VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 09.07.2008 - 6 K 365/07.A - asyl.net: M14336
https://www.asyl.net/rsdb/M14336
Leitsatz:
Schlagwörter: Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, multiple Erkrankungen, Diabetes mellitus, Hypertonie, Herzinsuffizienz, Lungenerkrankung, diabetische Nephropathie, Hyperlipidämie, Hpyerthyreose, Schlaf-Apnoe-Syndrom, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten in dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) jedenfalls im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens im weiteren Sinne (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 NVwZ 2000, 907, mit weiteren Nachweisen) ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Kosovo zu.

Nach den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen vom 23. Oktober 2007 und 31. März 2008 leidet der Kläger u.a. an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II, einer arteriellen Hypertonie, einer Herzinsuffizienz, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (Schweregrad III-IV nach GOLD), einer diabetischen Nephropatie, einer Hyperlipidämie, einer Hyperthyreose bei Verdacht auf autonomes Schilddrüsenadenom, einem chronisch rezidivierenden LWS-Syndrom und einer respiratorischen Insuffizienz mit dringendem Verdacht auf ein Schlaf-Apnoe-Syndrom. Außerdem leide er ca. zwei- bis dreimal pro Monat unter akuten eitrigen Exazerbationen der COPD. Wegen seiner Erkrankungen benötige er verschiedene Medikamente, u.a. Ramipril 5, Ramipirl 10/12,5, Bronchoretard 350, ASS 100, Foradil P, Berodual und Insulin Actraphane. Auf Grund der Multimorbidität sei der Kläger lebensbedrohlich gefährdet. Er bedürfe regelmäßiger fachärztlicher Kontrollen von Spezialisten für Diabetes, Kardiologen, Pulmologen, Urologen und Orthopäden.

Die danach erforderliche medizinische Versorgung des Klägers wäre zur Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht hinreichend gewährleistet.

Dabei ist zu Grunde zu legen, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung im Kosovo noch nicht gewährleistet ist. Auch wenn ihre Wiederherstellung Priorität genießt, ist festzustellen, dass sie auf Grund fehlender Ressourcen nur langsam voranschreitet und die Verfügbarkeit medizinischer Geräte und von Medikamenten für Patienten auf Grund von Korruption und anderer Unregelmäßigkeiten nicht gesichert ist. So sind die Möglichkeiten, im Kosovo komplizierte Behandlungen oder operative Eingriffe vorzunehmen, noch sehr begrenzt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien (Kosovo) vom 29. November 2007, Seite 18).

Schon angesichts dieser allgemeinen Situation ist davon auszugehen, dass im Fall des Klägers eine ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeit im Kosovo nicht gegeben ist. Auch wenn dort seine Erkrankungen jeweils für sich gesehen behandelbar (vgl. etwa Deutsches Verbindungsbüro Kosovo an VG Sigmaringen vom 27. September 2006 und an VG Minden vom 26. April 2007 (Diabetes mellitus II); Deutsches Verbindungsbüro Kosovo an VG Köln vom 17. Januar 2007 (Herzinsuffizienz); Deutsches Verbindungsbüro Kosovo an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 29. September 2006 (arterielle Hypertonie, Wirbelsäulensyndrom)) und diese Behandlungsmöglichkeiten für den Kläger auch tatsächlich zugänglich sein sollten (vgl. insbesondere zur Kostenfreiheit bzw. Zuzahlung bei einer medizinischen Behandlung im öffentlichen Gesundheitswesen: Deutsches Verbindungsbüro Kosovo an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 6. Februar 2007), ist jedenfalls angesichts der Vielzahl und Schwere seiner Erkrankungen sowie der benötigten Medikamente davon auszugehen, dass er - wie auch der ärztlichen Bescheinigung vom 23. Oktober 2007 zu entnehmen ist - einer komplexen, aufeinander abgestimmten ärztlichen Behandlung bedarf, die die gegenwärtigen Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo übersteigt.