VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 23.09.2008 - 6 ZB 06.31124 - asyl.net: M14225
https://www.asyl.net/rsdb/M14225
Leitsatz:

Keine Berufungszulassung:

Bestätigung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das VG für eine alleinstehende Frau aus Afghanistan, die bei Rückkehr geschlechtsspezifischer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt wäre.

Schlagwörter: Afghanistan, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, geschlechtsspezifische Verfolgung, Zumutbarkeit, Situation bei Rückkehr, alleinstehende Frauen, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, westliche Orientierung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Rechtssache hat nicht die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

Der vorliegende Fall und das weitere Vorbringen im Zulassungsantrag bieten jedenfalls keinen Anlass für eine grundsätzliche Klärung im Interesse einer einheitlichen Auslegung und Anwendung oder Fortentwicklung des Rechts; insbesondere könnten in einem Berufungsverfahren verallgemeinerungsfähige, d.h. über den Einzelfall hinaus bedeutsame Erkenntnisse, nicht gewonnen werden. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass bei den Verhältnissen, wie sie derzeit in Afghanistan bestehen, für die große Mehrzahl der betroffenen Frauen die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der sog. geschlechtsspezifischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure – ausscheiden werde, weil diesen die Unterordnung unter die gegebenen Verhältnisse regelmäßig zumutbar sein werde. Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts muss aber auch Raum für individuell begründete Ausnahmen durch Berücksichtigung subjektiver Umstände sein nämlich dann, wenn ansonsten die betroffene Frau in ihrer Menschenwürde verletzt werden würde, weil das auch bei grundsätzlicher Anlegung eines objektiven Maßstabes die absolute und unüberschreitbare Grenze sein müsse. Das Verwaltungsgericht hat dann nach individueller Prüfung der bei ihr vorliegenden Lebensumstände eine solche Ausnahme für die Beigeladene angenommen. Denn es sei eine Sachlage gegeben, bei der die Rückkehr der Beigeladenen nach Afghanistan sich in eine Situation zuspitzen würde, die den Vorgaben für eine drohende sog. geschlechtsspezifische Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 und 4 lit. c AufenthG entspreche. Das ergebe sich aus folgenden Umständen: Die Beigeladene wäre in Afghanistan eine allein stehende Frau. Wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 29. Juli 2004 zutreffend ausführe, wäre die Beigeladene im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in der Lage, sich gegen drohende menschenunwürdige, sog. geschlechtsspezifische Misshandlungen zur Wehr zu setzen. Auch eine Schutzgewährung durch die in Afghanistan tätigen Sicherheitskräfte sei nach den oben dargestellten Erkenntnissen nicht erreichbar. Daher hätte die Beigeladene, um ihr Überleben zu sichern, lediglich die Möglichkeit, entweder der Prostitution nachzugehen oder sich einen männlichen Beschützer zu suchen, wobei selbst insoweit nicht sichergestellt sei, dass sie als tendenziell von Ausgrenzung bedrohte Rückkehrerin aus dem westlichen Ausland hiermit Erfolg haben würde. Angesichts dessen, dass für die Beigeladene diese Optionen nicht zumutbar seien, sei davon auszugehen, dass im Falle einer Rückkehr die oben benannte Verfolgungsgefahr bestehen würde, so dass die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG geboten sei. Weil es dem Verwaltungsgericht also auf die individuellen Lebensumstände der Beigeladenen im konkreten Einzellfall ankam, lässt eine Berufungsentscheidung die Klärung der aufgeworfenen Frage mit verallgemeinerungsfähiger Auswirkung (vgl. BVerwGE 70, 24; BVerwG v. 9.6.1999 NVwZ 1999, 1231) nicht erwarten. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Verwaltungsgericht auch nicht von einer Erweiterung des Anspruchs auf die Flüchtlingsstellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG durch die Neufassung dieser Vorschrift ausgegangen, sondern davon, dass gerade im konkreten Fall der Verweis auf die von der Rechtsprechung insoweit regelmäßig verlangte Zumutbarkeit einer Anpassung an die Anforderungen der afghanischen Gesellschaft bzw. einer Unterordnung die Beigeladene in ihrer Menschenwürde verletzen würde und bei dieser Sachlage das Merkmal der allein an das Geschlecht anknüpfenden Bedrohung des § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erfüllt sei. Der Einwand des Klägers, die vom Verwaltungsgericht prognostizierte Gefahr sei allein dem Schutzbereich des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zuzuordnen, übersieht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht bei der Prüfung einer drohenden Verfolgung durch private Akteure gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG 2004 auf eine geltend gemachte Gefahr geschlechtsspezifischer Verfolgung für allein stehende Frauen ohne Unterstützung des Familienverbandes eingehen und sich mit der einschlägigen Auskunftslage auseinander setzen muss (BVerwG vom 20.3.2007 Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 31).