VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Beschluss vom 22.08.2008 - 3 L 849/08.KO - asyl.net: M14101
https://www.asyl.net/rsdb/M14101
Leitsatz:

Zwar ist das Erfordernis einfacher deutscher Sprachkenntnisse vor dem Ehegattennachzug grundsätzlich mit höherrangigem Recht vereinbar, aber im Einzelfall kann es im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit mit Rücksicht auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK notwendig sein, davon abzusehen, wenn die daraus resultierende Hinderung der Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft voraussichtlich nicht von relativ kurzer Dauer sein wird.

 

Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Aufenthaltserlaubnis, Sprachkenntnisse, geringer Integrationsbedarf, Verfassungsmäßigkeit, Schutz von Ehe und Familie, Verhältnismäßigkeit, Familienzusammenführungsrichtlinie, Russland, Russen, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; GG Art. 6; EMRK Art. 8; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 30 Abs. 1 S. 3 Nr. 3; IntV § 4 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Zwar ist das Erfordernis einfacher deutscher Sprachkenntnisse vor dem Ehegattennachzug grundsätzlich mit höherrangigem Recht vereinbar, aber im Einzelfall kann es im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit mit Rücksicht auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK notwendig sein, davon abzusehen, wenn die daraus resultierende Hinderung der Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft voraussichtlich nicht von relativ kurzer Dauer sein wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches vom 28. Juli 2008 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juli 2008 gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - steht der Antragstellerin derzeit nicht zu.

Denn die Antragstellerin erfüllt schon nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 5 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Hiernach setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet voraus, dass der ausländische Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Davon ist im Falle der Antragstellerin selbst nach ihrem eigenen Vorbringen derzeit nicht auszugehen, so dass dies im Ergebnis der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegensteht.

Auch ein Ausnahmefall nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AufenthG kommt vorliegend nicht in Betracht. Die ausdrücklich auf § 43 Abs. 4 AufenthG gestützte Integrationskursverordnung - IntV - nennt für einen geringen Integrationsbedarf in ihrem § 4 Abs. 2 Satz 2 IntV vorliegend nicht gegebene Regelbeispiele. Zwar verfügt die Antragstellerin ausweislich der von ihr zur Verwaltungsakte (Bl. 19) gereichten Kopie eines russischen Diploms (akademische Bildung) über eine Ausbildung zur Werbekauffrau, womit der Anwendungsbereich des Regelbeispiels nach § 4 Abs. 2 Nr. 1a) IntV eröffnet ist. Allerdings strebt sie nach derzeitiger Aktenlage keine entsprechende Beschäftigung in Deutschland an, so dass die Voraussetzungen der genannten Regelung nicht erfüllt sind. Anhaltspunkte für das Vorliegen ungeschriebener Regelbeispiele bei der Antragstellerin sind ebenfalls nicht erkennbar.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin steht das neu eingeführte Spracherfordernis für nachzugswillige Ehegatten gemäß §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch im Einklang mit höherrangigem Recht. Dies gilt zunächst für Art. 6 Grundgesetz - GG - und Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte - EMRK -, die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellen und an denen die hier in Rede stehende Regelung zu messen ist. Zwar greift die Regelung in den Schutzbereich dieser Bestimmungen ein, denn sie kann die Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet jedenfalls vorübergehend für die ungewisse Dauer des ausreichenden Spracherwerbs verhindern. Das Grundgesetz gewährt den Ehegatten die Freiheit, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu führen, indes nicht uneingeschränkt. Die Grundrechtsträger können Eingriffe in ihre Freiheitssphäre nicht abwehren, die zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich sind und die das Maß der Freiheitsbeschränkung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit durch die Regelung erwachsenden Vorteilen halten. Der Gesetzgeber hat gerade bei aufenthaltsrechtlichen Regelungen für ausländische Staatsangehörige einen politischen Gestaltungsspielraum, der insbesondere die Festlegung und die Gewichtung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange umfasst.

