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Zitieren als:
, Urteil vom 10.09.2008 - 13 LB 208/07 - asyl.net: M14093
https://www.asyl.net/rsdb/M14093
Leitsatz:

Ein Einbürgerungsbewerber kann sich nicht mehr gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG auf den Besitz eines Reiseausweises nach Art. 28 GFK berufen, wenn sein Asylstatus vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerrufen oder zurückgenommen ist. Die Verbindlichkeit der Entscheidung über den Asylantrag ist bereits vor Eintritt der Bestandskraft des Widerrufs oder der Rücknahme entfallen (§ 73 Abs. 2c AsylVfG).

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Hinnahme der Mehrstaatigkeit, Asylberechtigte, Konventionsflüchtlinge, Widerruf, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Suspensiveffekt, Bindungswirkung, Anerkennungsbescheid, Anfechtungsklage, Reiseausweis, Flüchtlingsausweis
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; AsylVfG § 73 Abs. 2c; AsylVfG § 4
Auszüge:

Ein Einbürgerungsbewerber kann sich nicht mehr gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG auf den Besitz eines Reiseausweises nach Art. 28 GFK berufen, wenn sein Asylstatus vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerrufen oder zurückgenommen ist. Die Verbindlichkeit der Entscheidung über den Asylantrag ist bereits vor Eintritt der Bestandskraft des Widerrufs oder der Rücknahme entfallen (§ 73 Abs. 2c AsylVfG).

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg. Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nicht zu.

Die Kläger können sich insbesondere nicht mit Erfolg auf § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG berufen. Die Kläger sind zwar noch im Besitz rechtmäßiger Reiseausweise. Ihr Reiseausweis ist jedoch zum derzeitigen, für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt rechtlich nicht mehr beachtlich. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mit den Bescheiden vom 4./5. April 2006 nach § 73 AsylVfG die Asylanerkennung der Kläger und die Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft widerrufen. Ihre dagegen beim Verwaltungsgericht Braunschweig erhobene Klage hat zwar gemäß § 75 AsylVfG aufschiebende Wirkung. Deshalb müssen sie der aus §§ 73 Abs. 6, 72 Abs. 2 AsylVfG folgenden Pflicht, den Reiseausweis unverzüglich bei der Ausländerbehörde abzugeben, erst mit Eintritt der Bestandskraft der Widerrufsbescheide nachkommen. Ihr Reiseausweis ist jedoch aufgrund der besonderen Regelung des § 73 Abs. 2c AsylVfG (bis zum 27.8.2007 § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG) für das Einbürgerungsverfahren rechtlich nicht mehr beachtlich.

Danach fällt für Einbürgerungsverfahren die in § 4 AsylVfG geregelte Verbindlichkeit der Entscheidung über den Asylantrag schon vor der Bestandskraft des Asylwiderrufs weg. Das Verwaltungsgericht hat diese Vorschrift in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht erwähnt. Sie ist aber gerade in Einbürgerungsverfahren zu berücksichtigen und nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass bis zur Bestandskraft des Asylwiderrufs nicht nur die Asylanerkennung "unverbindlich" und damit als nicht mehr wirksam zu behandeln ist, sondern auch ein aufgrund der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung ausgestellter Reiseausweis. Der Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes, der die Vorschrift auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses (vgl. BT-Drucksache 15/3479, S. 14) aufgenommen hat, ohne dass eine nähere Begründung hierzu vorliegt (vgl. BT-Drucksache 15/420 S. 112), hat die für den Einbürgerungsbewerber günstige Hinnahme von Mehrstaatigkeit nicht mehr, wie nach dem bis Ende 2004 geltenden § 87 Abs. 1 Nr. 6 AuslG, an den Status eines politisch Verfolgten im Sinne von § 51 AuslG geknüpft, sondern nur noch an den Besitz eines Reiseausweises. Damit wollte er jedoch den Grund für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit nicht von dem Status als politischer Flüchtling trennen und rein abstrakt auf den Besitz eines Reiseausweises abstellen (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 17.2.2005 - 5 B 04.392 -, juris), sondern lediglich die Ausnahmeregelung für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit in § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG an die Systematik des mit dem Zuwanderungsgesetzes erlassenen Aufenthaltsgesetzes anpassen (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drucksache 15/420, S. 116). Anderenfalls liefe § 73 Abs. 2c AsylVfG in der Tat auch leer. Wenn diese Regelung nur zur Unverbindlichkeit des Asyl- bzw. Flüchtlingsstatus führen würde, wäre Mehrstaatigkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG, der auf den (rechtmäßigen) Besitz des Reiseausweises abstellt, stets unabhängig von einem Verfahren nach § 73 AsylVfG über den Widerruf der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung wegen des durch Klageerhebung nach § 75 AsylVfG eingetretenen Suspensiveffektes hinzunehmen. Denn die Pflicht zur Abgabe des Reiseausweises besteht für den Inhaber erst dann, wenn der Asylwiderruf unanfechtbar geworden ist. Insoweit hätte es für die Fälle nicht bestandskräftig abgeschlossener Widerrufsverfahren dieser besonderen Regelung in Einbürgerungsverfahren nicht bedurft. § 73 Abs. 2c AsylVfG ergibt nur dann einen Sinn, wenn im Fall der Bekanntgabe einer Widerrufs- bzw. Rücknahmeentscheidung des Bundesamtes der davon betroffene Einbürgerungsbewerber sich nicht mehr auf seinen bisherigen Status als politischer Flüchtling und den Besitz eines darauf beruhenden Reiseausweises berufen kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.11.2005 - 12 S 1695/05 -, InfAuslR 2006, 230). Denn Zweck der Regelung ist es, den mit einem Widerrufsverfahren konfrontierten Statusberechtigten im Einbürgerungsverfahren so zu stellen, als wäre der Statusbescheid nicht ergangen (GK-AsylVfG, § 73 RdNr. 109). Für seine Intention, die für Einbürgerungsbewerber günstige Entbehrlichkeit des Verlustes oder der Aufgabe der früheren Staatsangehörigkeit gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG nicht lediglich aufgrund der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft zu gewähren, bedurfte der Gesetzgeber der Regelung des § 73 Abs. 2c AsylVfG. Sonst hätte wegen des Suspensiveffektes nach § 75 i.V.m. § 4 AsylVfG der Status als Flüchtling bis zur Bestandskraft des Widerrufsbescheides weiter gegolten.