VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 02.10.2008 - 2 K 1296/08 - asyl.net: M14217
https://www.asyl.net/rsdb/M14217
Leitsatz:

Ein anhängiges Verfahren auf Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ist kein zureichender Grund für eine verzögerte Entscheidung über einen Antrag auf Einbürgerungszusicherung für den Fall der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Zusicherung, Konventionsflüchltinge, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Widerrufsverfahren, Bindungswirkung, Anerkennungsbescheid, Hinnahme der Mehrstaatigkeit, Niederlassungserlaubnis, Ermessen, Integration, Privatleben, EMRK, Untätigkeitsklage, zureichender Grund, Antrag, Auslegung, Irak, Iraker
Normen: VwGO § 75; StAG § 10 Abs. 1; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; AufenthG § 52 Abs. 1 Nr. 4; AsylVfG § 73 Abs. 2c; EMRK Art. 8 Abs. 1
Auszüge:

Ein anhängiges Verfahren auf Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ist kein zureichender Grund für eine verzögerte Entscheidung über einen Antrag auf Einbürgerungszusicherung für den Fall der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Die Klage ist nach § 75 Satz 1 und 2 VwGO zulässig, nachdem der Beklagte seit mehr als drei Monaten weder über den Einbürgerungsantrag noch über den Antrag auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung entschieden hat. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Einbürgerungsbewerber seinen Klageantrag auf die Verpflichtung zur Erteilung einer Einbürgerungszusicherung beschränken kann, wenn diese Zusicherung der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit des Bewerbers und damit der Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG dient (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.07.1994 – 13 S 2147/93 – InfAuslR 1995, 116 = EzAR 273 Nr. 2). Dabei reicht es aus, dass der Einbürgerungsbewerber – wie der Kläger dies mit dem Schreiben seines Bevollmächtigten vom 27.05.2008 getan hat – während des Antragsverfahrens die Bereitschaft erklärt, nach schriftlicher Zusicherung der Einbürgerung die für die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit erforderlichen Schritte zu unternehmen. Denn in diesem Fall enthält der Antrag auf Einbürgerung als Minus auch den Antrag auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 11.07.2007 – 1 A 224/07 –, juris).

Entgegen seinem Vortrag ist dem Beklagten nicht nach § 75 Satz 3 VwGO eine Frist zur Entscheidung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft einzuräumen. Es besteht kein zureichender Grund dafür, dass der Abschluss dieses Verfahrens abgewartet wird, bevor über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zusicherung der Einbürgerung entschieden wird. Der Ausgang diesesWiderrufsverfahrens ist für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung ohne Einfluss.

Ein solcher Einfluss bestünde allenfalls dann, wenn der Kläger eine Einbürgerung unter Beibehaltung seiner bisherigen irakischen Staatsangehörigkeit begehren und er sich deshalb auf den Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG berufen müsste (hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.11.2005 – 12 S 1695/05 –, InfAuslR 2006, 230 = ESVGH 56, 189). Dies ist jedoch – unabhängig davon, ob nicht bereits ein anderer Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 StAG vorliegt – nicht der Fall, da der Kläger allein einen Anspruch auf eine Einbürgerungszusicherung geltend macht, die unter den Vorbehalt der Entlassung aus der irakischen Staatsangehörigkeit gestellt ist. Ein zureichender Grund für eine Fristsetzung nach § 75 Satz 3 VwGO ergibt sich auch nicht daraus, dass die Ausländerbehörde nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG über den Widerruf der Niederlassungserlaubnis des Klägers entscheiden kann, wenn die Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling erloschen ist. Der geltend gemachte Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG knüpft allein an das Bestehen eines achtjährigen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts im Inland und – in Nr. 2 – an den Charakter des Aufenthaltsrechts an. Maßgeblich ist somit die Integration in der Vergangenheit und dass berechtigte Vertrauen auf den Fortbestand derselben. Eine Anforderung, dass der Fortbestand des Aufenthaltsrechts ausländerrechtlich auch auf unabsehbare Zukunft gesichert wäre, ist nicht erhoben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung des § 73 Abs. 2c AsylVfG. Denn diese Regelung ist allein darauf beschränkt, die Verbindlichkeit der Entscheidung über den Asylantrag für das Einbürgerungsverfahren entfallen zu lassen, solange ein Verfahren über den Widerruf oder die Rücknahme des Asylstatus eines Ausländers anhängig ist. Eine Wirkung, nach welcher im Einbürgerungsverfahren auch ein dem Asyl- oder Flüchtlingsstatus akzessorischer Aufenthaltstitel unbeachtlich bleiben soll, lässt sich der Norm nach ihrem klaren Wortlaut nicht entnehmen. Selbst wenn man – mit dem Beklagten – auf der Grundlage der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 16.02.2006 – 12 S 2430/05 –) einen verfahrensrechtlichen Gestaltungsspielraum der Einbürgerungsbehörde anerkennen würde, mit einer Entscheidung über die Einbürgerung zuzuwarten, wenn der Fortbestand einer Einbürgerungsvoraussetzung unsicher ist, wären die Voraussetzungen für ein solches Zuwarten hier deshalb nicht gegeben, weil der zukünftige Wegfall des aufenthaltsrechtlichen Status des Klägers alles andere als konkret absehbar ist. So ist die Entscheidung über den Widerruf der Niederlassungserlaubnis des Klägers erst nach der Unanfechtbarkeit des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft des Klägers möglich (vgl. § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG i.V.m. §§ 73 Abs. 6; 72 Abs. 2 AsylVfG), wobei das entsprechende Klageverfahren mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25.04.2008 – 7 K 2465/07 – zum Ruhen gebracht worden ist. Vor allem aber stünde der Widerruf der Niederlassungserlaubnis im Ermessen der Ausländerbehörde, die bei ihrer Entscheidung neben dem öffentlichen Interesse an dem Widerruf eines zum Flüchtlingsstatus akzessorischen Aufenthaltsrechts auch die gleichgewichtigen, insbesondere über Art. 8 Abs. 1 EMRK ausgestalteten gegenläufigen Belange des Klägers berücksichtigen müsste (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.7.2006 – 11 S 951/06 –, VBlBW 2006, 442 = ZAR 2006, 414 unter Hinweis auf EGMR, Entscheidung vom 16.6.2005 – 60654/00 – <Sisojeva ./. Lettland>), der sich seit seinem siebten Lebensjahr für bereits 11 Jahre ohne Unterbrechungen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und sich hier sowohl über eine einwandfreie schulische Laufbahn als auch sonst in einem hohen Maße integriert hat.

2. Die Klage ist auch begründet (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung, d.h. auf die unter die Bedingung des Fortbestands der maßgeblichen Sach- und Rechtslage gestellte Zusage des Beklagten, ihn im Falle der Aufgabe seiner irakischen Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.