OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 02.07.2008 - A 3 B 276/05 - asyl.net: M14361
https://www.asyl.net/rsdb/M14361
Leitsatz:

Die Ausbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen wegen Wehrdienstentziehung stellt keine Verfolgung dar; durch die Wiedereinreiseverweigerung der türkischen Behörden wird Deutschland zum Land des gewöhnlichen Aufenthalts, so dass dem Betroffenen der erforderliche Schutz durch Art. 31 StlÜbk und nicht durch § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist.

 

Schlagwörter: Türkei, Staatenlose, Ausbürgerung, Wehrdienstentziehung, gewöhnlicher Aufenthalt, Wiedereinreise, Einreiseverweigerung, Wiedereinbürgerung, Jesiden, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsrecht
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; StlÜbk Art. 31
Auszüge:

Die Ausbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen wegen Wehrdienstentziehung stellt keine Verfolgung dar; durch die Wiedereinreiseverweigerung der türkischen Behörden wird Deutschland zum Land des gewöhnlichen Aufenthalts, so dass dem Betroffenen der erforderliche Schutz durch Art. 31 StlÜbk und nicht durch § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Beanstandungsklage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtene Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) vom 25.6.1999 ist aufzuheben, weil die darin zugunsten des Beigeladenen getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) bezüglich der Türkei vorliegen, rechtswidrig ist.

Der Beigeladene kann sich schon deshalb nicht auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG bezüglich der Türkei berufen, weil er staatenlos und die Türkei nicht mehr das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Staatenlose Anspruch auf Asyl sowie auf Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG, wenn ihnen im Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts politische Verfolgung droht. Ein Staat verliert seine Eigenschaft als Land des gewöhnlichen Aufenthalts allerdings nicht allein dadurch, dass der Staatenlose ihn verlässt und in Deutschland Asyl beantragt, sondern erst dann, wenn der Staatenlose - aus nicht asylrelevanten Gründen - ausgewiesen oder ihm die Wiedereinreise verweigert wird, weil der Staat dann seine Beziehungen zum Staatenlosen löst, so dass er ihm in gleicher Weise gegenübersteht wie jeder andere auswärtige Staat, wodurch es unerheblich wird, ob dem Staatenlosen auf dessen Territorium (noch) politische Verfolgung droht. Der Verlust der Eigenschaft als Land des gewöhnlichen Aufenthalts muss dabei ebenso wie die Tatsache der Staatenlosigkeit zur vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) feststehen. Dadurch wird der Staatenlose (mit nunmehr gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland) nicht schutzlos gestellt, weil sich sein Status nach dem Übereinkommen vom 28.9.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II S. 473 und 1977 II S. 235 - StlÜbk -) richtet und ihm Art. 31 StlÜbk einen besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz gewährt (BVerwG, Urt. v. 15.10.1985, InfAuslR 1986, 76 f.; BVerwG, Urt. v. 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 602 f.). Daran hat sich weder unter Geltung des § 60 Abs. 1 AufenthG etwas geändert (BVerwG, Urt. v. 22.2.2005, NVwZ 2005, 1191 f.) noch unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie, die keine dem entgegenstehenden Regelungen enthält (BVerwG, Beschl. v. 24.5.2006, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 18).

Dass der Beigeladene staatenlos ist, ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem in Übersetzung vorgelegten Auszug aus dem Standesamtsregister. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Dokument unecht ist. Auch die Beteiligten haben dergleichen nicht vorgetragen, selbst der Beigeladene und die Beklagte nicht, obwohl der Kläger seine Beanstandungsklage im zweiten Rechtszug maßgeblich auf diesen Auszug gestützt hat und sowohl dem Beigeladenen als auch der Beklagten in Vorbereitung der vorliegenden Entscheidung vom Senat nochmals Gelegenheit gegeben wurde, zum Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit nach Art. 25 C des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes und der fehlenden Asylerheblichkeit dieser Maßnahme Stellung zu nehmen. Der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit wegen Wehrdienstentziehung steht zudem im Einklang mit der Angabe des Beigeladenen bei seiner Anhörung beim Bundesamt, bisher keinen Wehrdienst absolviert zu haben. Die Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit wegen Wehrdienstentziehung gemäß Art. 25 C des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes war darüber hinaus bis 2004 eine durchaus gängige Maßnahme (vgl. auch den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25.10.2007, S. 23), für die - wie der Kläger zutreffend vorträgt - höchstrichterlich geklärt ist, dass sie für sich genommen keinen Akt politischer Verfolgung darstellt, es sei denn deren Anwendung gerade auf den Betroffenen wäre eine verdeckte Repressionsmaßnahme, um ihn in einem seiner asylrechtlich geschützten persönlichen Merkmale zu treffen (BVerwG, Urt. v. 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 602 f.). Auch dafür, dass die Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit an asylerhebliche Merkmale des Beigeladenen, insbesondere seinen yezidischen Glauben, anknüpft, gibt es hier jedoch keine Anhaltspunkte, zumal - wie bereits ausgeführt - dem weder der Beigeladene noch die Beklagte entgegen getreten sind, obwohl ihnen der Senat dazu ausdrücklich Gelegenheit gegeben hat.

Stellt sich danach die Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit des Beigeladenen nicht als eine asylerhebliche bzw. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG begründende Maßnahme dar, hat diese inzwischen auch zum Verlust des gewöhnlichen Aufenthalts des Beigeladenen in der Türkei geführt, selbst wenn die Aberkennung nach dem Eintrag im Standesamtsregister bereits 1994 noch vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist. Denn nachdem der Beigeladene mit einem gefälschten Reisepass, mithin illegal, aus der Türkei ausgereist ist, kann er wegen seiner Staatenlosigkeit in die Türkei nur noch wie jeder andere Ausländer einreisen, so dass er nicht mehr in rechtlich zulässiger Weise auf Dauer in die Türkei zurückkehren kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 602 f.; NdsOVG, Urt. v. 26.11.2002, EzAR 202 Nr. 32). Insofern ist, wie der Kläger zu Recht vorträgt, von einer - zumindest die dauerhafte Rückkehr des Beigeladenen in die Türkei betreffenden - Wiedereinreiseverweigerung durch den türkischen Staat auszugehen.

Dass der Beigeladene ungeachtet dessen die Möglichkeit hat, sich in der Türkei wieder einbürgern zu lassen, falls er verbindlich erklärt, den Militärdienst ableisten zu wollen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25.10.2007, S. 23), ist ebenfalls unerheblich (BVerwG, Urt. v. 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 602 f.; NdsOVG, Urt. v. 26.11.2002, EzAR 202 Nr. 32), weil dies nichts daran ändert, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt inzwischen in Deutschland begründet hat. Liegt der gewöhnliche Aufenthalt des staatenlosen Beigeladenen danach aber jetzt in Deutschland, bedarf er bezüglich der Türkei nicht mehr des Schutzes des § 60 Abs. 1 AufenthG, weil ihm der erforderliche Schutz durch Art. 31 StlÜbk gewährt wird, so dass es im vorliegenden Verfahren nicht mehr darauf ankommt, ob der Beigeladene in der Türkei als Yezide verfolgt wurde und es bei seiner Rückkehr erneut würde.