VG Trier

Merkliste
Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 12.08.2008 - 2 K 94/08.TR - asyl.net: M14148
https://www.asyl.net/rsdb/M14148
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für iranische Staatsangehörige wegen Veröffentlichung von regimekritischen Artikeln im Internet.

 

Schlagwörter: Iran, Drittstaatenregelung, Luftweg, exilpolitische Betätigung, Oppositionelle, Regimegegner, Überwachung im Aufnahmeland, Volksmudjahedin, Internet, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 26a Abs. 1; AsylVfG § 26a Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; AsylVfG § 31 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für iranische Staatsangehörige wegen Veröffentlichung von regimekritischen Artikeln im Internet.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.

Eine Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz - GG - scheidet bereits aus Rechtsgründen aus, da sie eine Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 16 a Abs. 1 GG - nicht nachgewiesen hat und eine Asylanerkennung deshalb gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a Abs. 1 und 2 i.V.m. Anlage I Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - ausgeschlossen ist. Dass der genaue Reiseweg und damit der Transit-Drittstaat nicht bekannt ist, steht der Anwendung der Drittstaatenregelung nicht entgegen.

Ob der Asylbewerber auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist ist, beurteilt das Gericht gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine wesentliche Grundlage bilden dabei die Angaben des Asylbewerbers zu den Reisemodalitäten, ferner alle denkbaren Unterlagen und Nachweise zur behaupteten Einreiseart, wie benutzter Pass, Flugticket, Bordkarte u.ä. Zwar trifft den Asylbewerber keine Beweisführungspflicht hinsichtlich des Einreiseweges; er trägt aber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein. Dabei obliegt dem Asylbewerber im Hinblick auf seine Mitwirkungspflichten (§§ 15 und 25 AsylVfG) der Nachweis der behaupteten Luftwegseinreise durch entsprechend substantiierte, stimmige und lückenlose Angaben sowie durch Vorlage der dabei benutzten Identitätspapiere und Flugunterlagen. Insoweit befindet er sich in der Regel nicht in einem Beweisnotstand, der eine Lockerung der Nachweispflicht geböte bzw. rechtfertigte. Kann er den Nachweis nicht erbringen, geht dies somit zu seinen Lasten.

Die Klägerin hat zwar angegeben, über den Flughafen Frankfurt/Main in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Sie hat jedoch hierfür keinerlei Belege oder sonstige Nachweise vorlegen können. Darüber hinaus hat das Bundespolizeiamt am Flughafen Frankfurt/Main der Beklagten mitgeteilt, dass auf dem von der Klägerin genannten Flug weder eine Passagierin unter dem angegebenen Falschnamen, noch unter dem Namen der Klägerin gewesen sei.

Die Klägerin hat jedoch Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG.

Die Klägerin hat aber in der Bundesrepublik Deutschland ein exilpolitisches Engagement entwickelt, welches beachtlich ist.

Eine exilpolitische Tätigkeit ist abschiebungsrechtlich dann relevant, wenn der Asylbewerber nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation aufgetreten ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A -). Dabei wird die exponierte Tätigkeit durch die konkret individuellen Umstände des Einzelfalles geprägt. Ausgangspunkt für die notwendige Differenzierung zwischen unbeachtlicher, öffentlich zur Schau gestellter Kritik einerseits und beachtlichem exponiertem Auftreten in der Öffentlichkeit für eine regimefeindliche Organisation andererseits bildet die Erkenntnis, dass der iranische Geheimdienst Oppositionsgruppen in der Bundesrepublik Deutschland intensiv beobachtet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2008) und sich bemüht, die Mitglieder und/oder Anhänger dieser Organisationen sowie die Teilnehmer von Demonstrationen oder sonstigen öffentlichen Aktionen zu fotografieren oder zu erfassen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.; Sächsisches OVG, Urteil vom 05. Juni 2002 - 2 B 117/01 -). Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass den iranischen Behörden aufgrund ihrer intensiven Beobachtungen bekannt ist, dass ein nach außen zum Ausdruck gebrachtes politisches Engagement vielfach nicht ernsthaft ist und nur zur Erlangung von Vorteilen im Asylverfahren an den Tag gelegt wird. Angesichts dessen werden die iranischen Stellen die schwierigen und aufwändigen Ermittlungen zur Identifizierung von Asylsuchenden auf diejenigen Personen beschränken, die aufgrund besonderer Umstände über die massentypischen und niedrig profilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen wahrgenommen und/oder Aktivitäten entwickelt haben, die den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse, die mit dem Regime in Teheran unzufrieden ist, herausheben und als ernsthaften Regimegegner erscheinen lassen (OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.). Nach der Auskunftslage unterscheiden iranische Stellen je nach der Bedeutung der Organisation und der Person sowie der Aktivitäten, ob gegen den Betreffenden vorgegangen wird. Bei aktiven Mitgliedern an exponierter Stelle besteht eine erhöhte Gefährdung. Eine solche Exponiertheit wird angenommen, wenn der Betreffende Führungsaufgaben in der politischen Organisation wahrnimmt, an Veranstaltungen teilnimmt, welche nur führenden Mitgliedern vorbehalten sind, oder die Verantwortung für Presseerzeugnisse der Organisation übernommen hat (vgl. insoweit Bundesamt für Verfassungsschutz, Stellungnahme vom 11. Dezember 2000 an das VG Köln und Stellungnahme vom 30. Januar 2003 an das VG Braunschweig). Darüber hinaus entscheidend ist ein Hervortreten in der Öffentlichkeit, das aufgrund der Persönlichkeit des Asylsuchenden, der äußeren Form seines Auftritts und nicht zuletzt aufgrund des Inhalts der in der Öffentlichkeit abgegebenen Erklärungen den Eindruck erweckt, dass der Asylsuchende allein oder aber im gegebenenfalls konspirativen Zusammenwirken mit anderen zu einer Gefahr für den Bestand des Mullah-Regimes wird.

