Iranischen Staatsangehörigen, die zum Christentum konvertiert sind und nicht den traditionellen christlichen Glaubensgemeinschaften angehören, drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren gem. § 60 Abs. 7 AufenthG; keine Gewährleistung des "religiösen Existenzminimums".
Iranischen Staatsangehörigen, die zum Christentum konvertiert sind und nicht den traditionellen christlichen Glaubensgemeinschaften angehören, drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren gem. § 60 Abs. 7 AufenthG; keine Gewährleistung des "religiösen Existenzminimums".
(Leitsatz der Redaktion)
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 15.06.2006 ist - soweit er noch in Streit steht - rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Denn sie haben einen Anspruch auf Wiederaufgreifen ihres Verfahrens und Abänderung des Bescheides vom 11.09.2003 dahingehend, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG aufgrund ihres geltend gemachten und nach außen hin dokumentierten Übertritts zum christlichen Glauben vorliegen (§113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Kläger haben einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3 VwVfG.
Die erforderliche Änderung der Sachlage ist hier darin zu sehen, dass die Kläger geltend gemacht und durch ihre Taufe am 2006 nach außen hin ihren Übertritt zum christlichen Glauben dokumentiert haben. Dieser Vortrag begründet die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung im Hinblick auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG bei den Klägern, da konvertierten Christen im Iran unter Berücksichtigung des religiösen Existenzminimums zumindest eine Gefahr für ihre Freiheit droht.
Die Voraussetzungen des Abschiebungshindernisses des § 60 Abs. 7 AufenthG liegen in Bezug auf die Kläger vor.
Bei ihrer Rückkehr in den Iran würden den Klägern aufgrund ihres Übertritts zum christlichen Glauben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zumindest freiheitsentziehende Maßnahmen drohen. Aufgrund der Willkür des iranischen Regimes ist bei einer offenen Darstellung des Glaubensübertritts sowie im Fall einer nicht verheimlichten Religionsausübung mit der Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen und strafrechtlicher Ahndung unter dem Vorwand nicht religiös motivierter Straftaten zu rechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Iran Folter bei Verhören, in der Untersuchungshaft und in regulärer Haft häufig vorkommen.
Maßstab jeden Abschiebungsschutzes ist insoweit zwar (nur) der beschränkte Religionsbegriff, nämlich das religiöse Existenzminimum, das als "forum internum" die beschränkte Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich und die Möglichkeit zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich - im Gegensatz zum öffentlichen Bereich - umfasst (vgl. allgemein zum religiösen Existenzminimum: BVerfG, B. v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86, 2 BvR 962/86, 2 BvR 478, 962/86 - BVerfGE 76, 143 (158ff.); BVerwG, U. v. 18.02.1986 - 9 C 16.85 zitiert nach juris). Da aber bereits unter Berücksichtigung dieses engen Maßstabes bei den Klägern die beachtliche Wahrscheinlichkeit freiheitsentziehender Maßnahmen anzunehmen ist, bedarf es daher keiner Entscheidung darüber, ob dieser Maßstab im Rahmen des sekundären Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 2 ff AufenthG) einer Modifikation wegen der mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 unmittelbar anwendbar gewordenen und durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970) - in Kraft getreten am 28. August 2007 - in nationales Recht umgesetzten Qualifikationsrichtlinie (QR) bedarf.
Zunächst geht das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass der Glaubensübertritt der Kläger einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung, auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung ihre persönlichen Beweggründe dargelegt und glaubhaft ihre Entwicklung hin zum christlichen Glauben sowie ihre Aktivitäten für die Glaubensgemeinschaft dargelegt. So haben sie ihr inneres Bedürfnis nach der Konvertierung geschildert. Sie sind nach der Überzeugung des Gerichts fester Bestandteil der evangelischen Kirchengemeinde in ...
Es ist davon auszugehen, dass die Kläger bei einer Rückkehr in den Iran ihre bisher aufgenommene christliche Betätigung weiterführen werden. Aus der Art ihres Vortrages ist deutlich geworden, dass es sich bei dem christlichen Glauben um eine Herzensangelegenheit der Kläger handelt, die eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielt. Die Kläger könnten - unabhängig von einer missionierenden Tätigkeit - im Iran ihren neuen christlichen Glauben nicht in einer das religiöse Existenzminimum wahrenden Weise ausüben, ohne in eine ausweglose Lage zu geraten und dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr von Eingriffen zumindest in ihre Freiheit ausgesetzt zu sein (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 20.01.2004 - 1 C 9/03 - zitiert nach juris).
