Keine Gruppenverfolgung von Sunniten und Schiiten im Irak; kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG wegen schlechter Sicherheits- und Versorgungslage, da einerseits gleichwertiger Abschiebungsschutz durch die Erlasslage gegeben ist und andererseits keine extreme Gefahrenlage besteht.
Keine Gruppenverfolgung von Sunniten und Schiiten im Irak; kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG wegen schlechter Sicherheits- und Versorgungslage, da einerseits gleichwertiger Abschiebungsschutz durch die Erlasslage gegeben ist und andererseits keine extreme Gefahrenlage besteht.
(Leitsatz der Redaktion)
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das Bundesamt hat zu Recht den Folgeantrag und damit die Durchführung eines neuen Asylverfahrens mit dem Ziel der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten abgelehnt.
Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG ist ein neues Asylverfahren nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags nur durchzuführen, wenn sich die der Asylablehnung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).
Die genannten Voraussetzungen sind gegeben. Seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 hat sich die Rechtslage geändert. Nach § 60 Abs. 1 Buchst. c AufenthG ist auch die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Gegensatz zur früheren Rechtslage vom Verfolgungsschutz des § 60 Abs. 1 AufenthG umfasst. Neu ist auch, dass nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Zudem ist durch das Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 und des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. S. 1960 ff.) zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union eine für den Betroffenen günstigere Rechtslage eingetreten. Seit der vorangegangenen rechtskräftigen/bestandskräftigen Entscheidung des Bundesamts hat sich somit die Rechtslage geändert, so dass die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 AsylVfG nicht aus formellen Gründen abgelehnt werden konnte.
Dafür, dass der Klagepartei von den jetzigen Machthabern in ihrer Heimat asylerhebliche Nachstellungen befürchten müsste, konnte ihrem Vorbringen vor dem Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren nichts entnommen werden.
Ebenso wenig kann dem Vorbringen der Klagepartei entnommen werden, dass ihr eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst, c) AufenthG droht.
Die Zugehörigkeit der Gruppe der Sunniten oder Schiiten begründet keinen Verfolgungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Es fehlt an einer Verfolgungshandlung mit asylrelevanten Merkmalen. Nur wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Wesentlichen auf die asylrelevanten Merkmale (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppen oder politische Überzeugung) zurückzuführen ist, begründet sie Verfolgungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Wenn keiner dieser fünf Gründe in einem engen Zusammenhang zu der Furcht vor Verfolgung steht, ist stattdessen nur der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen. Die Mitgliedschaft zur Gruppe der Sunniten im Irak, der - bezieht man die sunnitischen Kurden mit ein - etwa ein Drittel der irakischen Bevölkerung angehört, ist nicht geeignet, eine Gruppenverfolgung der Sunniten zu begründen. Die Sunniten stehen in Auseinandersetzung mit der größten konfessionellen Gruppe im Irak, den Schiiten, die die Mehrheit der irakischen Bevölkerung ausmachen und in den vergangenen politischen Systemen dieses Landes an der Macht kaum beteiligt waren. Die Schiiten strebten aber nach dem Machtwechsel die Vorherrschaft im Staat an. Die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak sind somit Ausdruck eines Kampfes um die Vorherrschaft im Staat. Dieser Machtkampf innerhalb der muslimischen Mehrheitsgesellschaft kann nicht gleichgesetzt werden mit der ausgrenzenden Verfolgung religiöser Minderheiten (ebenso: Tiedemann in Asylmagazin 11/2007, S. 12 ff.). Selbst wenn man das anders sehen würde (vgl. VG Ansbach, U. v. 19.4.2007, AN 3 K 06.30312 und nunmehr auch BayVGH, U. v. 14.11.2007, 23 B 07.30496, der für die Gruppe der Sunniten aus dem Zentralirak ohne Fluchtalternative im Nordirak, eine Gruppenverfolgung durch die Schiiten annahm), so fehlt es angesichts der Größe der beiden Religionsgemeinschaften jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte. Diese wäre nur dann gegeben, wenn für jeden Angehörigen der jeweiligen Gruppe landesweit nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Auch insofern unterscheidet sich die Situation der Muslime im Irak, die regelmäßig auf den Rückhalt ihres Stammes zählen können, in qualitativ erheblicher Weise von der Lage der religiösen Minderheiten (vgl. Tiedemann, a.a.O., S. 13).
