VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 12.08.2008 - 2 K 20/08 - asyl.net: M14100
https://www.asyl.net/rsdb/M14100
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Folgeantrag, Ehebruch, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Ehrenmord, Übergriffe, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, bewaffneter Konflikt, Anerkennungsrichtlinie, allgemeine Gefahr, interner Schutz, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c; RL 2004/83/EG Art. 8
Auszüge:

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Dem Kläger steht weder der in der Hauptsache verfolgte, auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtete Anspruch noch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu.

Der die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie die Abänderung des Bescheides vom 12.12.2003 bzgl. der Feststellung zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG - nunmehr § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG - ablehnende Bescheid der Beklagten vom 12.12.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des von dem Kläger in der Hauptsache geltend gemachten Begehrens schon deshalb nicht vor, weil das von dem Kläger vorgelegte Dokument (Versöhnungsprotokoll) kein Beweismittel ist, das bei Vorliegen im Erstverfahren i. S. v. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Zu Recht weist die Beklagte insoweit darauf hin, dass die von dem Kläger von den genannten privaten Dritten (der Familie seiner angeblich früheren Geliebten) befürchteten Übergriffe nicht zielgerichtet an die in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten asylerheblichen Merkmale (Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung) anknüpfen. Soweit der Kläger geltend macht, im Hinblick auf die Wertvorstellungen innerhalb der islamischen Religion sei das Eingehen einer ehebrecherischen Beziehung verwerflich und familiäre Sanktionen knüpften von daher an das asylerhebliche Merkmal der Religionszugehörigkeit an, dringt er damit nicht durch. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass die behaupteten Nachstellungen durch die Familie seiner Geliebten an das ehebrecherische Verhältnis und die Zeugung eines unehelichen Kindes anknüpfen und ersichtlich nicht von der Religionszugehörigkeit des Klägers - der insoweit auch Christ oder Atheist sein könnte – abhängen.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat es zunächst bei der Feststellung aus dem Erstverfahren zu verbleiben, dass dem Kläger keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Rückkehr in den Irak droht.

Nach Darlegung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung existiert noch eine große Familie (Mutter, Bruder, zwei Schwestern) im Irak; etwaigen Nachstellungen durch die Familie seiner angeblichen Geliebten, die in dem Ort ... lebe, kann sich der Kläger zudem bereits dadurch entziehen, dass er sich in einem von ... ausreichend entfernten Teil des Zentral- bzw. Südirak niederlässt. Ein Ausweichen in die kurdisch verwalteten Provinzen des Nordirak ist deshalb nicht geboten, selbst wenn der Kläger, der angeblich nur noch mit seiner Mutter Kontakt hält, sich nicht am Wohnsitz seiner Familie in Bagdad im Stadtteil ... ansiedeln wollte. Im Übrigen ist nach wie vor nicht erkennbar, wie die Familie seiner Geliebten von seiner Rückkehr überhaupt Kenntnis erlangen sollte; dies ist jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Von daher ist dem Kläger ersichtlich auch mit Blick auf Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie betreffend den internen Schutz, der gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergänzend anwendbar ist, eine Rückkehr in den Irak zumutbar.

Ein Abschiebungsverbot lässt sich für den Kläger weiter nicht aus der im Zuge des Richtlinienumsetzungsgesetzes neu eingefügten Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG herleiten. Es entspricht der Rechtsprechung der Kammer, dass auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine allgemeine Gefahrenlage nicht genügen lässt, sondern eine individuelle Bedrohung voraussetzt, und damit auch mit Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie konform geht (vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 04.07.2008 – 2 K 300/08 -; BVerwG, Beschluss vom 15.05.2007 – 1 B 217/06 – VG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.08.2007 – A 2 AS 229/07 -, jeweils zitiert nach juris; Hailbronner, Die Qualifikationsrichtlinie und ihre Umsetzung im deutschen Ausländerrecht, ZAR 2008, 209, 214).

Individuelle Gefahren drohen dem Kläger allerdings nicht.

Schließlich hat es auch unter Berücksichtigung der seitherigen tatsächlichen Entwicklung dabei zu verbleiben, dass der Kläger wie bereits in dem Urteil vom 15.11.2005 – 12 K 114/05.A – im Einzelnen dargelegt – S. 13 bis 15 des Urteilsabdruckes – einer extremen Gefahrenlage bei Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht ausgesetzt sein wird.

Es entspricht der nach dem Urteil in dem Erstverfahren entwickelten und gefestigten Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte (vgl. dazu grundlegend OVG des Saarlandes, Urteil vom 29.09.2006 – 3 R 6/06 - sowie u.a. Urteil der Kammer vom 13.03.2008 – 2 K 645/07 - ), dass irakische Staatsangehörige allein wegen der allgemein im Irak bestehenden Gefahren aufgrund der unzureichenden Sicherheitslage die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 2 AufenthG nicht beanspruchen können. Denn ungeachtet der aufgrund anhaltender Anschläge im Irak bestehenden Gefährdung für die dort lebenden Menschen rechtfertigt die Anzahl der durch Terrorakte sowie andauernde Kampfhandlungen zu beklagenden zivilen Opfer, die sich in einer Größenordnung um 100.000 bewegt, in Relation zu der ca. 27,5 Millionen Menschen betragenden Bevölkerungszahl des Irak auch unter Berücksichtigung einer "Dunkelziffer" nicht die Annahme, jeder Iraker werde im Falle seiner Rückkehr unmittelbar und landesweit Gefahr laufen, Opfer entsprechender Anschläge oder Kampfhandlungen zu werden (vgl. zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 12.03.2007 – 3 Q 114/06 -, wonach bezogen auf die Gesamtbevölkerung des Irak die landesweite Anschlagsdichte bei lediglich 0,37 % liegt).