BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 26.08.2008 - 2 BvR 1942/07 - asyl.net: M14280
https://www.asyl.net/rsdb/M14280
Leitsatz:

Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine räumliche Beschränkung einer Duldung ist unzulässig, wenn wegen der Möglichkeit der Erteilung von Verlassenserlaubnissen keine Grundrechtsverletzung während des Hauptsacheverfahrens droht (hier: Schutz von Ehe und Familie).

 

Schlagwörter: D (A), Verfassungsbeschwerde, Subsidiarität, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Hautsacheverfahren, Duldung, räumliche Beschränkung, Nebenbestimmung, Schutz von Ehe und Familie, Verlassenserlaubnis
Normen: BVerfGG § 93a Abs. 2; BVerfGG § 90 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2; AufenthG § 12 Abs. 5; AufenthG § 61 Abs. 1
Auszüge:

Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine räumliche Beschränkung einer Duldung ist unzulässig, wenn wegen der Möglichkeit der Erteilung von Verlassenserlaubnissen keine Grundrechtsverletzung während des Hauptsacheverfahrens droht (hier: Schutz von Ehe und Familie).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt; die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihr steht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zugrunde liegt. Danach ist eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn für den Beschwerdeführer die zumutbare Möglichkeit besteht oder bestand, den behaupteten Verfassungsverstoß anderweitig zu beseitigen oder außerhalb des verfassungsgerichtlichen Verfahrens im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen (vgl. BVerfGE 76, 1 <39>). Unter diesem Gesichtspunkt hat das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einschränkend beurteilt. Danach kann ein Beschwerdeführer gehalten sein, vor der Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts den jeweiligen Hauptsacherechtsweg zu beschreiten (vgl. BVerfGE 51, 130 <138 ff.>; 53, 30 <52 ff.>; 70, 180 <187 f.>; 76, 1 <39 f.>). Ein Verweis auf den Hauptsacherechtsweg kommt hingegen insbesondere dann nicht in Betracht, wenn bereits die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer Verletzung verfassungsmäßiger Rechte führt (vgl. BVerfGE 35, 382 <397 f.>; 59, 63 <83 f.>). Bedarf es für die Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen keiner weiteren Klärung tatsächlicher Umstände des Einzelfalls im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren, ist die Rechtslage umfassend geprüft und die in den angegriffenen Entscheidungen vertretene Rechtsansicht durch das Bundesverwaltungsgericht als oberstes Fachgericht im Wesentlichen gebilligt, so ist ein Beschwerdeführer regelmäßig nicht gehalten, aus Gründen der Subsidiarität den Rechtsweg in der Hauptsache zu beschreiten (vgl. BVerfGE 76, 1 <40>).

2. Nach diesen Grundsätzen sind die Beschwerdeführer gehalten, ihren behaupteten Anspruch auf Erteilung von Duldungen zunächst in der Hauptsache zu verfolgen.

a) Der Familie droht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache keine dauerhafte Trennung, so dass eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG gerade durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes nicht im Raum steht. Über die Erteilung von Verlassenserlaubnissen nach § 12 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufenthG kann ein vorläufig Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG genügender Kontakt unter den Familienmitgliedern sichergestellt werden, bis über einen Anspruch auf Zuzug entschieden worden ist. Sowohl bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte in § 12 Abs. 5 Satz 2 AufenthG als auch bei der Entscheidung über die Häufigkeit und die sonstigen Einzelheiten der Verlassenserlaubnisse ist die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, maßgeblich zu berücksichtigen (vgl. Wenger, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 12 AufenthG Rn. 10). Daher können in Anwendung dieser Vorschrift enge Kontakte zwischen den Familienmitgliedern bis zur Grenze der faktisch dauerhaften Verlassenserlaubnis, die nicht überschritten werden darf (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 26. April 2006 – 4 Bs 66/06 –, InfAuslR 2006, S. 369 <372>), ermöglicht werden.