VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 20.08.2008 - 7 K 20268/06 We - asyl.net: M14128
https://www.asyl.net/rsdb/M14128
Leitsatz:

Zwar keine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen russischen Staatsangehörigen mit dunkler Hautfarbe, aber Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen Gefahr von Übergriffen durch Kriminelle, Skinheads oder rassistische Staatsbedienstete.

Schlagwörter: Russland, Rassisten, Skinheads, Übergriffe, Rassismus, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, mittelbare Verfolgung, Schutzbereitschaft, Amtswalterexess, Homosexuelle, Wehrdienst, Misshandlungen, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse,
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Zwar keine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen russischen Staatsangehörigen mit dunkler Hautfarbe, aber Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen Gefahr von Übergriffen durch Kriminelle, Skinheads oder rassistische Staatsbedienstete.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG) oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 bis 6 Aufenthaltsgesetz. Die Beklagte ist jedoch unter Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 28.11.2006 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation in der Person des Klägers vorliegen.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz liegen in seiner Person nicht vor.

Der Kläger ist unverfolgt im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG, § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz aus der Russischen Föderation ausgereist und hat auch im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation nicht mit einer asylerheblichen Verfolgung zu rechnen. Insoweit fehlt es an einer dem russischen Staat zurechenbaren Verfolgung des Klägers unter Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale.

Dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: Dezember 2007) vom 13.01.2008 lässt sich entnehmen, dass fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments in der Bevölkerung und in den Behörden in den letzten Jahren zugenommen haben und sich längst nicht mehr auf die ältere Generation und weniger gebildete Schichten erstrecken. Sie richten sich insbesondere gegen Tschetschenen und andere Kaukasier. Die Ressentiments könnten schnell in Gewalt umschlagen. Menschen anderer Hautfarbe seien immer häufiger Ziel fremdenfeindlicher Angriffe durch "Skinheads" In der Zeit vom 01. Januar bis 30. September 2007 verzeichnete die Nicht-Regierungsorganisation "SOWA" 230 rassistisch motivierte Überfalle, bei denen insgesamt 409 Menschen zu Schaden kamen und 46 starben. Nicht-Regierungsorganisationen würden bemängeln, dass es bisher keine energische Abwehr- oder Aufklärungspolitik des Staates gegen solche Übergriffe gebe. Fremdenfeindliche Morde würden als solche nicht erkannt und zu Milde bestraft. Auf unterer Behördenebene sei Fremdenfeindlichkeit weit verbreitet.

Der frühere Präsident Putin hat sich immer wieder klar gegen Antisemitismus, Fremdenhass und Nationalismus ausgesprochen und ihnen den Kampf angesagt. Nachdem ein rechtsradikaler Attentäter im Januar 2006 in einer Moskauer Synagoge 18 Menschen mit einem Messer verletzt hatte, habe eine intensive öffentliche Diskussion, auch in der DUMA, dem russischen Parlament begonnen. Schärfere Gesetze und härteres staatliches Vorgehen wurden gefordert. Seit 2006 ist deutlich häufiger als früher bei der gerichtlichen Verurteilung xenophober Gewalttaten deren Motivation aus Fremdenhass als ausdrücklich strafverschärfend berücksichtigt worden. Dem vom Kläger vorgelegten Bericht aus Spiegel-Online vom 02.01.2008 über "No-Go-Areas" in russischen Städten lässt sich entnehmen, dass etwa in Woronesch nach zwei Übergriffen auf Ausländer, die jeweils mit dem Tod des Ausländers endeten, Versuche erfolgten, die Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen. Spiegel-Online berichtet weiter, dass aufgrund der Übergriffe mittlerweile sogar Milizionäre in den Studentenwohnheimen wohnen würden und Hochschulen und Polizei Broschüren mit Sicherheitshinweisen erarbeitet hätten.

