SG Oldenburg

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Zitieren als:
SG Oldenburg, Beschluss vom 25.08.2008 - S 21 AY 29/08 ER - asyl.net: M14160
https://www.asyl.net/rsdb/M14160
Leitsatz:

Bewilligt die Sozialbehörde Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG "ab dem ...", so liegt ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vor, so dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine spätere Leistungseinschränkung aufschiebende Wirkung haben.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Verwaltungsakt, Dauerwirkung, Auslegung, Bewilligungsbescheid, Widerspruch, Anfechtungsklage, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, 48-Monats-Frist, Sozialhilfe, Grundsicherung für Arbeitssuchende
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; AsylbLG § 9 Abs. 3; SGB X § 48; SGG § 86a Abs. 1; SGG § 86a Abs. 2
Auszüge:

Bewilligt die Sozialbehörde Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG "ab dem ...", so liegt ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vor, so dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine spätere Leistungseinschränkung aufschiebende Wirkung haben.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag der Antragsteller auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.

Die Antragsteller begehren die Weiterzahlung der ihnen mit Bescheid vom 21.09.2007 bewilligten Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Mit diesem Begehren sind sie letztlich erfolgreich, weil ihr Widerspruch gegen den Bescheid der Stadt Vechta vom 19.11.2007 aufschiebende Wirkung hat. Die Bewilligung aus dem Bescheid vom 21.09.2007 wirkt fort. Dieser Bescheid über die Bewilligung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Die offenbar vom Antragsgegner vertretene Rechtsauffassung, wonach es sich bei dem vorgenannten Bewilligungsbescheid nicht im einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, wird von der Kammer nicht geteilt. Nur in einem solchen Fall hätte der Antragsgegner - verfahrensrechtlich ungebunden - eine neue Entscheidung über den Anspruch auf Zahlung von Leistungen nach dem AsylbLG treffen können und die Antragsteller versuchen müssen, eine Regelungsverfügung gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu erlangen.

Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sein Regelungsinhalt - vom Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes her - nach seinen rechtlichen Wirkungen in die Zukunft fortwirken soll, sich also über eine einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf eine gewisse - bestimmte oder unbestimmte - zeitliche Dauer in der Zukunft erstreckt. Für die Feststellung, ob es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, ist maßgeblich, wie ihn ein Leistungsberechtigter bei objektiver Würdigung verstehen kann (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 24. Januar 2006 - L 8 SO 83/05 ER m.w.N.). Die in dem vorgenannten Bewilligungsbescheid verwandte einschränkungslose Formulierung "ab dem 01.07.2007" ist ausgehend vom objektivierten Empfängerhorizont der Leistungsberechtigten dahin auszulegen, dass Leistungen nach § 2 AsylbLG für einen unbestimmten Zeitraum nach Erlass des Bescheides bewilligt wurden und nicht nur für einen oder mehrere bestimmte (welche?) Monate. Die Formulierung "ab" stellt aus der Sicht des Empfängers die Leistung für die Folgemonate nicht lediglich in Aussicht, sondern lässt deren weitere Zahlung ohne erneute Prüfung und Bewilligung erwarten. Anhaltspunkte dafür, dass die Bewilligung der Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nur für den nächstliegenden Zeitraum gelten sollte, sind nicht ersichtlich.

Zwar stellte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - keine rentengleiche Dauerleistung dar, sondern wurde nur zeitabschnittsweise (in der Regel monatsweise) gewährt (BVerwGE 25, 307, 508 f.; 89, 81, 85). Allerdings berücksichtigt auch die neuere Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte das Institut des Dauerverwaltungsaktes im Sozialhilferecht. Im Bereich der Asylbewerberleistungen ergibt sich dies zudem aus § 9 Abs. 3 AsylbLG, der u.a. die § 44 bis 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für entsprechend anwendbar erklärt. Damit wird auch auf § 48 SGB X Bezug genommen, der die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse betrifft. Entscheidend ist daher stets der Inhalt des betreffenden Verwaltungsakts, der durch Auslegung zu ermitteln ist (Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 9b AY 1/06 R, vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.12.2007 - L 11 AY 31/07, beide Urteile veröffentlicht in Juris). Ein Dauerverwaltungsakt liegt beispielsweise vor, wenn die Behörde den Hilfefall statt für den dem Bescheid nächstliegenden Zeitraum für einen längeren Zeitraum geregelt hat. So liegt der Fall hier, wie sich aus der Formulierung "ab" 01.07.2007 ergibt. Daneben ist von der ständigen Rechtsprechung des BVerwG anerkannt, dass der Sozialhilfeträger befugt ist, Entscheidungen über Hilfeleistungen für einen längeren, auch in die Zukunft weisenden Zeitraum zu treffen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., m.w.N.). Solch einen Bescheid mit Dauercharakter stellt der genannte Bewilligungsbescheid der Stadt Vechta dar.

Der Bescheid der im Auftrag des Antragsgegners handelnden Stadt Vechta vom 19.11.2007 hat derzeit keine rechtlichen Auswirkungen, weil der Widerspruch der Antragsteller gegen diesen Bescheid aufschiebende Wirkung hat. Das AsylbLG enthält - anders als das SGB II in § 39 - keine Vorschrift, wonach die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt. Hier tritt deshalb der gesetzliche Normalfall ein, wonach der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat (§ 86 a Abs. 1 S. 1 SGG). Ein Fall des § 86 a Abs. 2 SGG ist vorliegend nicht gegeben. Auch die im Anschluss von der Stadt Vechta erlassenen Bescheide vom 06.02.2008 und 27.02.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 20.06.2008 vermögen diese Rechtsfolge nicht zu beseitigen, denn auch sie wurden von den Antragstellern mit der Klage angefochten. Mithin ist infolge der erhobenen Klage auch hinsichtlich dieser Bescheide aufschiebende Wirkung eingetreten. Die aufschiebende Wirkung hat zur Folge, dass den Antragstellern rückwirkend ab 01.12.2007 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren sind.

Da der Antragsgegner nicht von der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ausgeht, ist diese Wirkung von der Kammer aus Gründen der Rechtssicherheit auszusprechen.

Streitig ist, ob die Antragsteller die seit 28.08.2007 gültige zeitliche Voraussetzung des 48-monatigen Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG erfüllen. Dies ist hinsichtlich der Antragsteller zu 1 bis 5 während des gesamten hier streitigen Zeitraumes, hinsichtlich, der Antragstellerin zu 6) ab 19.07.2008 der Fall. Zwar haben diese Antragsteller noch nicht über einen Zeitraum von 48 Monaten Leistungen "gemäß § 3 AsylbLG" bezogen. Allerdings erfüllen sie unter Anrechnung des vorangegangenen Bezugs von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG diese zeitlichen Voraussetzungen. Insoweit folgt die Kammer den überzeugenden Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen, welcher u.a. in seinem Beschluss vom 17.03.2008 (Verfahren L 11 AY 87/07 ER) ausgeführt hat: ...