Nach der dem Gericht zur Verfügung stehenden einhelligen Auskunftslage leben zwar die Muslime im Iran mit den Angehörigen der drei weiteren durch die Verfassung anerkannten Religionsgemeinschaften, (Christentum, Zoroastrismus und Judentum) im Wesentlichen friedlich nebeneinander. Demgegenüber können Mitglieder solcher religiöser Minderheiten, denen zum Christentum konvertierte Muslime angehören, staatlichen Repressionen ausgesetzt sein. Dies gilt insbesondere für alle missionierenden Christen. Es kommt aber nach der Einschätzung des Auswärtigen Amts auch vor, dass nicht missionierende, zum Christentum konvertierte Iraner bis hin zur Ausgrenzung benachteiligt werden (AA, Lagebericht, a.a.O.). Eine noch erheblichere Gefährdung als das Auswärtige Amt sieht die Schweizerische Flüchtlingshilfe in dem erwähnten Bericht vom 18.10.2005. Konvertiten seien einer erhöhten Gefährdungssituation ausgesetzt. Grund hierfür sei die Vermutung der Behörden, mit der Konversion gehe eine regimekritische Handlung einher. Berichten zufolge würden Konvertiten, sobald ihr Übertritt den Behörden bekannt werde, zum Informationsministerium zitiert, wo sie wegen ihres Verhaltens scharf verwarnt würden. Sollten sie weiter in der Öffentlichkeit auffallen, beispielsweise durch Besuche von Gottesdiensten, Missionsaktivitäten oder ähnlichem, könnten sie nach Belieben von den iranischen Behörden mit Hilfe konstruierter Vorwürfe wie Spionage, Aktivitäten in illegalen Gruppen oder aus anderen Gründen vor Gericht gestellt werden. Ob ein Konvertit durch den iranischen Staat verfolgt werde oder nicht, hänge im großen Ausmaß mit seinem Verhalten in der Öffentlichkeit zusammen. Ein Konvertit, der im Ausland zum Christentum übergetreten sei, könne nur solange wirklich ungefährdet wieder zurückkehren, wie die iranischen Behörden keine Kenntnis bezüglich seiner Konversion erhielten. Solange Konvertiten ihren Glauben unbemerkt von den iranischen Behörden und unbemerkt von Familienangehörigen, Nachbarn und Bekannten ausübten, drohe ihnen keine Gefahr durch den iranischen Staat. Sie würden nach wie vor offiziell weiter als Muslime gelten und sich präsentieren. Im Iran bestünden etwa 100 christliche Hausgemeinschaften, an denen Apostaten teilnähmen. Sollten diese sich in der Öffentlichkeit allerdings auffällig verhalten oder gar missionieren, müssten sie mit einschneidenden Maßnahmen der Regierung rechnen. Sollten Familienangehörige der Apostaten extrem fanatische Muslime sein, könne der Übertritt zum Christentum zu nachhaltiger Denunzierung bei iranischen Sicherheitsdiensten führen. Zugleich könne der Übertritt immer auch als Hochverrat, Staatsverrat und Abfall von der eigenen Sippe und dem eigenen Stamm angesehen werden. Dies könne zu zahlreichen Anzeigen von Familienangehörigen sowie zu schweren körperlichen Misshandlungen und unter Umständen längeren Verhaftungen durch iranische Sicherheitsdienste führen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich bei ihrer Beurteilung der Gefährdungslage in erster Linie auf die Stellungnahmen und Auskünfte des Deutschen Orient-Instituts, denen zusammenfassend zu entnehmen ist, dass Apostaten im Falle ihrer öffentlichen christlichen Glaubensbetätigung Im Iran einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt sind. Eine Gefährdung bestünde nur dann nicht, wenn religiöse Handlungen in privaten Räumen in der Weise vorgenommen würden, dass hiervon niemand etwas erfahre. Sobald allerdings über diesen privaten Bereich hinausgegangen werde, sei es wahrscheinlich, dass iranische Sicherheitskräfte in der Glaubensbetätigung eine verbotene oppositionelle Aktivität unter dem Deckmantel der Religion vermuteten. Insgesamt sei das Vorgehen iranischer Sicherheitskräfte insoweit willkürlich und nicht im Einzelnen berechenbar, zumal Referenzfälle und Vergleichsmöglichkeiten fehlten. In Betracht komme insbesondere die Einleitung eines Verfahrens wegen Hochverrats, oder die Angelegenheit werde entweder über die Vorschriften, die wegen Tätigkeit in verbotenen Gruppen bestehe, oder über den Verstoß gegen den islamischen ordre public geregelt.
