VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 19.08.2008 - 6 K 684/08.WI.A(2) - asyl.net: M14131
https://www.asyl.net/rsdb/M14131
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Christen, Armenier, Antragstellung als Asylgrund, Änderung der Sachlage, Grenzkontrollen, Situation bei Rückkehr, Sippenhaft
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist damit aufzuheben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat die frühere Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu Unrecht widerrufen. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Diese Widerrufsvoraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 13.05.1994 - IV/2 E 7016/92 - war die Klage des Klägers zu 1) im Hinblick auf § 51 Abs. 1 AuslG erfolgreich, weil aufgrund der Asylantragstellung, verbunden mit politischer Betätigung des Klägers im Iran, er bei einer Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten habe. Das Bundesamt setzt nunmehr im Widerrufsbescheid faktisch voraus, dass wegen Zeitablaufs dem Kläger keine Verfolgung mehr drohe. Allerdings stellt der bloße Zeitablauf grundsätzlich keine erhebliche Änderung der Sachlage dar, welche einen Widerruf rechtfertigen könnte. Dennoch mag es im Einzelfall durchaus so sein, dass, je länger der Zeitraum ist, der seit dem rechtskräftigen Urteil verstrichen ist, die Annahme, die tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose hätten sich geändert, gerechtfertigt ist. Vorliegend besteht aber nach wie vor für den Kläger zu 1) eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle einer Rückkehr in den Iran.

Liegt auch die politische Tätigkeit des Klägers zu 1) im Iran rund 18 Jahre zurück, so ist der Kläger doch armenischer Christ. Zwar mögen armenische Christen in die Gesellschaft im Iran integriert und keinen allgemeinen auf die Gruppe ausgerichteten Repressionen ausgesetzt sein (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18.03.2008, S. 20), so wird auch von Schikanen armenischer Christen berichtet (vgl. Svec, Christen im Iran, Asylmagazin 4/2007, S. 11 bei Fußnote 25). Auch mögen Armenier mit zwei Abgeordneten im Parlament vertreten sein, dennoch können sie etwa keinen Religionsunterricht in armenischer Sprache abhalten (vgl. Delshad, Religiöse Minderheiten im Iran, APuZ 2008, S. 26 ff., 32). Zwar mag das Verhältnis von Christen und Muslimen grundsätzlich spannungsfrei sein, dennoch kann ein gewisses Maß an Willkür, je nachdem wer das Gegenüber ist, nicht ausgeschlossen werden (vgl. Delshad, a.a.O., S. 30 f.). Wenn nun der Kläger zu 1) nach rund 18 Jahren aus Deutschland in den Iran abgeschoben werden würde, wäre selbstverständlich ohne Weiteres feststellbar, dass er Christ ist. In diesem Falle würde sich bereits bei der Einreisekontrolle die Frage aufdrängen, weshalb ein Christ aus einem christlichen Land nach 18 Jahren abgeschoben wird.

Einzelheiten der Verwaltungspraxis in Deutschland dürften insoweit im Iran nicht bekannt sein. Allerdings ist es ein besonderes Anliegen Deutschlands, Straftäter bei schweren Straftaten auch nach längerem Aufenthalt in Deutschland abzuschieben, gleich welche Staatsangehörigkeit sie im Einzelfall besitzen. Hierüber wird in deutschen Medien immer wieder berichtet, und das kann auch iranischen Behörden nicht entgehen. Wenn nun der Kläger zu 1) bei seiner Wiedereinreise intensiv befragt und Erkenntnisse über seine Person eingeholt werden wird, besteht aus Sicht des Gerichtes durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass auch frühere Aktivitäten des Klägers noch bekannt werden und er letztlich Maßnahmen politischer Verfolgung ausgesetzt ist. Nicht entscheidend anders stellt sich die asylrechtliche Beurteilung im Falle der Klägerin zu 2) dar.

Insoweit führte das Verwaltungsgericht ehemals aus, ihr drohten im Falle einer Rückkehr in den Iran sippenhaftähnliche Maßnahmen. Es ist nicht erkennbar, dass dies nunmehr anders sein könnte. Ein gewisses Maß an Willkür im Iran kann nicht verneint werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 30, 32). Im Falle der Klägerin zu 2) kommt hinzu, dass sie während des rund 18jährigen Aufenthaltes in Deutschland eine gewisse "westliche Prägung" erfahren hat, die es ihr als christliche Frau im Iran nicht einfacher macht.