VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 08.09.2008 - 7 E 1157/07.A (1) - asyl.net: M14105
https://www.asyl.net/rsdb/M14105
Leitsatz:

Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung der Religionsfreiheit eines iranischen Staatsangehörigen, der zum serbisch-orthodoxen Christentum übergetreten ist und als Geistheiler aktiv ist.

 

Schlagwörter: Iran, Konversion, Apostasie, Christen (serbisch-orthodoxe), Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Folgeantrag, Genfer Flüchtlingskonvention, Refoulementverbot, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Geistheiler, Medienberichterstattung, Religionsfreiheit, Europäische Menschenrechtskonvention, Missionierung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; GFK § 33; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 9 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung der Religionsfreiheit eines iranischen Staatsangehörigen, der zum serbisch-orthodoxen Christentum übergetreten ist und als Geistheiler aktiv ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat zunächst keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG und auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Nach § 28 Abs. 1 AsylVfG wird der Kläger nicht als Asylberechtigter anerkannt, weil die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat und dieser Entschluss nicht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar getätigten Überzeugung entspricht. Der Kläger hat sich erst nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland für das Christentum interessiert und entsprechende Aktivitäten entfaltet. Es fehlt daher an einer festen, bereits im Iran erkennbar betätigten Überzeugung, etwa der Ausübung des christlichen Glaubens. Die Ausschlussregelung des § 28 Abs. 1 AsylVfG trifft auch auf die vor drei Jahren begonnene Tätigkeit als Geistheiler zu.

Auch ein Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG scheidet nach § 28 Abs. 2 AsylVfG aus, da der Kläger nach unanfechtbarem Abschluss eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag gestellt hat und sein Vorbringen dabei auf Umstände im Sinne des § 28 Abs. 1 AsylVfG gestützt hat, die nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden sind.

Dabei folgt das Gericht nicht der Ansicht des VG Stuttgart im Urteil vom 18.04.2005 (A 11 K 12040/03), wonach im Hinblick auf § 33 GFK im Regelfall auch dann, wenn das Vorbringen auf Umstände i.S.d. § 28 Abs. 1 AsylVfG gestützt wird, die Feststellung, dass dem Ausländer die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen trotz des entgegenstehenden Wortlautes des Abs. 2 getroffen werden kann. So wird in der Begründung zu § 28 Abs. 2 AsylVfG (BT-Drucksache 15/538 zu Art. 3 Nr. 18; zitiert nach VG Stuttgart Urt. v. 18.04.2005 (Az. A 11 K 12040/03) ausgeführt, das durch die Versagung auch des "kleinen Asyls" nach § 60 Abs. 1 AufenthG keine Schutzlücke entstehe, weil es noch andere Rechtsgrundlagen für Schutz vor Abschiebungen bei konkreten Gefahren gebe und die Genfer Flüchtlingskonvention lediglich bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 1 GFK einen Abschiebungsschutz für die Dauer der Bedrohung garantiert (so auch Bay.VGH, Beschluss vom 10.06.2008 - 14 2B 08.30211 in juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 07.07.2008 - 9 LB 52/06 in juris).

In der Person des Klägers liegen aber die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK und die des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor, weshalb die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres streitbefangenen Bescheides zu dieser Feststellung zu verpflichten ist.

Angesichts der vorgetragenen und glaubhaften Nachfluchtaktivitäten des Klägers, Zuwendung zum christlichen Glauben, Beitritt zur serbisch-orthodoxen Kirche vom 2006 und Auftritt als Geistheiler in einem persischsprachigen Sender, der von USA aus in den Iran ausstrahlt, hat es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterlassen, gem. § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG sein pflichtgemäßes Ermessen dahin auszuüben, dem Kläger ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG und nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zuzuerkennen. Der angegriffene Bescheid erweist sich daher wegen des Verstoßes gegen eine fehlerfreie Ermessensausübung als rechtswidrig.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - (BGBl 1952 II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

Die Unzulässigkeit der Abschiebung ergibt sich hier daraus, dass die Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK in ihrem Kernbereich im Iran nicht garantiert ist.