Auch berichten die vom Gericht herangezogenen Erkenntnisquellen übereinstimmend von Verhaftungen, Verurteilungen und sogar Tötungen (konvertierter) Priester, Kirchenverantwortlicher oder besonders aktiver Christen bis in die jüngere Vergangenheit (vgl. US Department of State, International Religious Freedom Report 2006, 15. September 2006, der von einer Verhaftung eines konvertierten Priesters in Gorgan am 2. Mai 2006 berichtet; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Christen und Christinnen im Iran, 18. Oktober 2005; BAMF, Sonderbericht über die Situation christlicher Religionsgemeinschaften im Iran, Januar 2005).
Nach der Auffassung des Gerichts ist aufgrund dieser Erkenntnislage von dem Vorliegen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für gegen die Kläger gerichtete zumindest freiheitsentziehende Maßnahmen auszugehen (vgl. ebenso VG Bayreuth, U. v. 27.04.2006 - B 3 K 06.30073 -, zitiert nach juris; VG Düsseldorf, U. v. 15.08.2006, Asylmagazin 2006, Heft 10, S. 22).
Zwar steht nicht zu erwarten, dass der iranische Staat jeden vom islamischen Glauben abgefallenen und zum christlichen Glauben übergetretenen Staatsangehörigen verfolgen wird. Aufgrund der Willkür des iranischen Regimes ist aber nach der Auffassung des Gerichts bei einer offenen Darstellung des Glaubensübertritts sowie im Falle einer nicht verheimlichten Religionsausübung jedenfalls in einer beträchtlichen Anzahl der Fälle mit der Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass im Iran Folter bei Verhören, in der Untersuchungs- und in regulärer Haft vorkommt. Es gibt im Iran auch weiterhin willkürliche Festnahmen sowie lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil. Seit der Wahl von Mahmoud Ahmadinejad zum iranischen Staatspräsidenten im Jahr 2005 ist die Reformpolitik seines Vorgängers vollständig zum Erliegen gekommen. Die Hoffnungen eines umfassenden Menschenrechtsdialogs zwischen der Europäischen Union und dem Iran, der Anfang Dezember 2002 in Teheran aufgenommen worden ist, haben sich bislang nicht erfüllt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21.09.2006 [Erkenntnismittel Nr. 943]). Schließlich kann bei der Beurteilung des Grades der Wahrscheinlichkeit der von den Klägern zu erwartenden Verfolgungsmaßnahmen auch nicht gänzlich außer Betracht bleiben, dass der Abfall vom Islam zwar nach dem kodifizierten iranischen Strafrecht nicht mit Strafe bedroht ist, es aber eine ungeschriebene religiös-gesetzliche Strafbarkeit der Apostasie gibt, die im islamischen Kulturkreis nicht mit einer persönlich-seelischen Gewissensentscheidung, sondern mit dem politischen Hochverrat an der Gemeinschaft der Gläubigen in Verbindung gebracht und deswegen als todeswürdiges Verbrechen eingestuft wird (vgl. BVerwG, U. v. 20.01.2004, a.a.O.).
Vorstehendes wird durch die aktuelle Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum aufgrund neuer Erkenntnismittel gestützt.
Das Verwaltungsgericht Mainz führt in seinem Urteil vom 15.07.2008 (3 K 640/06.MZ, zitiert nach juris) aus: ...
Den Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht auch für den Fall der Kläger als konvertierte evangelikale Christen, die nicht der traditionellen, ethnisch geprägten christlichen Glaubensgemeinschaften (armenisch-orthodoxe, armenisch-evangelische, römisch-katholische, assyrisch-chaldäische Kirche) angehören, vollinhaltlich an.