VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 21.08.2008 - AN 5 K 08.01116 - asyl.net: M14291
https://www.asyl.net/rsdb/M14291
Leitsatz:

Eine Verpflichtungserklärung stellt keine taugliche Rechtsgrundlage für die Geltendmachung von staatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mehr dar, wenn die Aufenthaltserlaubnis unabhängig vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts verlängert worden ist.

 

Schlagwörter: D (A), Widerspruchsverfahren, Statthaftigkeit, Verpflichtungserklärung, Lebensunterhalt, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen
Normen: AGVwGO Art. 15 Abs. 2; AufenthG § 68 Abs. 1; AufenthG § 68 Abs. 2; AuslG § 84; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 3; AufenthG § 28 Abs. 1; AufenthG § 33 S. 1; AufenthG § 34 Abs. 1
Auszüge:

Eine Verpflichtungserklärung stellt keine taugliche Rechtsgrundlage für die Geltendmachung von staatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mehr dar, wenn die Aufenthaltserlaubnis unabhängig vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts verlängert worden ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig, weil der Kläger aus der Verpflichtungserklärung vom 2. Mai 2000 jedenfalls ab dem 14. September 2004 nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Demzufolge fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die in den angefochtenen Bescheiden angeordnete Verpflichtung des Klägers, die an seine Mutter durch die Beklagte geleisteten Zahlungen nach dem SGB II der Beklagten zu erstatten. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20. Februar 2008 ist darüber hinaus auch schon deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil in den Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz ein Widerspruchsverfahren nicht statthaft ist (Art. 15 Abs. 2 AGVwGO).

Die Beklagte ist grundsätzlich befugt, einen Erstattungsanspruch gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Ein derartiger Erstattungsanspruch ergibt sich aus einer gegenüber der Ausländerbehörde in der gemäß § 68 Abs. 2 AufenthG festgelegten Form abgegebenen Erklärung, die Kosten des Lebensunterhalts eines Ausländers zu tragen. Eine solche Erklärung führt zu der Verpflichtung desjenigen, der sie abgibt, der öffentlichen Stelle, die öffentliche Mittel für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet hat bzw. aufwendet, diese zu erstatten (BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, 1 C 33.97, InfAuslR 1999, 182).

Der Kläger hat eine Verpflichtungserklärung nach § 84 AuslG (nunmehr § 68 AufenthG) in der gebotenen Schriftform abgegeben. Sie ist entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers auch nicht etwa schon deshalb unwirksam, weil sie unter einem zwangsweisen moralischen Druck abgegeben worden sei. Mit der Abgabe einer den Lebensunterhalt deckenden und abdeckenden Verpflichtungserklärung durch eine Dritten wird erreicht, dass die bei der Erteilung eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis zu beachtende Regelerteilungsvoraussetzung des 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (früher, d.h. zum Zeitpunkt der Abgabe der streitgegenständlichen Verpflichtungserklärung noch Regelversagungsgrund nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) erfüllt werden kann (Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, RdNr. 3 zu § 68 AufenthG).Wenn deshalb von der Ausländerbehörde zulässigerweise die Erteilung eines Aufenthaltstitels davon abhängig gemacht werden darf, dass zur Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts des Ausländers die Abgabe einer Verpflichtungserklärung mit der Folge verlangt wird, dass dann, wenn diese Verpflichtungserklärung nicht abgegeben wird, der Aufenthaltstitel auch nicht erteilt und in der Regel anschließend der Aufenthalt im Bundesgebiet beendet wird, führt dies naturgemäß bei einem Familienangehörigen, von dessen Abgabe der Verpflichtungserklärung der weitere Aufenthalt des Ausländers abhängt, zu einer sittlichen Zwangssituation. Dies liegt jedoch in der Natur der Sache einer derartigen Verpflichtungserklärung und ist nicht grundsätzlich sittenwidrig (vgl. dazu BVerwG a.a.O.). Eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG (bzw. früher nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AuslG) darf nicht gefordert und auch nicht zum Gegenstand einer dem Visum oder der Aufenthaltserlaubnis beigefügten Bedingung im Sinne von § 12 Abs. 2 AufenthG gemacht werden, wenn auch bei mangelnder Sicherung des Lebensunterhalts ein Rechtsanspruch (vgl. z.B. § 5 Abs. 3 1. Halbsatz, § 28 Abs. 1, § 33 Satz 1, § 34 Abs. 1) auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht (Funke-Kaiser a.a.O.). Wegen der Verknüpfung mit dem für den Aufenthaltstitel maßgeblichen materiellen Recht verliert daher später auch eine zunächst unbedenkliche Verpflichtungserklärung ihre Wirksamkeit, wenn der Ausländer in eine unbedingte Anspruchsposition hinsichtlich eines Aufenthaltstitels hineinwächst. Eine solche Verpflichtungserklärung kann ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Grundlage eines Erstattungsanspruchs hinsichtlich solcher öffentlicher Mittel, die danach aufgewendet wurden, sein (VG Hannover, Urteil vom 20.11.2001, InfAuslR 2003, 93).

Der Vertreter der Ausländerbehörde der Stadt ... hat in dem Erörterungstermin am 14. August 2008 aber auf konkrete Nachfrage ausdrücklich zu Protokoll gegeben, dass jedenfalls bei der Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für die Mutter am 14. September 2004 und den folgenden Verlängerungen auf die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, d.h. das Vorliegen der Sicherung ihres Lebensunterhalts, entscheidungserheblich nicht mehr abgestellt worden sei. Die Ausländerbehörde sei vielmehr davon ausgegangen, dass der Mutter des Klägers die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch ohne die Sicherung ihres Lebensunterhalts zu erteilen gewesen und erteilt worden sei. Dies bedeutet, dass spätestens zum 14. September 2004 die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung ihre Wirksamkeit verloren hat. Nachdem die von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachten Leistungen nach dem SGB II erst nach diesem Zeitpunkt erbracht wurden und ab dem 14. September 2004 eine wirksame Verpflichtungserklärung nicht mehr vorlag, konnte die Beklagte deshalb die an die Mutter des Klägers ausgezahlten Leistungen vom Kläger nicht mehr zurückverlangen. Der Leistungsbescheid ist deshalb rechtswidrig und aufzuheben.

Die Kammer weist ergänzend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG a.a.O.) die Heranziehung zum Kostenersatz eine Ermessensbetätigung der zuständigen erstattungsberechtigten Behörde dahingehend voraussetzt, ob und in welchem Umfang eine Heranziehung erfolgen soll.