Nach Art. 9 Abs. 1 der Konvention hat nämlich jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Nach Abs. 2 darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind. Zu dem menschenrechtlichen Mindeststandard, dessen Missachtung in einem Nicht-Vertragsstaat eine Abschiebung dorthin unzulässig machen kann, gehört ein unveräußerlicher - nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht beschränkbarer - Kern der Religionsfreiheit, der für die personelle Würde und Entfaltung eines jedem Menschen unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 - 1 C 17/01 -, BVerwGE 111, 223-230). Dessen Verletzung kann im Einzelfall zu einem Abschiebungsverbot aus der EMRK führen.

Nach dem Vortrag der Klägerseite ist der Kläger als Geistheiler aktiv, hat sich seit einigen Jahren dem Christentum zugewandt und ist am ... 2006 zur serbisch-orthodoxen christlichen Kirche beigetreten. Eine Taufurkunde diesen Datums liegt in Abschrift vor. Der Kläger hat weiter vorgetragen, dass er seit Jahren in Fernsehsendungen des iranischsprachigen Programms ..., welches in vierzig Länder der Welt ausgestrahlt werde, als Geistheiler auftrete. Er unterhalte eine eigene Sendung und spreche über seine Berufung als Geistheiler und zeige, wie er die Menschen heile. Der Kläger sei daher eine öffentliche Person. Aufnahmen seiner Sendungen aus dem Studio in ... würden in der Regel in dem Hauptstudio in ... überarbeitet und mit dem Namen und Telefonnummer des Klägers ausgestrahlt. Außerdem liefen seine Werbungen in dem oben genannten Programm vierundzwanzig Mal am Tag. Aufgrund dieses vorgetragenen werbenden Engagements des Klägers für seine Berufung und Praktiken als Geistheiler und seiner glaubhaft gemachten Konversion, kann das Gericht angesichts der Auskunftslage nicht ausschließen, dass iranische Sicherheitsbehörden vom Engagement des Klägers Kenntnis erhalten haben könnten. Aufgrund der Konversion und dem Hinzutreten weiterer besonderer Umstände, wie das engagierte Werben für seine Glaubensrichtung, kann davon ausgegangen werden, dass aufgrund der jetzt geltend gemachten neuen Tatsachen die konkrete Gefahr bestehen kann, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran Verhören ausgesetzt sein wird und damit verbundene Misshandlungen erleiden muss. Der Iran steht für das Jahr 2006 an dritter Stelle auf dem Welt-Verfolgungs-lndex des christlichen Hilfswerks Open Doors. In den Jahren 2004 und 2005 belegte er noch den fünften Platz unter fünfzig Ländern, in denen Repressionen gegen Christen beobachtet worden sind. Auf diesem Verfolgungs-Index weist das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 24. März 2006 ausdrücklich hin. Ein entsprechender Hinweis auf diesen Index fehlte in den früheren Lageberichten des Auswärtigen Amtes. In dem vom Auswärtigen Amt in Bezug genommenen im Internet allgemein zugänglichen Welt-Verfolgungs-lndex für das Jahr 2006 wird unter Nr. 3.1 - die ersten Zehn im Detail - zum Iran ausgeführt, die Verschlechterung der Religionsfreiheit für Christen habe 2004 mit dem Sieg konservativer Parteien begonnen. Auf die Wahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten im Juni 2005 habe eine neue Welle der Christenverfolgung eingesetzt. Örtliche Behörden im ganzen Land seien angewiesen worden, gegen alle christlichen Hausgemeinden hart vorzugehen. Dies habe dazu geführt, dass die christlichen Kirchen einem Gläubigen mit muslimischem Hintergrund nicht mehr beistünden.

Auch aus der vom Auswärtigen Amt im Hauptsacheverfahren vorgelegten Stellungnahme vom 08.07.2008 ergibt sich keine anderweitige Betrachtungsweise. Dass christlich-orthodoxe Kirchen im Iran ihren christlichen Glauben nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes ausschließlich unter Gemeindeangehörigen praktizieren und auf missionierende Tätigkeiten im Iran verzichten, entkräftet nicht die glaubhafte Aussage des Klägers, regelmäßig missionierend in einem der beliebtesten Exilsender, welcher von den USA in den Iran ausstrahlt, tätig zu sein. Auch die Äußerung, dass wirksame Maßnahmen gegen die Ausstrahlung der Programme des Senders von iranischer Seite nicht ergriffen wurden, lässt eine konkrete Gefährdung des Klägers aufgrund seiner geschilderten Tätigkeiten nach Auffassung des Gerichts nicht entfallen.