OLG Celle

Merkliste
Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 08.10.2008 - 22 W 44/08 - asyl.net: M14201
https://www.asyl.net/rsdb/M14201
Leitsatz:

Versäumnisse der Gerichtsorganisation oder der Justizverwaltung sind nicht geeignet, verzögerte und deshalb rechtswidrige Freiheitsentziehungen zu rechtfertigen.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Beschleunigungsgebot, Sachaufklärungspflicht, Bereitschaftsdienst, Amtsgericht, Bundesverfassungsgericht, Rechtsprechung, Bindungswirkung
Normen: AufenthG § 62; FGG § 12; GG Art. 104 Abs. 2; BVerfGG § 31 Abs. 1
Auszüge:

Versäumnisse der Gerichtsorganisation oder der Justizverwaltung sind nicht geeignet, verzögerte und deshalb rechtswidrige Freiheitsentziehungen zu rechtfertigen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern ergangen. So genügt die Entscheidung zunächst nicht der auch dem Landgericht als Beschwerdegericht nach § 12 FGG obliegenden Pflicht zur Sachaufklärung. Zu besorgen ist überdies eine Verletzung von Art. 104 Abs. 2 GG und § 31 Abs. 1 BVerfGG.

Die angefochtene Entscheidung teilt bereits nicht mit, wann genau am 28. Januar 2008 (offenbar aber vor 16.00 Uhr), durch wen und wo der Betroffene festgenommen wurde. Dies lässt sich auch aus dem übrigen Vorbringen nicht zuverlässig entnehmen. Aus dem Beschluss geht auch nicht hervor, ob es sich um eine geplante oder um eine spontane Festnahme des Betroffenen gehandelt hat, die eine längere Bearbeitungszeit der Beteiligten vor einer Vorführung rechtfertigen könnte. Auch wird nicht mitgeteilt, wann die Beteiligte von der Festnahme des Betroffenen Kenntnis erhielt und ob bzw. welche Maßnahmen vor einer Zuführung noch erforderlich waren (z.B. Identitätsfeststellung oder ausländerrechtliche Ermittlungen bei einer entfernt belegenen Behörde). Offen bleibt auch, ob die Beteiligte am 28. Januar 2008 eine Vorführung beim Amtsgericht versucht hatte bzw. weshalb die Vorführung erst am 29. Januar 2008 um etwa 14.00 Uhr erfolgte. Ohne diese Feststellungen aber ist im Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde eine Überprüfung, ob der in Freiheitsentziehungssachen zu beachtende Beschleunigungsgrundsatz hinreichend beachtet wurde, nicht abschließend möglich.

Höchst vorsorglich weist der Senat indessen darauf hin, dass die angefochtenen Entscheidungen kaum werden Bestand haben können, soweit hierin - mit überdies teilweise fragwürdigen Erwägungen - die nunmehr ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Notwendigkeit des richterlichen Bereitschaftsdienstes (vgl. nur Beschlüsse vom 15.5.2002 [2 BvR 2292/00], 4.2.2005 [2 BvR 308/04] und 13.12.05 [2 BvR 447/05] in Frage gestellt wird (vgl, auch OLG Celle vom 22.12.2004 [16 W 1551.04]). Jedenfalls werden hierzu bemühte Versäumnisse der Gerichtsorganisation oder der Justizverwaltung kaum geeignet sein, verzögerte und deshalb rechtswidrige Freiheitsentziehungen zu rechtfertigen. Entsprechendes gilt für die Frage, ob ein Richter oder der notwendige Folgedienst im Rahmen des erforderlichen Bereitschaftsdienstes notfalls eine Anreise von einer Stunde in Kauf nehmen müssen, um dem Erfordernis des Art. 104 GG Rechnung zu tragen. Schließlich unterliegt nicht unerheblichen Zweifeln, ob sich eine schließlich am 29. Januar 2009 um etwa 14.00 Uhr erfolgte Vorführung letztlich nicht ausgewirkt hat, weil der "zuständige" Richter am Vormittag des 29. Januar 2008 wegen einer Sitzung "gebunden" war. In dem dem Senat vorliegenden Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Neustadt dürften sind übliche Vertretungsregelungen getroffen worden.

Wenngleich hiernach viel dafür spricht, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen bis zur schließlich erfolgten Vorführung in den späten Mittagsstunden des Folgetages - zumindest teilweise - rechtswidrig war, kam mangels zureichender Feststellungen eine eigene Sachentscheidung durch den Senat nicht in Betracht. Vielmehr wird nunmehr das Landgericht Hannover Gelegenheit haben, die gebotenen Feststellungen nachzuholen und sodann seine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung hieran - und an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - auszurichten. Auf die Vorschrift des § 31 Abs. 1 BVerfGG wird vorsorglich hingewiesen.