VG München

Merkliste
Zitieren als:
VG München, Urteil vom 22.07.2008 - M 11 K 08.50116 - asyl.net: M14207
https://www.asyl.net/rsdb/M14207
Leitsatz:

Hat das Bundesamt bereits vor oder nach dem 1.1.2005 die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung sachlich geprüft und verneint, ist ein späterer Widerruf nur auf dem Ermessenswege gem. § 73 Abs. 2 a S. 3 AsylVfG möglich.

 

Schlagwörter: Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Ermessen
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a
Auszüge:

Hat das Bundesamt bereits vor oder nach dem 1.1.2005 die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung sachlich geprüft und verneint, ist ein späterer Widerruf nur auf dem Ermessenswege gem. § 73 Abs. 2 a S. 3 AsylVfG möglich.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist auch begründet.

Der angefochtene Widerruf ist rechtswidrig, weil er gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht als gebundene Entscheidung ergehen konnte, sondern gemäß § 73 Abs. 2 a Satz 3 AsylVfG eine Ermessensentscheidung durch das Bundesamt erforderlich war.

Nach der derzeitigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. U. v. 4.7.2007 Az. 23 B 07.30069) und des Bundesverwaltungsgerichts (v. 20.3.2007 Az. 1 C 21/06) gilt § 73 Abs. 2 a AsylVfG grundsätzlich auch für den nach dem 1. Januar 2005 ausgesprochenen Widerruf einer vor diesem Zeitpunkt unanfechtbar gewordenen Anerkennung mit der Maßgabe, dass die dort in Satz 1 vorgesehene Drei-Jahresfirst, nach deren Ablauf das Bundesamt spätestens erstmals die Widerrufsvoraussetzungen prüfen muss, bei diesen Alt-Anerkennungen erst vom 1. Januar 2005 an zu laufen beginnt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass nach Ablauf von drei Jahren seit Unanfechtbarkeit der Anerkennung ein Widerruf nur noch im Wege einer für den Anerkannten günstigeren Ermessensentscheidung getroffen werden kann und darf. Denn eine Ermessensentscheidung kommt bei derartigen Alt-Anerkennung nach dem in § 73 Abs. 2 a AsylVfG vorgesehenen neuen zweistufigen Verfahren erst in Betracht, wenn das Bundesamt in einem vorangegangenen Verfahren die Widerrufsvoraussetzungen sachlich geprüft und verneint hat. Vielmehr knüpft die Neuregelung den Übergang zu einer Ermessensentscheidung nicht an den bloßen Zeitablauf von drei Jahren, sondern verlangt eine vorherige sachliche Prüfung und Verneinung der Widerrufsvoraussetzungen durch das Bundesamt im Wege einer sogenannten Negativentscheidung.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Dezember 2007 (Az. 10 B 146/07) die Beschwerde der Bundesrepublik gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Juli 2007 für zulässig und begründet erachtet und die grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 2 a AsylVfG in diesen Fällen bejaht; dass erkennende Gericht folgt jedoch der derzeit bestehenden Rechtsprechung.

Für den Fall des Klägers bedeutet dies, dass § 73 Abs. 2 a AsylVfG auf den angefochtenen Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsanerkennung anwendbar ist, und dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung des Bundesamts erfüllt waren. Das Bundesamt hat über die Alt-Anerkennung des Klägers (Bescheid vom 27.8.2002) in einem von der Ausländerbehörde angeregten Widerrufsverfahren im September 2003 eine sachliche Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen durchgeführt, deren Vorliegen mit schriftlicher Begründung verneint (Entsch. v. 3.9.2003, Bl. 57 - Rückseite - d. Behördenakte) und die getroffene Negativentscheidung mit Schreiben vom 4. September 2003 dem Landratsamt München mitgeteilt. Hat aber eine vorausgegangene erste Prüfung stattgefunden und nicht zu einem Widerruf geführt, ist nach dem in § 73 Abs. 2 a AsylVfG vorgesehenen neuen zweistufigen Verfahren eine Ermessensausübung in einem weiteren Widerrufsverfahren eröffnet und geboten. Der streitgegenständliche Bescheid geht ausweislich seiner Begründung von einer gebundenen Entscheidung aus und enthält keinerlei Ermessenserwägungen.