VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 09.07.2008 - A 4 K 356/08 - asyl.net: M14340
https://www.asyl.net/rsdb/M14340
Leitsatz:
Schlagwörter: Kosovo, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Albaner, Verfolgungsbegriff, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klagen sind zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Rechtsgrundlage für den gegenüber den Klägern ergangenen Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG, auch wenn § 51 Abs. 1 AuslG am 31.12.2004 außer Kraft getreten ist, denn eine vor dem 01.01.2005 getroffene Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG bleibt trotz der Rechtsänderung als Verwaltungsakt wirksam (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 17.01.2005 - A 2 K 12256/03 - und Urt. v. 04.02.2005 - A 3 K 11689/04 -). Sie ist nach dem 01.01.2005 als Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu behandeln (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.03.2006 - A 6 K 1027/05 -; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 08.02.2005, BVerwGE 122, 379).

Zu Recht hat das Bundesamt die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen, weil dessen bzw. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht mehr vorliegen.

Für die Anforderungen an die Bejahung einer politischen Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG gelten nach Auffassung des erkennenden Gerichts zunächst - wie dies auch bei § 51 Abs. 1 AuslG der herrschenden Auffassung entsprach - in Bezug auf die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung sowie die anzuwendenden Prognosemaßstäbe die selben Kriterien wie für die Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG, da auch § 51 Abs. 1 AuslG der Ausführung und Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention diente (vgl. BVerwGE 95, 42). An dieser Rechtsprechung ist - wie es auch das Bundesverwaltungsgericht tut - festzuhalten (BVerwG, Urt. v. 08.02.2005, DVBl 2005, 982), da § 60 Abs. 1 AufenthG ebenso wie der bisherige §51 Abs. 1 AuslG (sowie dessen Vorgängervorschrift in § 14 Abs. 1 Satz 1 AuslG 1965) "nur" das Refoulement-Verbot in Art. 33 Abs. 1 GFK wieder gibt, insbesondere auch weil nunmehr in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die ausdrückliche Verweisung auf die Genfer Flüchtlingskonvention aufgenommen wurde. Auch nach der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucksache 15/420 vom 07.02.2003, S. 91) entspricht § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG inhaltlich der Regelung in § 51 Abs. 1 AuslG. Wenn in der folgenden Begründung des § 60 AufenthG in Bezug auf die Sätze 3 - 5 hervorgehoben wird, mit ihnen solle verdeutlicht werden, dass der Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention nun auch auf Fälle nichtstaatlicher Verfolgung erstreckt werde und sich Deutschland nunmehr auch insoweit der Auffassung der überwiegenden Zahl der Staaten in der Europäischen Union anschließe, ist damit jedoch kein Perspektivwechsel von der "täterbezogenen" Verfolgung im Sinne der von der Rechtsprechung zu Art. 16a GG und § 51 Abs. 1 AuslG entwickelten "mittelbaren staatlichen Verfolgung" zur "opferbezogenen" Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und damit von der "Zurechnungslehre" zur "Schutzlehre" verbunden (so: VG Karlsruhe, Urt. v. 10.03.2005 -A 2 K 12193/03-, NVwZ 2005, 725 unter Bezugnahme auf VG Stuttgart, Urt. v. 17.01.2005 - A 10 K 10587/04 - und Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2005, § 7 Rdnr. 79 ff.). Vielmehr stellt die Gesetzesbegründung klar, dass § 60 Abs. 1 AufenthG die Vorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG vollinhaltlich übernimmt und lediglich auf Fälle nichtstaatlicher Verfolgung ausdehnen möchte (vgl. auch VGH Bad.-Württ. Urt. v. 21.03.2006 - A 6 S 1027/05 -; VG Sigmaringen, Beschl. v. 31.08.2005 - A 7 K 10430/05 -). Dass sich hieran durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) etwas Grundlegendes geändert hätte, vermag das Gericht nicht zu erkennen.

Nach diesen Maßgaben können sich die Kläger hinsichtlich ihres Herkunftsstaates Kosovo zu dem für die asylgerichtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr mit Erfolg auf das Vorliegen einer politischen Verfolgung berufen. Denn sowohl eine etwaige individuelle Verfolgung der Kläger als auch eine kollektive Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo müssen zwischenzeitlich als beendet angesehen werden, und ein Wiederaufleben der Verfolgung ist nicht nur nach dem Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit, sondern mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

2. Zutreffend ist das Bundesamt auch davon ausgegangen, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2-5 und Abs. 7 AufenthG nicht gegeben sind.

Dies gilt auch für die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Probleme. Unabhängig davon, ob die Klägerin mit diesem Vortrag nach § 87 b Abs. 2 und 3 VwGO präkludiert ist, ist die im jüngsten Attest vom 03.07.2008 bei der Klägerin vorhandene depressive Störung nach den vorliegenden Erkenntnissen im Kosovo behandelbar (vgl. AA v. 21.02.2002 u. 16.04.2004 an VG Osnabrück, v. 02.10.2002 an VG Frankfurt/Oder, v. 14.01. u. 19.05.2004 an VG Aachen u.v. 23.02.2004 an VG Stuttgart; zur Erhältlichkeit von Antidepressiva im Kosovo vgl. AA v. 28.08.2002 an VG Frankfurt am Main, v. 06.08.2003 an VG Freiburg u.v. 16.10.2002 an VG Frankfurt am Main).