Außerdem hat sich die Lage der Gruppen der Sunniten und Schiiten seit dem Erkenntnisstand, der der oben genannten VGH-Entscheidung vom 14. November 2007 zugrunde lag, stark verbessert.
Zusammengefasst lässt sich feststellen: Es gab im letzten Halbjahr 2007 einen Strategiewechsel der Amerikaner, der Wirkung zeigt. Die Bürgermilizen der Sunniten übernehmen die Sicherheit ihrer Stadtviertel. Außerdem hat auch die Gewalt durch schiitische Milizen abgenommen, da diese ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen haben. Zudem hat der irakische Staat Maßnahmen ergriffen, um die Sunniten wieder im Staatsleben zu integrieren, wie das Amnestiegesetz und das so genannte Versöhnungsgesetz zeigen. Die Schiiten waren nach dem Sturz von Saddam-Hussein im Staatsleben (Regierung, Parlament, Polizei, Militär) ohnehin stärker vertreten als die Sunniten und damit mächtiger. Insbesondere sollen die sunnitischen Milizen in die irakische Armee integriert werden. Damit hat der irakische Staat geeignete Schritte eingeleitet, um die Verfolgung der Sunniten oder einen ernsthaften Schaden für diese Volksgruppe zu verhindern. Nach Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (so genannte Qualifikationsrichtlinie) ist damit ein Schutz generell gewährleistet (s. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie).
Weiter spielt eine Rolle, dass die Gewalt in vielen Städten in der Vergangenheit zu einer klaren Aufteilung von schiitischen und sunnitischen Wohngebieten geführt hat. Wo es kaum mehr gemischte Siedlungen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit konfessionell geführter Auseinandersetzungen gering (so auch FAZ vom 5.12.2007 "Rückgang der Gewalt").
Nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts fehlt es somit an einer gezielten Verfolgung der Gruppe der Sunniten aus asylrelevanten Verfolgungsgründen. Die Auswirkungen willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internen bewaffneten Konflikts begründen demgegenüber keinen primären Verfolgungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG, sondern allenfalls sekundären Verfolgungsschutz nach Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie und nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (s. dazu noch näher unten). Aufgrund des oben aufgezeigten Strategiewechsels, des Einsatzes von Bürgermilizen zur Sicherung der Stadtviertel und der Maßnahmen zur Versöhnung zwischen Sunniten und Schiiten kann auch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, die Gruppe der Sunniten (oder Schiiten) vor Verfolgung zu schützen.
Die Klagepartei kann ihre Heimat auch erreichen. Nachdem die türkische Grenze zum Nordirak wieder geöffnet ist, besteht für irakische Staatsangehörige die grundsätzliche Möglichkeit der freiwilligen Rückreise über die Türkei in den Nordirak (vgl. hierzu BayVGH v. 21.09.2000, Az.: 23 B 00.30079). Problemlos ist die Einreise über Jordanien. Ersatzdokumente für freiwillige Rückkehrer werden von den deutschen Behörden ausgestellt (so AA v. 7.5.2004 S. 13/15).
