KG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
KG Berlin, Beschluss vom 16.07.2008 - (2) 1 Ss 86/08 - asyl.net: M14157
https://www.asyl.net/rsdb/M14157
Leitsatz:

Die Eintragung von falschen Identitätsangaben im Passersatz stellt keine mittelbare Falschbeurkundung dar, wenn der Passersatz lediglich beweist, dass der Dokumenteninhaber auf dem Lichtbild dargestellt ist und die Unterschrift geleistet hat bzw. - wenn das Dokument eine Aufenthaltserlaubnis beinhaltet - zur Einreise berechtigt ist; Angaben in einem türkischen Personenstandsregister können nicht belegen, dass die Angaben eines Ausländers zu seiner Identität falsch sind.

Schlagwörter: D (A), Strafrecht, mittelbare Falschbeurkundung, Identitätstäuschung, Falschangaben, Staatsangehörigkeit, Libanon, Türkei, Staatenlose, Personenstandsregister, Registrierung, Reisedokument, Reisepass, Passersatz, Führerschein, Anmeldebestätigung, Betrug, Sozialhilfe, Versuch
Normen: StGB § 271 Abs. 1; StGB § 271 Abs. 2; AuslG § 39 Abs. 2; § 111 OWiG; StGB § 263; StGB § 271 Abs. 4
Auszüge:

Die Eintragung von falschen Identitätsangaben im Passersatz stellt keine mittelbare Falschbeurkundung dar, wenn der Passersatz lediglich beweist, dass der Dokumenteninhaber auf dem Lichtbild dargestellt ist und die Unterschrift geleistet hat bzw. - wenn das Dokument eine Aufenthaltserlaubnis beinhaltet - zur Einreise berechtigt ist; Angaben in einem türkischen Personenstandsregister können nicht belegen, dass die Angaben eines Ausländers zu seiner Identität falsch sind.

(Leitsatz der Redaktion)

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten vom Vorwurf der mittelbaren Falschbeurkundung in vier Fällen freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die diese auf die Freisprüche in den Fällen 1., 3. und 4. der Anklageschrift vom 28. Juni 2005 beschränkt hat, hat das Landgericht Berlin den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen drei Fällen der mittelbaren Falschbeurkundung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts und insbesondere eine fehlerhafte Beweiswürdigung rügt, führt zur Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin und zur Bestätigung des Freispruchs.

1. Das Urteil des Landgerichts hat schon deshalb keinen Bestand, weil es keine ausreichende, in sich geschlossene und aus sich heraus verständliche Darstellung des als strafbar erachteten Geschehens (vgl. BGH NStZ 2008, 352; Meyer-Goßner 51. Aufl., § 267 Rdn. 5) und als wahr erachteten Sachverhalts enthält.

2. Nach diesem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt ist zunächst schon unklar, wie das Gericht zu der Bewertung kommt, die in dem libanesischen "Laissez-Passer" vermerkten Personalien "..., geboren ... in Beirut/Libanon", seien objektiv falsch. Dies erschließt sich jedenfalls nicht durch die weitere Feststellung, daß eine nicht identifizierte Person (im Zweifel jedenfalls nicht der Angeklagte) veranlaßt hat, daß zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt (vermutlich am 12. Juni 1986; UA S.-7) für den Angeklagten die Personalien "... geboren am ... in Savur" in ein türkisches Personenstandsregister eingetragen worden sind. Daß nämlich diese Personalien zumindest hinsichtlich des Geburtsdatums falsch seien müssen, ergibt sich schon daraus, daß es schlechterdings ausgeschlossen ist, daß der Angeklagte als im Jahre 1981 tatsächlich elf Jahre altes Kind im Zuge seines Asylverfahrens der Wahrheit zuwider hätte angeben können, er sei 22 Jahre alt (nämlich nicht ..., sondern ... geboren), ohne daß dies sofort aufgefallen wäre. Im übrigen teilt das Urteil selbst im Rahmen der Beweiswürdigung die Aussage der - einzig gehörten Zeugin ... (einer Polizeibeamtin) mit, die türkischen Behörden würden die zur Eintragung angemeldeten Daten nicht überprüfen, so erkläre sich, daß das dort verzeichnete Geburtsdatum des Angeklagten mit dem tatsächlichen Alter des Angeklagten "offensichtlich nicht" übereinstimme (UA S.7).

3. Wenigstens ebenso lückenhaft und widersprüchlich wie die Feststellungen zur objektiven Tatseite sind die Erwägungen, auf die das Landgericht seine Überzeugung vom vorsätzlichen Handeln des Angeklagten gestützt hat.

Kann das angefochtene Urteil nach allem keinen Bestand haben, stellt sich die Frage, ob eine Verurteilung überhaupt denkbar ist.

1. In tatsächlicher Hinsicht steht nach dem gesamten Ermittlungsergebnis nicht fest, wann und wo - wenn nicht am ... in Beirut - der Angeklagte geboren worden ist. Es gibt auch keinerlei Hinweise darauf, daß er woanders als dort aufgewachsen ist und jemals einen anderen Namen (im Libanon oder ab 1981 in Deutschland) als ... geführt hat. Insbesondere die in dem türkischen Register vermerkten Personalien und die Umstände ihrer Eintragung geben keinen Anlaß, die entsprechenden Angaben des Angeklagten als falsch anzusehen. Entsprechende Hinweise hat auch die (vergleichsweise) umfangreiche Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht Tiergarten - soweit sie in den Akten dokumentiert ist - nicht erbracht.

