VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 12.08.2008 - 1 E 62/07.A - asyl.net: M14171
https://www.asyl.net/rsdb/M14171
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Togo wegen Erkrankung an Epilepsie.

 

Schlagwörter: Togo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Krankheit, Epilepsie, fachärztliche Stellungnahme, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, allgemeine Gefahr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 51 Abs. 5; VwVfG § 49
Auszüge:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Togo wegen Erkrankung an Epilepsie.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Unter Wiederaufgreifen des Verfahrens ist festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Togo für den Kläger gegeben sind.

Gemessen an diesen Maßstäben steht nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen sowie des Vortrags des Klägers zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Togo wegen seiner Epilepsieerkrankung die erhebliche konkrete Gefahr droht, dass sich diese Erkrankung alsbald nach seiner Rückkehr lebensbedrohlich verschlimmern würde, weil ihm die notwendige Behandlung und Medikation aus finanziellen Gründen tatsächlich nicht zugänglich ist.

Für die von der Beklagten geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der zugrunde gelegten ärztlichen Feststellungen hat sie keine konkreten Anhaltspunkte geltend gemacht und solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Bescheinigungen sind in ihren wesentlichen Aussagen hinreichend konkret und widerspruchsfrei. Weder der Umstand, dass die Erkrankung erst nach Abschluss mehrerer Asylverfahren aufgetreten ist, noch der im Vergleich zu anderen Antiepileptika hohe Preis des Medikaments Keppra begründen einen konkreten Anlass für die Annahme, die ärztliche Diagnose und die verordneten Medikamente seien medizinisch nicht gerechtfertigt.

Die nach alledem zur Vermeidung eines lebensbedrohlichen epileptischen Anfalls erforderliche Weiterbehandlung mit dem Antiepileptikum Keppra sowie die Durchführung der Kontrolluntersuchungen sind bei einer Rückkehr nach Togo nicht gewährleistet. Zwar geht das Gericht auf der Grundlage der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes - Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Lome - vom 09.06.2008 davon aus, dass in Togo sowohl das Medikament Keppra als auch die für die Behandlung der Epilepsie notwendigen stationären oder ambulanten Maßnahmen grundsätzlich zur Verfügung stehen. Die hierfür erforderlichen Kosten müssten nach dieser Auskunft des Auswärtigen Amtes jedoch vom Kläger oder seinen Angehörigen selbst getragen werden, ohne dass er eine finanzielle Unterstützung durch staatliche Stellen oder sonstige Einrichtungen erwarten könnte. Diese Kosten bewegen sich in einer Größenordnung, welche die finanziellen Möglichkeiten des Klägers und seiner Familie übersteigen. Auf die konkrete Frage des Gerichts, welche Kosten bei einer Fortsetzung der Behandlung in einer Dosis von 2 x 1.500 mg pro Tag entstehen, hat das Auswärtige Amt einen monatlichen Betrag von 130,- Euro angegeben. Hinzu kommen Kosten für eine ambulante Behandlung, die das Auswärtige Amt mit 10,- Euro monatlich angibt. Die danach entstehende finanzielle Belastung übersteigt das Durchschnittseinkommen einer Familie in Togo von ca. 30.000,- bis 50.000,- FCFA (vgl. Bundesamt "Togo - Gesundheitswesen" vom Oktober 2006) (= ca. 45 bis 76 Euro) erheblich und liegt deutlich höher als der Betrag von 50.000,- bis 60.000,- FCFA (= ca 76 bis 91 Euro), den der Kläger vor seiner Ausreise als selbständiger Schreiner im gesunden Zustand verdient hat. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse seiner Familienangehörigen hat der Kläger konkret dargelegt, dass deren Einkommen jeweils noch unterhalb des Durchschnittseinkommens liegt und eine Finanzierung seiner Behandlung nicht zulässt. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Darstellung im Schreiben vom 31.01.2007 (Bl. 107 d. Gerichtsakte) Bezug genommen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Darstellung sind nicht gegeben. Zusammenfassend ist daher nicht ersichtlich, dass der Kläger oder seine Familienangehörigen die Kosten der erforderlichen Behandlung aufbringen können.

Soweit die Beklagte dem entgegenhält, der Kläger werde aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Nazarener in einem privilegierten Netz von europäischen Brüdern und Schwestern aufgefangen werden, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen, da zum einen diese Annahme bereits in tatsächlicher Hinsicht spekulativ ist, und zum anderen eine in diesem Zusammenhang beachtliche rechtliche Verpflichtung zur Unterstützung für die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Nazarener nicht besteht.

Dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch steht auch nicht § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entgegen. Der Kläger ist hier aus individuellen Gründen nicht in der Lage, die zwingend notwendige medizinische Behandlung im Heimatland zu erlangen, was zu einer konkreten und erheblichen Lebens- und Gesundheitsgefährdung führt. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass es sich bei dieser dem Kläger drohenden Gefahr um eine solche handelt, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt wäre, da die gesundheitliche Situation des Klägers ihn deutlich von anderen Mitgliedern der Bevölkerung von Togo unterscheidet.