VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 20.08.2008 - 2 K 304/08.TR - asyl.net: M14126
https://www.asyl.net/rsdb/M14126
Leitsatz:

Asylanerkennung für iranischen Staatsangehörigen wegen Verbreitung regimekritischer Texte und Bilder im Internet.

 

Schlagwörter: Iran, Regimegegner, Regimekritik, Internet, Zensur, Oppositionelle
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Asylanerkennung für iranischen Staatsangehörigen wegen Verbreitung regimekritischer Texte und Bilder im Internet.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter.

Der Kläger hat glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass er im Iran ein Computer-Programm entwickelt hat, mit dessen Hilfe regime- und religionskritische Texte und Stellungnahmen verbreitet werden können. Zwar löst nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2008 private oder öffentliche Äußerung von Unzufriedenheit und Kritik an der Regierung oder der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage im Iran in der Regel keine staatlichen Zwangsmaßnahmen aus. Dies gilt allerdings nur, sofern die Werte der islamischen Revolution und der schiitischen Glaubensrichtung nicht verunglimpft werden, die Anerkennung des staatstragenden Prinzips der Herrschaft der Rechtsgelehrten nicht in Frage gestellt wird oder erkennbar auf einen Sturz des Regimes abgezielt wird. Die von dem Kläger über sein Programm verbreiteten Texte und Karikaturen, die dieser mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Juli 2008 näher erläutert hat, sind demnach durchaus geeignet, staatliche Zwangsmaßnahmen herbeizuführen. Auch gerät nach dem zitierten Lagebericht das Internet immer näher in den Focus der staatlichen Zensur. Ein Filtersystem sorgt dafür, dass jegliche Seiten mit Schlüsselwörtern, wie zum Beispiel "Free" oder "Sex" nicht mehr zugänglich sind. Politische Seiten werden regelmäßig gesperrt, ebenso Weblogs. Insgesamt sollen bislang über 10 Millionen Seiten gesperrt worden sein. Die Internet-Provider sind verpflichtet, eine von vier im Iran vorhandenen Firmen mit der Filterung und der laufenden Aktualisierung der Filter zu beauftragen. Eine Umgehung der Sperrungen ist allerdings möglich. Der Gutachter Uwe Brocks hat in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2007 zwar ausgeführt, dass das Internet-Filtering automatisch ablaufe und kein personellbehördlicher Akt sei. Daneben unterlägen allerdings Journalisten und professionelle "Meinungsarbeiter", die eine ständige und kritische Öffentlichkeitsarbeit via Internet herstellten und inhaltlich gestalteten, einer relativ hohen Repressionsdichte, zumindest im Sinne einer Gefährdung. Die Gefahr für solche Webloger, bei denen es sich um mehr private Aktivitäten handele, wobei die Inhalte auch politisch sein könnten, sei wesentlich geringer. Ob die Iraner auch solche Internetaktivitäten, die ersichtlich keine Verbindung zu irgendeiner Organisation hätten, zielgerichtet beobachteten, wisse er nicht. Erzeuge jedoch der Zufall einen Informationsfluss, so könne auch eine Information der iranischen Behörden im Iran nicht ausgeschlossen werden und eine Gefährdungslage sei bei entsprechenden Inhalten der veröffentlichten Texte gegeben.

Für den hier zu entscheidenden Fall bedeutet dies, dass der Kläger zwar vor dem ... 2008 keiner intensiven staatlichen Beobachtung unterlegen haben mag. Spätestens mit der Beschlagnahme seines Computers ist jedoch eine erhebliche Gefährdung seiner Person eingetreten. Auf der Festplatte waren nach der glaubhaften Angabe des Klägers sämtliche regime- und religionsfeindlichen Texte, die dieser verbreitet hat, gespeichert. Ebenso war dort das von ihm entwickelte der Verbreitung dienende Programm abgespeichert. Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass nach Auswertung der Daten dem Kläger die Gefahr politischer Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in den Iran droht.

Aus den gleichen Gründen hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 Abs. 4, 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG.