VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 24.09.2008 - 2 K 94/08 - asyl.net: M14097
https://www.asyl.net/rsdb/M14097
Leitsatz:

Die Durchführung einer Anhörung führt nicht zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung.

Schlagwörter: Italien (A), Verfahrensrecht, Verordnung Dublin II, Asylantrag, Zulässigkeit, Abschiebungsanordnung, EURODAC, illegale Einreise, Fälschung, Geburtsurkunde, Alter, Selbsteintrittsrecht, Anhörung, humanitäre Klausel, Familienangehörige
Normen: AsylVfG § 27a; AsylVfG § 34a Abs. 1; VO EG/343/2003 Art. 10 Abs. 1; VO EG/343/2003 Art. 6; VO EG/343/2003 Art. 3 Abs. 2; VO EG/343/2003 Art. 2 Bst. i
Auszüge:

Die Durchführung einer Anhörung führt nicht zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung.

(Leitsatz der Redaktion)

Hinsichtlich der Ziffern 2 bis 4 des Klageantrags ist die Klage zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.01.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gemäß § 27 a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und dem Kläger gegenüber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung nach Italien angeordnet.

Ausgehend davon ergibt sich vorliegend die Zuständigkeit Italiens für den Asylantrag des Klägers aus Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO. Nach dessen Satz 1 ist im Falle, dass auf der Grundlage von Beweismitteln und Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel 3 der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt wird, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend, die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten hat, dieser Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Vorliegend wurde auf der Grundlage eines EURODAC-Treffers festgestellt, dass der Kläger aus dem Irak kommend auf dem Seeweg zunächst illegal in Italien eingereist war, was dieser selbst in seiner Anhörung am 13.09.2007 auch eingeräumt hat. Aus der im EURODAC-System enthaltenen Kennziffer "IT 1 FG00R72" folgt dabei des Weiteren, dass der Kläger in Italien (Buchst. "IT") auch bereits einen Asylantrag (Nr. "1") gestellt hat, denn gemäß Art. 2 Abs. 3 Satz 4 der Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 werden Daten von Asylbewerbern mit "1" gekennzeichnet. Dem entsprechend hat sich die Republik Italien mit Schreiben vom 13.11.2007 zur Wiederaufnahme des Klägers und Bearbeitung dessen Asylantrags bereit erklärt.

Das Vorbringen des Klägers, die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland ergebe sich daraus, dass diese von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO Gebrauch gemacht habe, bleibt ebenfalls erfolglos. Entgegen der Auffassung des Klägers kann vorliegend von einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides nicht ausgegangen werden. Insbesondere kann aus der seitens des Bundesamtes am 13.09.2007 durchgeführten Anhörung des Klägers keine derartige Schlussfolgerung gezogen werden. Diese Anhörung begründete kein Vertrauen darauf, dass sich die Bundesrepublik Deutschland für die Entscheidung über das Asylbegehren als zuständig erachtet. Vielmehr dient die Anhörung gerade auch dem Ziel, Angaben über Reisewege und Aufenthalte in anderen Staaten sowie darüber zu erhalten, ob bereits in anderen Staaten ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist und soll gerade auch eine Grundlage für eine Entscheidung nach § 27 a AsylVfG sein (vgl. § 25 Abs. 1 AsylVfG). Allein die Anhörung des Klägers reicht nicht aus, die für eine Übernahme notwendige Absicht, über das Asylbegehren auch in der Sache zu entscheiden, anzunehmen (vgl. VG Trier, Urteil vom 21.05.2008 – 2 K 48/08.TR -, juris unter Hinweis auf VG Karlsruhe, Urteil vom 18.03.2003 – A 5 K 12106/99 – und VG Bremen, Beschluss vom 07.04.2000 – 4 V 711/00.A -).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass dem Kläger neben den an ihn gerichteten gezielten Fragen über seine Person, seinen Reiseweg sowie insbesondere seinen Aufenthalt in Italien Gelegenheit gegeben wurde, auch seine Asylgründe kurz vorzutragen, wobei die Niederschrift der Asylgründe aber lediglich etwa eine DIN A 4-Seite umfasst. Von einer intensiven Befragung zu den Asylgründen kann insoweit entgegen der Darstellung des Klägers nicht die Rede sein. Vielmehr belegt die Tatsache, dass der die Anhörung durchführende Sachbearbeiter ausweislich der Verwaltungsakten noch am Tag der Anhörung ein sogenanntes "Dublin-Verfahren" einleitete und den Vorgang an das Dublin-Referat 431 abgab, dass die Anhörung als solche keine Ausübung des Selbsteintrittsrechts darstellte, sondern es in erster Linie zunächst um die Prüfung der Zuständigkeit ging.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts. Dabei kann dahinstehen, ob bzw. inwieweit die Selbsteintrittskompetenz eines EU-Mitgliedsstaates nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO überhaupt ein subjektives Recht eines Asylbewerbers zu begründen vermag oder ob es sich dabei um ein bloßes Recht des einzelnen Unterzeichnerstaates des Dubliner Übereinkommens im Verhältnis zu den anderen Unterzeichnerstaaten handelt (vgl. zum Streitstand u.a. VG München, Urteil vom 30.05.2008 – M 16 K 07.51049 -; VG Ansbach, Urteil vom 18.07.2008 – AN 19 K 08.30206 -; juris).

Jedenfalls sind Gründe, die die Beklagte verpflichten könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Insbesondere sind keine besonderen humanitären Gründe im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO erkennbar, die Anlass für eine Prüfung des Asylantrags des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland böten. Allein der Aufenthalt mehrerer Verwandter des volljährigen Klägers in der Bundesrepublik Deutschland, bei denen es sich allesamt nicht um "Familienangehörige" im Sinne von Art. 2 lit. i Dublin II-VO handelt, reicht dafür nicht aus. Der Einwand des Klägers, dass er nach seiner ersten Rückführung nach Italien im Februar 2008 von den dortigen Behörden nicht betreut worden sei, verhilft ihm ebenfalls nicht weiter. Zum einen hält das Gericht diese Behauptung ebenso für unglaubhaft wie die zur Erlangung eines legalen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt geltend gemachte Minderjährigkeit. Zum anderen ist die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien zunächst Sache der Republik Italien und wäre es allein Aufgabe der Organe der Europäischen Union, die Einhaltung der durch Europäisches Recht vorgegebenen Mindeststandards durchzusetzen (vgl. VG München, Urteil vom 07.03.2008 – M 4 K 08.50006 -, juris).