Nach diesem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 76, 1 ff.) entwickelte Maßstab verstößt das sprachliche Nachzugserfordernis nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK. Es liegt auf der Hand, dass rechtzeitig erworbene Kenntnisse der Sprache des neuen Gastlandes die wünschenswerte schnelle Integration des zuziehenden Ausländers erleichtern können. An der schnellen Integration des zuziehenden Ausländers besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse. Dies erklärt sich aus den in den letzten Jahren vermehrt zu verzeichnenden gesellschaftlichen Problemen, die sich insbesondere im Zusammenhang mit mangelnder oder gar fehlgeschlagener Integration manifestieren. Als eine der Hauptursachen für diese Entwicklung werden unter anderem einhellig mangelnde Sprachkenntnisse angesehen. Es versteht sich von selbst, dass Defizite in diesem Bereich sich nahezu zwangsläufig nachteilig sowohl im Bereich der Kindererziehung und damit im Bildungssektor wie auch im Bereich des Arbeitsmarktes auswirken und damit einer zügigen Integration entgegenstehen. Dies hat der Gesetzgeber aufgegriffen und gerade bei der Neuregelung des Aufenthaltsgesetzes einen Schwerpunkt auf die Integration ausländischer Mitbürger gelegt. Dabei ist das Erlernen der deutschen Sprache ein zentraler Punkt. Vor diesem Hintergrund stellt im Regelfall der ohnehin auf einfache Kenntnisse beschränkte Spracherwerb keine unzumutbaren Anforderungen an den nachzugswilligen ausländischen Ehegatten. Wer für sich die Entscheidung trifft, künftig in einem anderen Land zu leben, muss sich darüber im Klaren sein, dass auf ihn gewisse Anpassungs- und Integrationsleistungen zukommen. Dazu gehört nicht zuletzt das Erlernen einer fremden Sprache. Die besondere Anforderung, dass in einem begrenzten Umfang Sprachkenntnisse bereits vor der Einreise erworben werden müssen, ist vertretbar und vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Die erleichterte Integration eines zuziehenden Ausländers im Bundesgebiet, die ein Hauptzweck der gesetzlichen Neuregelung ist, erfordert wenigstens das Beherrschen einfacher Sätze, da eine schnelle Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände und eine baldige Teilnahme am Sozialleben ansonsten kaum möglich sein dürfte. Gerade der ausdrückliche Zweck der Regelung, auch den neu zuziehenden Opfern von Zwangsverheiratungen mehr Schutz vor ihrer Schwiegerfamilie zu bieten, erfordert den Spracherwerb bereits vor und nicht erst nach der Einreise (siehe Drucksache 16/5065 des Deutschen Bundestages vom 23. April 2007, Seite 173 f.).

Diesem Normverständnis liegt freilich die - auch vom Gesetzgeber unterstellte - Prämisse zugrunde, dass die geforderten einfachen Sprachkenntnisse in der Regel seitens des zuzugswilligen Ausländers in relativ kurzer Zeit erlernt werden können. Damit ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch im Lichte des Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK sichergestellt, dass die aus der Regelung der §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG resultierende Hinderung der Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft nur von relativ kurzer Dauer sein wird. Nur wenn dies im Einzelfall nicht gewährleistet sein sollte, etwa weil im Herkunftsland des einreisewilligen Ausländers keine zumutbaren Möglichkeiten bestehen, sich die nötigen Deutschkenntnisse in angemessener Zeit anzueignen, wäre im konkreten Einzelfall im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit mit Rücksicht auf Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK vom Spracherfordernis nach §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ausnahmsweise abzusehen.

Ausgehend von dieser Auslegung der vorgenannten Bestimmungen stehen diese aus denselben Erwägungen auch im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22. September 2003 (Amtsbl. L 251 vom 3. Oktober 2003, Seite 12) (ebenso VG Berlin, Urteil vom 19. Dezember 2007 - VG 5 V 22.07 - juris; zur Frage der Vereinbarkeit des Spracherfordernisses mit Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und der vorgenannten Richtlinie vergleiche auch Gemeinschaftskommentar Aufenthaltsgesetz, Loseblattsammlung, § 30 Rdnr. 51 bis 98 m.w.N.).

Unter Anwendung dieses Maßstabes besteht im Falle der Antragstellerin keine Notwendigkeit, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von dem Spracherfordernis abzusehen. Besondere Gründe, die ihr eine Rückkehr in ihr Heimatland Russland zum Zwecke der Erlangung der geforderten Grundkenntnisse der deutschen Sprache unzumutbar machen, hat die Antragstellerin nicht dargetan. Solche sind auch sonst für die Kammer nicht ersichtlich.