VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 03.07.2008 - 4 A 1650/07 - asyl.net: M14358
https://www.asyl.net/rsdb/M14358
Leitsatz:

Keine Änderung der Lage von Yeziden aus Syrien seit 2001, die eine Widerruf der Flüchtlingsanerkennung rechtfertigen würden.

 

Schlagwörter: Syrien, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Jesiden, Lagebericht, Auswärtiges Amt, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Gruppenverfolgung, Rechtskraft, Bindungswirkung, Verpflichtungsklage, Änderung der Sachlage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; VwGO § 121; ZPO § 323
Auszüge:

Keine Änderung der Lage von Yeziden aus Syrien seit 2001, die eine Widerruf der Flüchtlingsanerkennung rechtfertigen würden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Rechtsgrundlage für den Widerruf ist § 73 AsylVfG in der gegenwärtig geltenden Fassung (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG). Insoweit liegen zwar die formellen, nicht aber die materiellen Voraussetzungen vor.

Nach der Begründung zu § 73 Abs. 2 a AsylVfG sollten die Überprüfungen generell an Hand der aktuellen Länderberichte des Auswärtigen Amtes erfolgen. Ergebe sich hieraus eine neue Situation, sei das Bundesamt gehalten, die entsprechenden Anerkennungsentscheidungen auf der Grundlage der neuen Länderberichte erneut zu überprüfen (BT-Drucksache 15/420 (112) zu § 73 Abs. 2 a). Davon ausgehend ist bei einem Vergleich der Lageberichte vom 8. Februar 2001 und 5. Mai 2008 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse in Syrien insbesondere für die Gruppe der Yeziden nicht ersichtlich. In dem Lagebericht vom 8. Februar 2001 ist ausgeführt:

"In Syrien leben unbestätigten Angaben zufolge ca. 10.000 bis 12.000 Jeziden. Ihre Hauptsiedlungsgebiete liegen in Nordostsyrien entlang der türkischen Grenze. Auch die Jeziden werden weder als ethnische Gruppe noch als religiöse Gemeinschaft vom syrischen Staat verfolgt. Wie bei den anderen Minderheiten bemüht sich das Alawitenregime Nachteile auszugleichen.

Beispielsweise ist in Syrien die Regelung des Ehe- und Familienrechts den Verwaltungen der einzelnen Religionsgemeinschaften überlassen. Staatliche Stellen verlangen für ihre Rechtsakte die Vorlage kirchenrechtlicher Dokumente. So nehmen die staatlichen Standesämter z.B. die Registrierung einer islamischen Ehe nur gegen Vorlage der von der geistlichen islamischen Verwaltung erstellten Heiratsdokumente vor. Die Jeziden verfügen aber aus vielerlei Gründen nicht wie die anderen Religionsgemeinschaften über eine eigene kirchliche Verwaltung, die entsprechende Dokumente ausstellen könnte. Um den syrischen Bürgern jezidischen Glaubens dennoch die mit erheblichen Vorteilen verbundene zivilrechtliche Registrierung geschlossener Ehen zu ermöglichen, verzichtet der Staat bei dieser Religionsgemeinschaft auf die Vorlage derartiger Dokumente. Statt dessen können syrischen Bürger jezidischen Glaubens rein zivilrechtlich heiraten und diese Trauung anschließend registrieren lassen.

Viele syrische Jeziden weisen jedoch darauf hin, dass ihre wirtschaftliche Situation sehr schlecht sei. Entsprechend hoch ist der Auswanderungsdruck in dieser Religionsgemeinschaft. Zudem gibt es in vielen westlichen Ländern bereits funktionierende jezidische Glaubensgemeinschaften, die bereit sind, ihren Glaubensbrüdern zumindest in der ersten Zeit im fremden Land beizustehen.

Zu den wirtschaftlichen Auswanderungsmotiven kommt eine gelegentlich anzutreffende gesellschaftliche Benachteiligung des jezidischen Glaubens hinzu. Sowohl in islamischen als auch christlichen Kreisen kursiert der Vorwurf, dass die Jeziden "Teufelsanbeter" seien. Auch wenn der straff geführte Einheitsstaat Syrien keine nicht-staatliche Gewaltausübung toleriert, ist er nicht in der Lage, aus dem genannten Vorwurf resultierende gesellschaftliche Benachteiligungen im alltäglichen Leben zu verhindern."

Mit Ausnahme der genannten Zahlen der Yeziden in Syrien, die im Lagebericht vom 5. Mai 2008 mit 4.000 bis 12.000 Personen angegeben werden, wird die Situation der Yeziden nahezu wortgleich im aktuellen Lagebericht beschrieben, wie im zuvor zitierten Lagebericht, der im Zeitpunkt des stattgebenden Urteils maßgeblich war. Aktuelle Erkenntnismittel, wonach die Lage der Yeziden in Syrien sich im Vergleich zum Jahre 2001 wesentlich geändert haben könnte, sind nicht ersichtlich und werden in dem angefochtenen Bescheid auch nicht benannt. Soweit in dem Bescheid auf Rechtsprechung Bezug genommen wird, wonach von einer Gruppenverfolgung der Yeziden in Syrien nicht auszugehen sei (aktuell vgl, z.B. OVG Sachsen Anhalt, Urteil vom 30. Januar 2008 - 3 L 75/06 - juris), entspricht dieses auch der im Jahr 2001 maßgeblichen Rechtsprechung (Nds. OVG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 2 L 4943/97 -, Urteil vom 27. März 2001 -1 L 5117/97 -, Beschluss vom 18. Oktober 2000 - 2 L 3613/99 -, Beschluss vom 24. Januar 2001 - 2 L 3736/00 -). Abgesehen davon ist eine geänderte Bewertung eines im Wesentlichen gleichen Sachverhalts durch die Gerichte kein nach § 73 AsylVfG maßgeblicher Widerrufsgrund (BVerwG, Urteil vom 29. September 2000 - 9 C 12.00 -, BVerwGE 112 S. 80 = NVwZ 2001 S. 335; Urteil vom 1. November 2005 - 1 C 21.04 -AuAS 2006 S. 92). Beruht eine Asylanerkennung auf einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil, hindert die Rechtskraft dieser Entscheidung bei unveränderter Sachlage den Widerruf der Anerkennung durch das Bundesamt nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG. Die Rechtskraftwirkung eines Urteils endet allerdings, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den damals gegebenen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 - NVwZ 2002 S. 345). Sofern der Gedanke einer Gruppenverfolgung der Yeziden in dem Urteil vom 23. Juli 2001 - 11 A 38/00 - eine Rolle gespielt haben sollte (Individualverfolgung wegen Gruppenmerkmalen) wäre dieses ohne eine belegte wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in Syrien somit nicht relevant. Daran fehlt es hier jedoch.

Das Bundesamt vermochte auch nicht eine derartige Veränderung der speziell die Klägerin betreffenden Verhältnisse darzulegen und nachzuweisen.

Daher droht der Klägerin die Gefahr der Wiederholung von Misshandlungen, was sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt. Dieser strenge Prognosemaßstab ist hier anzuwenden, da sich die Klägerin nicht auf eine gänzlich neue oder andersartige Verfolgung, sondern auf die ursprüngliche Verfolgung beruft und die Bestandskraft des Urteils vom 23. Juli 2001 gerade dies erfasst. Die Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Rechtskraft (§ 121 VwGO iV. § 323 ZPO) liegen nicht vor.