Kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Türkei wegen Niereninsuffizienz.
Kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Türkei wegen Niereninsuffizienz.
(Leitsatz der Redaktion)
Die aufrecht erhaltene Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, dass in der Person des Klägers bezüglich der Türkei Abschiebungshindernisse i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Als Ausgangspunkt steht fest, dass der Kläger an einer terminalen Niereninsuffizienz leidet, die - wenn keine Spenderniere gefunden wird - eine lebenslange Dialysebehandlung (drei Mal pro Woche für jeweils vier Stunden) zwingend erfordert (ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 18. November 2005, amtsärztliche Gutachten vom 19. Juni 2006 und 20. April 2007 und der Arztbericht vom 24. September 2007).
Aus dem in das Verfahren eingeführten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Dezember 2006 geht hervor, dass es in der Türkei neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen gibt, die in jeglicher Hinsicht dem Standard entsprechen, der in EU-Staaten gegeben ist. In demselben Lagebericht steht, dass die Zuständigkeit für die Krankenhäuser der Sozialversicherung (SSK) auf das Gesundheitsministerium übergegangen ist, dem somit ca. 1.150 Krankenhäuser mit ca. 175.000 Betten unterstehen. Die Behandlung in diesen Krankenhäusern sei für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten unentgeltlich. Von den Patienten würden lediglich Zuzahlungen verlangt. Manche Medikamente müssten von den Versicherten mitfinanziert werden. In der staatlichen Krankenversicherung seien die Erwerbstätigen und ihre Familienangehörigen versichert. Die Behandlung in den staatlichen "Zentren für Mütter und Kind sowie Familienplanung" sei generell unentgeltlich. In der Türkei würde eine ständig steigende Zahl von privaten Krankenhäusern ihren Betrieb aufnehmen. Sowohl staatliche als auch private Krankenhäuser würden mit Erfolg im Ausland für die Behandlung in der Türkei werben.
Diese Angaben hat das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 25. Oktober 2007 (Stand: September 2007) bekräftigt. Sie decken sich auch mit dem Bericht vom 13. August 2003, den Frau Regula Kienholz für die Schweizerische Flüchtlingshilfe erstellt hat. In diesem Bericht, der im Internet veröffentlicht ist, steht:
"Auch in der Türkei herrscht ein großer Mangel an Spenderorganen für Nierentransplantationen. Zwischen 1975 und 1999 wurden in der gesamten Türkei rund 4250 Nierentransplantationen vorgenommen. Knapp 80 Prozent davon stammten von Lebendspendern. Total gibt es in der Türkei Ende 2002 nur 161 Nierenspezialisten, obwohl sich in der Türkei vergleichsweise viele Menschen einer Dialysebehandlung unterziehen müssen. Insgesamt gibt es in der Türkei 343 Kliniken, welche über Möglichkeiten für eine Dialysebehandlung verfügen. Der große Teil davon befindet sich in den Großstädten im Westen. Im Jahr 2000 verfügten lediglich 12 Kliniken in den Provinzen des Südost-Anatolien-Projektes über die Möglichkeit einer Dialysebehandlung. Drei davon befanden sich in Diyarbakir, zwei in Gaziantep. In der Provinz Sanliurfa gab es kein Spital, welches Dialysebehandlungen anbot."
Die aus den vorstehenden Berichten ableitbare Schlussfolgerung, dass Dialysebehandlungen und Nierentransplantationen in der Türkei durchführbar sind, findet eine Bestätigung in dem - ebenfalls im Internet veröffentlichten - Artikel des Österreichers Robert Misik vom 12. März 2007. In diesem Artikel ("Lost in Transplantation"), der sich mit dem Organhandel beschäftigt, steht:
"Chinesische Krankenhäuser brüsten sich ganz ungeniert ihres extravaganten Services. Wenn Sie Nachfrage nach einem Organ haben, überweisen Sie 5000 USD. ... Aber was heißt schon freiwillig, wenn, wie auf den Philippinen, das durchschnittliche Familieneinkommen eines Organverkäufers gerade einmal bei 25 Euro liegt? Besonders in Schwellenländern, in denen es zwar schon eine medizinische Hochtechnologie gibt, boomt die private Gesundheitsindustrie - meist ohne jede Kontrolle. Wie etwa im 'Sönrnez Hospital', einem schicken, im minimalistischen Glas-Beton-Stil gehaltenen Bau in Istanbul-Bostanci, auf der asiatischen Seite des Bosporus. Hier betreibt Dr. Yusuf Ercin Sönmez nichts anderes als eine regelrechte Klinik für Organhandel" (so der TV-Sender Türk-CNN). Sönmez professionelle Biografie liest sich wie das Script eines Schockfilms. Bereits 2005 wurde Sönmez einmal die Lizenz entzogen - er war bei einer Razzia in flagranti mit einem Skalpell in der Hand erwischt worden. Der Transplantationschirurg wurde wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Zwecke des illegalen Organhandels" rechtsgültig verurteilt, die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dass Sönmez Organspender aus der Türkei, Rumänien, Bulgarien, Moldavien, Weißrussland und Russland anwarb und die Niere israelischen, britischen und französischen Patienten implantierte. Die Spender erhalten oft nicht mehr als 1500 USD - die Empfänger bezahlen bis zu 150.000 USD."
Aus diesen Erkenntnisquellen hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass das staatliche und private Gesundheitssystem der Türkei in der Lage ist, Dialysebehandlungen und Nierentransplantationen "nach EU-Standard" durchzuführen. Dass dieses medizinische Know-how in der Türkei vorhanden ist, hat der Prozessbevolimächtigte des Klägers nicht in Abrede gestellt. Im Gegenteil. Er hat die Durchführbarkeit von Dialysebehandlungen anerkannt (Sitzungsprotokoll vom 16. Oktober 2007). Er hat aber an seiner Behauptung festgehalten, dass sich keine "nahtlose" Anschlussbehandlung sicherstellen lasse.
Diese Sorge teilt das Gericht aus zwei selbstständig tragenden Gründen nicht. Zum Einen ist der Eintritt der vom Kläger beschriebenen Gefahr - die angeblich fehlende Sicherstellbarkeit einer "nahtlosen" Anschlussbehandlung - nicht beachtlich wahrscheinlich. Zum Anderen ist die vom Kläger benannte Gefahr kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis. Vielmehr gehört die Pflicht zur Sicherstellung einer "nahtlosen" Anschlussbehandlung zum Abschiebungsvorgang, der von den zuständigen deutschen Ausländerbehörden beherrscht werden muss. Die für eine Abschiebung des Klägers zuständigen deutschen Ausländerbehörden werden dafür Sorge tragen müssen, dass eine Rückführung des Klägers verantwortbar und eine "nahtlose" Anschlussbehandlung am Zielort gewährleistet ist.