2. Auch aus Rechtsgründen scheidet eine Verurteilung wegen des Gebrauchens falscher öffentlicher Urkunden aus. § 271 StGB soll den Rechtsverkehr vor inhaltlich unwahren öffentlichen Urkunden schützen. Sein Tatbestand reicht deshalb nur soweit, wie die besondere Beweiskraft der jeweiligen öffentlichen Urkunde reicht (vgl. RGSt 66, 407, 408/409). Vom Wahrheitsschutz der öffentlichen Urkunde werden deshalb nur diejenigen Teile der Urkunde erfaßt, auf die sich die erhöhte Beweiskraft der öffentlichen Urkunde erstreckt (vgl. BGHSt [GS] 22, 201, 203). Bei der Prüfung, ob eine fragliche Tatsache der erhöhten Beweiskraft der öffentlichen Urkunde unterfällt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine entsprechende Beweiswirkung (und die damit verbundene Strafbarkeit falscher Beurkundung) kann nur angenommen werden, wenn diesbezüglich unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung kein Zweifel besteht (vgl. BGH a.a.O.).

Danach ist schon fraglich, ob das von dem Angeklagten nach dem Ergebnis der Ermittlungen gebrauchte Reisedokument Nr. ... vom 17. April 1997 (ein Paßersatz gemäß § 39 Abs. 2 AuslG in der vom 1. Juli 1993 bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) ein geeignetes Tatobjekt im Sinne des § 271 StGB ist bzw. in welchem Umfang. Denn: Nach seinem ausdrücklichen Inhalt beweist es, daß "der Dokumentinhaber die auf dem Lichtbild dargestellte Person ist und die Unterschrift darunter eigenhändig vollzogen hat". Die Staatsangehörigkeit ist in dem fraglichen Reisedokument sogar ausdrücklich als "ungeklärt" bezeichnet (also explizit von jeder Richtigkeitsvermutung ausgeschlossen), das Geburtsdatum nur mit dem Jahr (1959) angegeben. Hinzu kommt, daß der Angeklagte zur Zeit der ihm vorgeworfenen Handlungen von der Türkei ohnehin bereits ausgebürgert worden war. Als wahr gegenüber jedermann gilt seinem Sinn nach sicher, daß die abgebildete Person zur (Wieder-) Einreise nach Deutschland berechtigt ist, wenn das Dokument (wie hier) eine Aufenthaltserlaubnis enthält. Auch dies ist hier nicht zweifelhaft. Im übrigen müssen die Angaben zur Identität nicht zwingend wahre Personalien enthalten, sondern entscheidend ist, daß der Namensträger mit diesen Angaben zuverlässig identifiziert werden kann (vgl. Rogall in Karlsruher Kommentar, OWiG 3. Aufl., § 111 Rdn. 41), denn darin liegt ihr Zweck. Daher können insbesondere auch unzutreffende Namen bei längerem Gebrauch ausreichendes Identitätsmerkmal werden (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 358, 359; BGHSt 33, 159, 160; BGH StraFO 2003, 253). Hier ist es so, daß der Angeklagte (wie vom Landgericht festgestellt und den Akten zu entnehmen ist) nie andere als die in den von ihm gebrauchten Dokumenten bescheinigten Personalien verwendet hat, und zwar weder vor noch nach seiner Einreise nach Deutschland im Jahre 1981. Diese Personalien stellen deshalb seine (gelebte) Identität dar. Es kann schon deshalb dahinstehen, ob es sich dabei um seine wahren Personalien handelt. Unter ihnen war er jedenfalls jederzeit eindeutig identifizierbar. Der ständige Gebrauch eines Namens (nebst zugehöriger weiterer Personalien) führt dazu, daß dieser durch tatsächliche Übung zum Identitätsmerkmal seiner Person geworden ist. Die Verwendung der von dem Angeklagten seit jeher geführten Personalien konnte daher nicht der Täuschung über seine Identität, sondern allenfalls der Täuschung über seinen Namen und seine Herkunft dienen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 358; Fischer, StGB 55. Aufl., § 267 Rdn. 21; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., Rdn. 50). Sein Verhalten wäre mithin selbst dann nicht nach § 271 StGB strafbar, wenn er von der Existenz der (zumindest teilweise objektiv falschen) türkischen Personalien gewußt haben sollte.

Deshalb kommt eine Strafbarkeit nach § 271 Abs. 2 StGB auch nicht durch das Gebrauchen des Führerscheins und der Anmeldebestätigung in Betracht.

An der für § 271 StGB erforderlichen erhöhten Beweiskraft nimmt die (objektive) Unvollständigkeit der Angaben des Angeklagten in Bezug auf die nicht angegebene zweite - türkische - Identität nicht teil. Denn die Angaben zu den Personalien eines Ausländers sollen, ungeachtet des Umstandes, daß sie z.B. für Sozialhilfeleistungen oder private Rechtsgeschäfte als Anknüpfungspunkt dienen, nach § 39 AuslG bzw. heute § 49 AufenthG "nur" seine Identitätsfeststellung während des Aufenthalts in Deutschland ermöglichen (vgl. KG, Urteil vom 19. Juni 2008 - [4] 1 Ss 415/07 [95/08] -). Daß hierfür die von dem Angeklagten auch tatsächlich verwendeten libanesischen Personalien in Verbindung mit eventuellen erkennungsdienstlichen Maßnahmen (insbesondere der Anfertigung von Lichtbildern) nicht ausgereicht hätten, ist nicht erkennbar. Daß sich die Rechtslage für andere behördliche Personalienfeststellungen nach § 111 OWiG abweichend darstellen kann, ist für die hier zur Aburteilung gestellten Sachverhalte ohne Belang (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2008, 154, 155; Rogall in Karlsruher Kommentar, § 111 OWiG, Rdn. 4).