Die Klägerin hat an einer Veranstaltung der Volks-Mudjahedin in Paris teilgenommen, die auch in der Presse große Beachtung fand. Damit ist sie allerdings noch nicht im Besonderen aus der Masse der Unzufriedenen hervorgetreten. Die Schwelle der ernst zu nehmenden, auch in den Augen des iranischen Regimes als gefährlich einzuschätzenden politischen Gegnerschaft ist jedoch durch die von der Klägerin verfassten Internet-Artikel unter ihrer persönlichen Namensnennung überschritten. Die in diesem Verfahren vorgelegten Artikel haben eindeutig einen politischen Bezug und zielen inhaltlich auf den Sturz des Mullah-Regimes im Iran hin, so dass nach Auffassung des Gerichts sehr wohl der Schluss zulässig ist, dass die Klägerin aus der Masse der oppositionellen Iraner erkennbar hervorgetreten ist und daher davon auszugehen ist, dass sie vom iranischen Geheimdienst genau beobachtet wird. Dies gilt umso mehr, als die Veröffentlichungen auf einer Internetseite der Volks-Mudjahedin erfolgen, deren Mitglieder im Iran erhöhter asylerheblicher Gefährdung unterliegen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O.). Damit droht der Klägerin aufgrund ihrer Nachfluchtaktivitäten im Falle der Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, mit der Folge, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen ist.

Des Weiteren ist die das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG verneinende Entscheidung der Beklagten aufzuheben.

Gemäß § 31 Abs. 3 S. 2 AsylVfG kann das Bundesamt von einer Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG absehen, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird. Vorliegend steht - wie ausgeführt - der Klägerin ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 S. 2 AsylVfG erfüllt sind. Dies hat zur Folge, dass eine Verpflichtung der Beklagten, eine Entscheidung zu § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG zu treffen, nicht in Betracht kommt, so dass die Klägerin zu Recht ihr Begehren nur hilfsweise verfolgt. Ungeachtet dessen ist aber die das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG verneinende Entscheidung der Beklagten aufzuheben, da von einer sachlichen Entscheidung hinsichtlich dieser Bestimmung abzusehen ist. Zwar spricht der Wortlaut des Gesetzes dafür, dass der Behörde ein diesbezügliches Ermessen eingeräumt ist und sie von daher grundsätzlich berechtigt ist, auch eine Entscheidung zu § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG zu treffen. Indes muss Berücksichtigung finden, dass bei einer Asylanerkennung eine Bejahung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht geeignet ist, dem Ausländer im Verhältnis zu den für ihn positiven Entscheidungen in Bezug auf seine Anerkennung und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft irgendeinen Vorteil zu bringen. Von daher ist regelmäßig das Ermessen der Beklagten in den Fällen der Asylanerkennung bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dahin reduziert, dass aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung von einer Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 - 7 AufenthG abzusehen ist. Demzufolge ist die das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG verneinende Entscheidung der Beklagten aufzuheben, um den insoweit zu Lasten der Klägerin bestehenden Rechtsschein zu beseitigen.