Hieraus ergibt sich, dass die Russische Regierung sich des Problems des Fremdenhasses durchaus bewusst ist und auch die Mehrheit der Abgeordneten im russischen Parlament bestrebt ist, gegen derartige Ressentiments in der Bevölkerung sowie gegen Übergriffe vorzugehen. Fehlverhalten einzelner staatlicher Bediensteter auf unterer Ebene können dem russischen Staat insoweit nicht zugerechnet werden. Darüber hinaus erreicht nicht jede fremdenfeindliche Äußerung eines staatlichen Bediensteten ein asylerhebliches Ausmaß. Demgegenüber stehen die Bestrebungen des russischen Staates, gegen fremdenfeindliche Übergriffe mit der gebotenen Deutlichkeit vorzugehen. Die fremdenfeindlichen Übergriffe sind strafbewehrt und werden im Regelfall auch, wenngleich in einer gewissen Anzahl von Fällen nicht mit dem erforderlichen Nachdruck, verfolgt. Trotz aller Bemühungen lassen sich fremdenfeindliche Übergriffe auch in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland nicht hundertprozentig verhindern. Der Kläger hat darüber hinaus selbst geschildert, dass seine Lehrer mit den Eltern der Mitschülern gesprochen haben und entsprechende Übergriffe danach zumindest zeitweilig zum ruhen kamen. Auch wurde der Kläger von Seiten des russischen Jugendamtes betreut, die Wohnungsmiete wurde durch staatliche Organisationen weiterhin bezahlt und der Kläger wurde sogar in ein Internat aufgenommen, dessen Kosten offensichtlich ebenfalls vom russischen Staat getragen wurden. Auch hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass er sich persönlich bislang nicht um Schutz seitens der Miliz bemüht oder zwecks Strafverfolgung der ihn bedrohenden Personen an die zuständigen Behörden gewandt habe.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lassen sich auch keine Hinweise entnehmen, dass der russischen Staat gezielt gegen homosexuell veranlagte Personen vorgeht. Das Verbot einer Demonstration durch einen örtlichen Bürgermeister rechtfertigt für sich allein nicht eine derartige Schlussfolgerung. Aufgrund der in der Russischen Verfassung festgelegten Trennung von Kirche und Staat ergibt sich aus dem Umstand, dass die orthodoxe Kirche und islamische Prediger Homosexualität immer wieder öffentlich mit drastischer Wortwahl verdammen, keine vom russischen Staat ausgehende Verfolgung. Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (a.a.O.) lässt sich weiterhin entnehmen, dass in der Bevölkerung Vorbehalte gegen sexuelle Minderheiten noch weit verbreitet seien. Nur in großen Städten und dort nur hinter verschlossenen Türen fände homosexuelles Leben statt. Die vorherrschende Meinung gehe dahin, dass Homosexuelle ihren Neigungen im Verborgenen Zuhause und in ihren Clubs nachgehen können, sich aber keinesfalls in der Öffentlichkeit zu erkennen geben sollten. Homosexualität ist seit 1993 nicht mehr strafbar. Insgesamt lassen sich den Erkenntnisquellen keine Hinweise entnehmen, dass Homosexuelle gezielt unter Anknüpfung an ihre geschlechtliche Neigung von seilen des russischen Staates verfolgt werden.

Soweit der Kläger befürchtet, sowohl wegen seiner Hautfarbe als auch wegen seiner geschlechtlichen Neigung während seines Wehrdienstes diskriminiert und von anderen Wehrpflichtigen misshandelt zu werden, ist dies überaus nachvollziehbar. Dieser Bedrohung kann sich der Kläger jedoch selbst entziehen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird in Art. 59 Abs. 2 der Russischen Verfassung garantiert. 2003 wurde ein "Gesetz über den Alternativen Zivildienst" verabschiedet, dass Anfang 2004 in Kraft getreten ist. Der Zivildienst beträgt ab 01.01.2008 21 Monate. Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (a.a.O.) lässt sich weiterhin entnehmen, dass es sich hierbei nicht um eine bloß theoretische Möglichkeit handelt. Von der Möglichkeit der Ableistung des alternativen Zivildienstes haben bisher 912 Personen Gebrauch gemacht. Bis Herbst 2006 hatten 352 Personen vor ihrer Einberufung Anträge gestellt, von denen 264 "bis jetzt" genehmigt worden seien.

