ist eine weitere Klärung der Staatsangehörigkeit eines Einbürgerungsbewerbers ausgeschlossen oder hat er alles ihm Zumutbare unternommen, eine Klärung herbeizuführen, kommt ein Festhalten an der während der Ermittlungen noch ungeklärten Staatsangehörigkeit nicht mehr in Betracht. Vielmehr ist in diesen Fällen zu entscheiden, ob Überwiegendes für eine bestimmte Staatsangehörigkeit des Einbürgerungsbewerbers oder für dessen Staatenlosigkeit spricht. Daran ist auch die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag auszurichten.

Im Fall der Klägerin spricht nach ihrem Vorbringen und dem libanesischen Staatsangehörigkeitsrecht Überwiegendes für den Erwerb der libanesischen Staatsangehörigkeit nach ihrem auf dem Gebiet des Großlibanon geborenen Vaters. Diese Staatsangehörigkeit hat der libanesische Staat bisher weder anerkannt, aber auch noch nicht endgültig verweigert. Unter der Voraussetzung, dass die Klägerin das ihr Zumutbare noch unternimmt, eine Klärung ihrer Beziehungen zum Libanon herbeizuführen, könnte sie unter Hinnahme einer (möglichen) Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, sofern sie gegenüber der Beklagten vorsorglich auf eine etwaige libanesische Staatsangehörigkeit verzichtet und auch die übrigen Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG erfüllt sind.

Nach Auffassung des Senats lässt sich derzeit nicht feststellen, dass die Klägerin die ihr zumutbaren Anstrengungen zur Klärung der auch nach ihrem eigenen Vorbringen wahrscheinlichen libanesischen Staatsangehörigkeit unternommen hat. Insoweit ist es ihr im Rahmen der gesetzlich gebotenen Mitwirkung zuzumuten, Mittelspersonen mit Nachforschungen in Beirut hinsichtlich möglicher Eintragungen ihres Vaters in die verschiedenen Register zu beauftragen und die nachprüfbaren Ergebnisse dieser Bemühungen der Beklagten vorzulegen. Auch wenn sie selbst kein Interesse an einer libanesischen Staatbürgerschaft hat und persönliche Beziehungen in den Libanon nicht unterhält, besteht ihre Verbindung zum libanesischen Staat in ihrer Abstammung von ihrem dort geborenen Vater.

Grundsätzlich besteht nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand auch durchaus die Möglichkeit, dass der Libanon die Klägerin wegen einer geänderten Rechtspraxis als libanesische Staatsangehörige anerkennt. Mitte der 90er Jahre wurden im Libanon etwa 130.000 Kurden "eingebürgert". Im Hinblick auf den mit der Veränderung der politischen Verhältnisse im Libanon einhergehenden Wegfall der "demografischen Sperre", die früher die Einbürgerung von Muslimen verhindert hat, und der damit verbundenen Änderung der Einbürgerungspraxis gegenüber staatenlosen Kurden spricht auch heute einiges dafür, dass dem Vater der Klägerin und ihr selbst die libanesische Staatsangehörigkeit zuerkannt werden könnte (vgl. VGH BW, aaO.).

Ohne Erfolg hält die Klägerin dem die mit der Beschaffung von Personenstandsurkunden verbundenen Kosten entgegen. Das Einbürgerungsverfahren ist nicht kostenfrei. Die zu erwartenden Kosten erscheinen auch bei Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse der Klägerin durchaus als noch tragbar, zumal sich diese bei der zu erwartenden Mithilfe von Angehörigen oder Bekannten im Libanon in Grenzen halten dürften.

Die Klägerin kann ihre Einbürgerung aber auch deshalb nicht beanspruchen, weil sie als Bezieherin von Arbeitslosengeld II ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen den Lebensunterhalt für sich und ihre unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht bestreiten kann (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG). Die hier gemäß § 40c StAG noch zu berücksichtigende Ausnahmeregelung für Ausländer, die das 23. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 1. Alt. StAG in der bis zum 27.8.2007 geltenden Fassung), greift im Fall der Klägerin nicht. Nach überwiegender und nach Auffassung des Senats zutreffender Ansicht kommt es bei dieser Privilegierung jüngerer Ausländer nicht auf den Zeitpunkt des Einbürgerungsantrags, sondern auf den der verwaltungsbehördlichen bzw. gerichtlichen Entscheidung an (GK-StAR, § 10 Rn. 211 u. 259). Diese Ausnahmeregelung soll zwar jüngere Ausländer begünstigen, die beruflich noch nicht gefestigt sind oder sich noch in einer Ausbildung befinden, so dass sie den Lebensunterhalt für sich und ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen nur teilweise oder gar nicht bestreiten können, ohne dass dies ihrer Einbürgerung entgegen stehen soll. Ist die Altersgrenze im Zeitpunkt der Einbürgerungsentscheidung aber - wie hier - überschritten, besteht kein Anlass für eine weitere Anwendung dieser Privilegierung auf den Fall, dass der Einbürgerungsantrag früher gestellt worden ist. Ein etwaiges Vertrauen des Einbürgerungsbewerbers auf die Fortgeltung der Privilegierung ist rechtlich nicht geschützt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin den Leistungsbezug auch zu vertreten. Zwar sind ihre minderjährigen Kinder betreuungsbedürftig. Zu berücksichtigen ist ferner die Schwerbehinderung ihres jüngsten Kindes. Ist die Pflege von Angehörigen aber auf andere Weise als die Betreuung durch den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gesichert, ist dessen Arbeitsaufnahme zumutbar. So liegt es auch hier.

2. Derzeit kann die Klägerin auch nicht nach Art. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29. Juni 1977 (BGBl. I, S. 1101), geändert durch Gesetz vom 15. Juli 1999 (BGBl. I, S. 1622) eingebürgert werden, weil auch ihre Staatenlosigkeit nicht feststeht. Staatenlos im Sinne des Gesetzes ist eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörige ansieht. Dabei muss die Staatenlosigkeit de jure bestehen, eine Staatenlosigkeit de facto reicht nicht aus (BVerwGE 92, 116 ff.). Eine de jure Staatenlosigkeit der Klägerin besteht nicht, sofern sie libanesische Staatsangehörige ist. Dies ist nach den obigen Ausführungen derzeit aber noch offen. Eine Entscheidung über die Frage der Staatenlosigkeit kann demzufolge erst getroffen werden, sofern weitere Bemühungen der Klägerin um Klärung ihrer libanesischen Staatsangehörigkeit aussichtslos erscheinen oder nicht zumutbar sind. Auf die obigen Ausführungen kann daher verwiesen werden.