3. Der Klagepartei stehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu.
c) Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Gefahren nach Satz 1 oder Satz 2, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 3). Der neue § 60 Abs. 7 Satz 2 setzt Art. 15 c der Quaiifikationsrichtlinie um (s. bereits oben). Der Anwendungsbereich des subsidiären Schutzes unmittelbar aus Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie ist aber auf solche ernsthaften Schäden begrenzt, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zu bewaffneten Konflikten und kriegsgleichen Zuständen ab einer bestimmten Größenordnung hinsichtlich Intensität und Dauer stehen, wie etwa landesweiten Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen, während die mit solchen Konflikten allgemein für die Bevölkerung mittelbar verbundenen nachteiligen Konsequenzen, wie etwa eine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage jedenfalls hinsichtlich ihrer nachträglichen Auswirkungen nicht darunterfallen (so Hess. VGH vom 26.6.2007 - 8 ZU 452/06.A, veröffentlicht in AuAS 2007, 202). Nach dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie stellen Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Auch Art. 15 Buchst. c der Richtlinie verlangt dem Wortlaut nach "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts." Demnach lässt die Richtlinie grundsätzlich keine allgemeine Bedrohung genügen, sondern setzt eine individuelle Bedrohung voraus (so auch BVerwG vom 15.5.2007 Az.: 1 B 217/01 zu Art. 15 Buchst. c der Richtlinie unter Hinweis auf den Erwägungsgrund Nr. 26 vor Art. 1 der Richtlinie). Eine solche besondere Gefährdung lässt sich den Erkenntnisquellen (vgl. u.a. AA vom 11.11.2007), etwa für Mitglieder der politischen Parteien im Irak, Journalisten sowie für die intellektuelle Elite des Iraks (z.B. Professoren, Ärzte, Künstler) entnehmen, so dass die Anwendung des Erwägungsgrunds Nr. 26 nicht zu einem Anwendungsausschluss oder Leerlaufen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie führt (so auch VGH Baden-Württemberg vom 8.8.2007 - A 2 S 229/07, Asylmagazin 2007 S. 21/22). Bei den von der Klägerseite vorgetragenen Vorfällen im Irak handelt es sich um Auswirkungen eines Konfliktes, denen die Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist. Solche nachträglichen allgemeinen Gefahren sind von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG umfasst. Aufgrund der ausländerrechtlichen Erlasslage ist der Kläger derzeit wirksam vor einer Abschiebung in den Irak geschützt (s. dazu hoch näher unten Buchst. d).
Es besteht auch kein direkter Anspruch aus Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie. Wie oben ausgeführt, liegt eine individuelle Bedrohung nicht vor. Dies setzt aber die Richtlinie voraus.
d) Letztlich kann der Kläger auch nicht im Hinblick auf die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage im Irak wegen allgemeiner Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen. Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 18. Dezember 2003 (Az. IA2-2084.20-13) die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger ausgesetzt und verfügt, dass auslaufende Duldung bis auf weiteres um sechs Monate zu verlängern sind. Mit IMS vom 24. November 2006 und 17. April 2007 wurde diese Erlasslage mit Ausnahme für einen äußerst begrenzten Personenkreis (Straftäter und Sicherheitsgefährder und Vorgaben des UNHCR hinsichtlich Volkszugehörigkeit und Herkunft) verlängert. Damit ist eine Erlasslage geschaffen worden, welche dem betroffenen Ausländer in Fällen einer allgemeinen Gefahr derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass dem Kläger nicht zusätzlich Schutz vor Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren wäre (vgl. BayVGH vom 1.7.2004 Az. 23 B 04.30163, BVerwG vom 27.11.2007 Az. 10 B 119/07 zur gleichgelagerten Erlasslage in Baden-Württemberg, BVerwG v. 12.7.2001, Az.; 1 C 2/01, NVwZ 2001, 1420 und Beschl. vom 23.8.2006 - 1 B 60/06 und Hess. VGH vom 26.6.2007 - 8 ZU 452/06.A, AuAS 2007, 202). Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist ebenso wie bei der Vorgängerregelung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG nicht nur zu beachten, wenn Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 Satz 1 AuslG, jetzt § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 Abs. 1 AufenthG, oder ein Abschiebestopp-Erlass nach § 54 AusIG, jetzt § 60 a AufenthG, besteht, sondern auch dann, wenn eine andere ausländerrechtliche Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung dem betroffenen Ausländer einen vergleichbaren wirksamen Schutz vor Abschiebung vermitteln. Dies gilt auch für die neue Rechtslage (s. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Dies hat auch das Bundesverwaltungsgericht mit der Entscheidung vom 23. August 2006 Az. 1 B 60/06 für die neue Rechtslage und auch für die Erlasslage im Irak bestätigt. Dies gilt auch für die Feststellung, dass eine Beseitigung der Sperrwirkung durch eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 Satz 1 AufenthG oder ein Abschiebestopperlass nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bestehen oder wenn eine andere ausländerrechtliche Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (s. Rdnr. 4 a.a.O.). Für den vergleichbar wirksamen Schutz eines Abschiebestopperlasses kommt es nur auf die Schutzwirkung der Duldung bzw. eines Erlasses im Hinblick auf eine drohende Abschiebung an, nicht aber auf die Folgewirkungen im Hinblick auf eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts wie etwa einen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Sofern es im Rahmen von § 25 Abs. 3 AufenthG zu Wertungswidersprüchen führen sollte, wenn es aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG wegen einer bestehenden Erlasslage, die (nur) die Erteilung von Duldungen vorsieht, nicht zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Bundesamt kommt, obwohl - möglicherweise - im Zielstaat eine extreme Gefahrenlage für den Betroffenen besteht, kann dem ggf. durch eine entsprechende Auslegung von § 25 Abs. 3 AufenthG Rechnung getragen werden (so BVerwG vom 23.8.2006 a.a.O., Rdnr. 4).