Daher liegen die Voraussetzungen des Art. 16a Abs. 1 GG bzw. des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Person des Klägers nicht vor.

3. Wenngleich das Gericht keine Anhaltspunkte dafür hat, dass in der Person des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG vorliegen, droht dem Kläger jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine hinreichend konkrete Gefahr für sein Leben und seine Gesundheit im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation dort die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 60 Abs. 3 AufenthG) und auch eine konkrete Gefahr, seitens staatlicher Stellen der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, ist nicht erkennbar (§ 60 Abs. 2, Abs. 5 AufenthG i.V.m. Artikel 3 EMRK).

Zur Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger jedoch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger fällt aufgrund seiner Hautfarbe im Alltagsleben in der Russischen Föderation auf. Es ist daher für Kriminelle, seien es rassistisch motivierte Skinheads oder xenophone Bedienstete von Behörden leicht, ihn auszumachen. Wie das Auswärtige Amt in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 13.01.2008 dargelegt hat, werden jedes Jahr Menschen im Rahmen fremdenfeindlicher Übergriffe ermordet und mehrere hundert Personen verletzt. Diese rassistisch motivierten Überfälle werden auch in der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration herausgegebenen Erkenntnisse über die Russische Föderation (Tschetschenienkonflikt, Nachfolgestaaten der Sowjetunion) vom Februar 2008 bestätigt. Auch die vom Kläger im Laufe des Verfahrens vorgelegten Erkenntnisquellen bestätigen die rassistischen Übergriffe und die auch in anderen Quellen genannten Opferzahlen. Zwar weist das Bundesamt zu Recht darauf hin, dass in russischen Großstädten auch Studenten aus afrikanischen Ländern ein Studium absolvieren. Aus dem Bericht von Spiegel-Online vom 02.01.2008 (a.a.O.) ergibt sich aber, dass viele ausländische Studenten wie auf einer Insel leben würden. Sie würden sich nur zwischen Hörsälen, Campus und ihrem Zimmer im Studentenwohnheim bewegen. Sie würden viele Orte in den Städten, insbesondere nachts, meiden, da es dort für sie zu gefährlich sei.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Anteil von Personen mit dunkler Hautfarbe in der Russischen Föderation sehr gering ist. Sehr viel häufiger werden Kaukasier oder Personen asiatischer Herkunft Opfer fremdenfeindlicher Übergriffe. Da die Personengruppe, der der Kläger aufgrund seiner Hautfarbe zugehört, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung und im Verhältnis zu anderen Minderheiten, wie etwa Kaukasiern, derart gering ist, gehört der Kläger zu einer extrem kleinen Gruppe von Personen in der Russischen Föderation und wird als solcher selbst leichter Opfer. Der Kläger selbst hat in seiner Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar geschildert, dass er auf de Straße und während des Schulbesuches bereits Opfer körperlicher Übergriffe wurde. Für den Kläger besteht auch keine inländische Fluchtalternative, da es in der Russischen Föderation keinen Landesteil gibt, indem der Kläger nicht aufgrund seiner Hautfarbe auffallen würde. Weiterhin ist die Schwere der dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Nach der zitierten Quelle des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamtes vom Februar 2008 (a.a.O.) wurden bei 216 registrierten Überfallen 65 Personen getötet und dreihundert verletzt. Daraus ergibt sich, dass bei jedem vierten Überfall der Tod einer Person zu beklagen war. Der Kläger hat im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation somit nicht "nur" mit einer Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit zu rechnen, sondern es besteht vielmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit, bei einem Übergriff ums Leben zu kommen.