VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 19.09.2008 - 6 ZB 07.30710 - asyl.net: M14230
https://www.asyl.net/rsdb/M14230
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Berufungszulassungsantrag, Divergenz, grundsätzliche Bedeutung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Situation bei Rückkehr, alleinstehende Personen
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2; AsylVfG § 73 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

1. Der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt nicht vor. Die Beklagte trägt vor, die Überwindung der Sperre des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erfordere (nach der zitierten Entscheidung des BVerwG) die Feststellung, dass "den Antragstellern bei ihrer Rückkehr alsbald und landesweit der sichere Tod oder schwerste Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit drohen". Mit dem allgemein gehaltenen Hinweis, das Verwaltungsgericht habe gegen die "Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts" (gemeint: Urteil vom 8.12.1998 a.a.O.) verstoßen, wird ein Widerspruch nicht in der erforderlichen Weise dargelegt.

2. Die Beklagte hat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG). Sie hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob Auslandsrückkehrer ohne Familienrückhalt bei Rückkehr nach Afghanistan einer wesentlichen Extremgefahr ausgesetzt wären, die die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebietet. Insbesondere die offensichtlichen Divergenzen in der Rechtsprechung der bayerischen Verwaltungsgerichte würden im Interesse der Rechtssicherheit die Berufungszulassung gebieten. Für den Betroffenen müsse eine ernsthafte individuelle Bedrohung für seinen Leib oder sein Leben vorliegen; bei der bausteinhaften Begründung des Urteils fehle es an der vom Gesetz und der Rechtsprechung geforderten Individualität. Diese letztere Auffassung der Beklagten ist zwar nicht völlig von der Hand zu weisen. Der Einzelrichter hat aus einer Gesamtschau der allgemeinen Lage und der persönlichen Situation des Klägers die Überzeugung gewonnen, dass dieser bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, die seine Abschiebung bei verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verbiete. Er hat dabei unter anderem berücksichtigt, dass der Kläger aus der Provinz Uruzgan im Süden des Landes stamme und eine Rückkehr dorthin wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Akteuren ausgeschlossen sei. Insbesondere im südlichen und östlichen Bereich Afghanistans stiegen Gewalttaten durch wiedergebildete Talibangruppen an. Die allgemeine Lage im Großraum Kabul sei derart katastrophal, dass für den Kläger eine ausreichende Mindestversorgung nicht sichergestellt sei, zumal er dort keine familiären Bindungen habe. Selbst wenn das Verwaltungsgericht damit zu wenig "in die Tiefe" geprüft haben sollte, handelte es sich um einen Mangel in der Anwendung des materiellen Rechts, der nicht zur Zulassung der Berufung führen könnte. Einen dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vergleichbaren Zulassungsgrund hat der Gesetzgeber in § 78 Abs. 3 AsylVfG nicht vorgesehen. Da sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG maßgebliche Frage, ob sich eine im Herkunftsland drohende allgemeine Gefahr für einzelne Betroffene zu einer extremen Gefahr verdichtet, stets in wertender Gesamtschau unter Berücksichtigung aller individuellen Umstände des konkreten Einzelfalls beantwortet (vgl. etwa BVerwG vom 8.4.2002 Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 59), könnten in einem Berufungsverfahren keine verallgemeinerungsfähigen, über den konkreten Einzelfall hinaus bedeutsamen Erkenntnisse gewonnen werden (vgl. auch BVerwG vom 16.9.2004 Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 80).