Für die Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Vietnam vor.
Im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung in Form einer schweren Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt (ICD 10: F43.22) leidet. Das ergibt sich aus dem vom Gericht eingeholten jugendpsychiatrischen Gutachten zusammen mit dem Psychologischen Zusatzgutachten vom 21. Juli 2008. Das Psychologische Zusatzgutachten stellt nachvollziehbar dar, dass die Klägerin im Zeitraum vom 14. Februar 2008 bis 14. April 2008 mit einer Reihe von psychologischen Testverfahren untersucht wurde, zudem wurde noch eine Exploration und Verhaltensbeobachtung durchgeführt. Das Gutachten kommt zwar zum Ergebnis, dass keine Suizidalität oder suizidale Gedanken oder Phantasien vorliegen; jedoch würden Fragen nach ihren Lebensperspektiven, die unter Umständen eine Rückkehr nach Vietnam bedeuten könnten, bei ihr große Ängste und Verzweiflung auslösen. Eine Rückkehr in ihr Heimatland würde bedeuten, dass die begonnene positive Entwicklung auf traumatische Weise beendet würde, was für sie ein ähnliches Ereignis wie ihre Verlusterlebnisse in der Kindheit bedeuten würde.
Das Gutachten ist ausführlich und nachvollziehbar und somit geeignet, dem Gericht die nötige Überzeugung von der Erkrankung der Klägerin zu vermitteln. Weiter belegt das Gutachten, dass die vorliegende schwerwiegende psychische Erkrankung einer spezifischen psychotherapeutischen und Verlauf evtl. auch medikamentösen Behandlung bedarf, die auch weiterhin dringend behandlungsbedürftig bleibe. Ein Abbruch der Therapie würde zu nicht absehbaren Konsequenzen mit sicherlich schwerwiegenden Folgen für die schon gestörte Identitätsentwicklung führen. Die Erkrankung der Klägerin ist somit dringend behandlungsbedürftig. Könnte eine entsprechende Behandlung in Vietnam nicht fortgeführt werden, droht eine wesentliche Verschlechterung der Gesundheit der Klägerin.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Krankheitsbild der Klägerin in Vietnam behandelbar ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.10.2002, DVBI 2003, 463/464) kann sich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis (bzw. nunmehr Verbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG) trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielland ergeben, die dazu führen, dass der betroffenen Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. Zwar liegt in den Fällen, in denen sich die Verschlimmerung der Krankheit durch die Beendigung einer in Deutschland bestehenden lebenswichtigen Betreuung ergibt, ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vor. Die Verschlimmerung der Krankheit ist in diesen Fällen allein eine Folge der Abschiebung und nicht durch die spezifischen Verhältnisse im Zielstaat bedingt (BVerwG a.a.O.).
Im Fall der Klägerin ist ihre hinreichende Überwachung und Betreuung nach einer Rückkehr in ihre Heimat nicht sichergestellt. Jedenfalls liegt ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot schon deshalb vor, weil die noch nicht ganz volljährige Klägerin kaum selbst in der Lage sein dürfte, sich ein Einkommen zu verschaffen, das ihr ermöglicht, dort die Kosten für eine Behandlung aufzubringen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. Juli 2008 ist eine Krankenversicherung zur medizinischen Behandlung der breiten Bevölkerung im Aufbau begriffen. Die Klägerin gehört nicht zum Personenkreis, die nach dem Lagebericht in der Krankenversicherung pflichtversichert sind. Auch ist die Klägerin schon in Deutschland nicht in der Lage, ihren Alltag allein zu organisieren, weshalb sie in einer betreuten Wohngruppe untergebracht wurde. Um so weniger ist zu erwarten, dass sie sich in der rauen Wirklichkeit Vietnams zurechtfinden würde, zumal sie schon seit mehr als drei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebt. Es erscheint ferner glaubwürdig, dass die Klägerin seit der Scheidung ihrer Eltern keinen Kontakt mehr zu diesen hat. Auch im jugendpsychiatrischen Gutachten wird der Verlust insbesondere der Mutter und der Großmutter als Ursache für die psychische Erkrankung angesehen. Es fehlt somit auch an Bezugspersonen in Vietnam, die für die nötige Unterstützung sorgen könnten.