Allerdings ist der 19. Senat des BayVGH (Beschl. v. 18.3.2008 Az. 19 ZB 08.479) der Auffassung, dass die ausländerrechtliche Erlasslage, weil sie nicht aus humanitären Gründen erfolgt sei, keinen mit § 60 a AufenthG vergleichbaren Schutz bietet. Auch wenn diese Rechtsprechung von der oben angegebenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 2006 Az. 1 B 60/06 abweicht und auch nicht von den für Asylrecht-Irak zuständigen Senaten des BayVGH bestätigt wurde, erfolgt im vorliegenden Rechtsstreit auch eine Prüfung, ob dem Kläger Schutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG zusteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG voraus, dass dem Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohen. Die hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts der allgemeinen Gefahr für den jeweiligen Ausländer markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (so BVerwG vom 14.11.2007 Az. 10 B 47/07). Dabei ist eine Gesamtschau und Gesamtbetrachtung der Gefahren erforderlich. Eine solche extreme Gefahrenlage besteht aber für den Kläger bei einer Rückkehr in den Irak mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2007 schätzt die Sicherheitslage nicht nur in Bagdad prekär und auch in den Städten wie Baquba, Fallutscha, Ramadi, Samarra, Tal Afar, Kirkuk, Mossul und Basra als sehr angespannt ein. In Teilen des Nordiraks ist hingegen die Sicherheitslage besser als in den vorgenannten Gebieten. Der schiitisch dominierte Südirak weist eine geringere Anschlagsdichte auf als der Zentralirak (s. dort 11.1). Danach überlagern sich mehrere ineinandergreifende Konflikte wie der Kampf der irakischen Regierung und der multinationalen Streitkräfte gegen Aufständische, Terroranschläge zumeist sunnitischer Islamisten gegen die Zivilbevölkerung, konfessionell-ethnische Auseinandersetzungen zwischen den großen Bevölkerungsgruppen der arabischen Sunniten, arabischen Schiiten und Kurden, aber auch mit den Minderheiten sowie Kämpfe zwischen Milizen um Macht und Ressourcen. Seit diesem letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes hat sich aber die Lage im Irak deutlich verbessert, wie bereits oben ausgeführt wurde. Nach den dort angeführten Presseberichten gehen seit einem halben Jahr die Zahl der Anschläge und Opfer im ganzen Land stark zurück. Dies ist auf einem im letzten Halbjahr 2007 erfolgten Strategiewechsel der amerikanischen Armee und auf den verstärkten Einsatz der irakischen Armee sowie von sunnitischen Milizen zurückzuführen (vgl. dazu insbesondere Bericht der SZ vom 25.6.2008). Die verbesserte Sicherheitslage zeigt sich auch darin, dass die Zahl der Terror-Angriffe von monatlich 1.200 im Juni 2007 auf 200 im Juni 2008 zurückgegangen ist (vgl. SZ vom 25.6.2008). Zahlreiche Iraker, die in die Nachbarländer geflüchtet waren, sind zwischenzeitlich wieder zurückgekehrt (s. Nachweise oben 1.). Auch die Kämpfe zwischen den Religionsgruppen der Sunniten und Schiiten sind abgeebbt. Zwar hat sich die Sicherheitslage im Irak noch nicht mit letzter Sicherheit stabilisiert. Es bestehen auch Unterschiede, insbesondere in der Provinz Diyala herrschen noch Kämpfe mit der Terrorgruppe Al-Quaida (vgl. SZ vom 25.6.2008). Es besteht aber doch unter Würdigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine so extreme Gefahrenlage, die, sofern kein Abschiebestopperlass bestünde, die Feststellung eines Abschiebeverbotes in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 rechtfertigen würde. Auch die Versorgungslage im Irak mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Stromversorgung ist nicht derartig schlecht, dass eine extreme Gefährdung angenommen werden müsste.