VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 26.06.2008 - AN 18 K 08.30175 - asyl.net: M14371
https://www.asyl.net/rsdb/M14371
Leitsatz:

Frauen mit einem nichtehelichen Kind droht im Iran eine unmenschliche Bestrafung in Form von 99 Peitschenhieben; Gefährdung wegen Übertritts zum Christentum.

 

Schlagwörter: Iran, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, Widerruf, Änderung der Sachlage, Rücknahme, Umdeutung, Jahresfrist, unerlaubter Geschlechtsverkehr, nichteheliche Kinder, Frauen, Auspeitschung, Hadd-Strafe, geschlechtsspezifische Verfolgung, politische Entwicklung, Konversion, Apostasie, Christen, Katholiken, religiöses Existenzminimum, Anerkennungsrichtlinie
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; VwVfG § 48 Abs. 4
Auszüge:

Frauen mit einem nichtehelichen Kind droht im Iran eine unmenschliche Bestrafung in Form von 99 Peitschenhieben; Gefährdung wegen Übertritts zum Christentum.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat vorliegend zu Unrecht die mit Bescheid vom 19. September 2000 getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt, widerrufen und ebenso zu Unrecht festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

Rechtsgrundlage für den im streitgegenständlichen Bescheid ausgesprochenen Widerruf ist § 73 Abs. 3 AsylVfG.

Entgegen der Auffassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 53 Abs. 4 AuslG, jetzt § 60 Abs. 5 AufenthG, vor. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist vorliegend unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen festzustellen, dass sich seit der Bestandskraft des Bundesamtsbescheides vom 19. September 2000 wohl eine Änderung der Sach- und Rechtslage nicht ergeben hat. Davon geht offenbar auch das Bundesamt aus, da anlässlich der Prüfung der Einleitung des Verfahrens davon ausgegangen wird, dass die Entscheidung vom 19. September 2000 fehlerhaft gewesen ist, da die genannten Voraussetzungen bereits zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung nicht vorgelegen hätten, denn schon nach dem damals bereits gültigen Art. 73 des zweiten Buches des iranischen Strafgesetzbuches habe einer schwangeren Frau, die keinen Ehemann habe, auf Grund der Tatsache einer Schwangerschaft keine Haddstrafe mehr gedroht. Schon aus diesem Grund sei daher die Entscheidung zurückzunehmen. Obwohl von dieser Auffassung im angefochtenen Bescheid vom 24. Januar 2008 kein Bemerken ist, wäre danach der erfolgte Widerruf nicht zulässig, da der Widerruf einer - rechtmäßigen oder rechtswidrigen - Anerkennung als politisch Verfolgter nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG nur zulässig ist, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben. Eine Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichende Würdigung genügt nicht (BVerwG vom 19.9.2000 - 9 C 12/00). Diese vom Bundesverwaltungsgericht genannten Voraussetzungen sind auch auf den Widerruf gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu übertragen. Eine ergänzende Anwendung des § 48 VwVfG würde vorliegend schon am Ablauf der in § 48 Abs. 4 VwVfG enthaltenen Jahresfrist scheitern, zum anderen hat ja das Bundesamt den Widerruf nicht auf § 48 VwVfG gestützt. Im Übrigen geht die Kammer mit dem Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urteil vom 18.5.2006 - A 6 K 12318/04) auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse davon aus, dass die Klägerin wegen des Vorhandenseins ihres Kindes und dem damit dokumentierten unerlaubten Geschlechtsverkehr bei einer Rückkehr in den Iran eine unmenschliche und erniedrigende Bestrafung nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK von bis zu 99 Peitschenhieben zu befürchten hat und sich daraus ergibt, dass sich die Rechtslage seit dem Erlass des angefochtenen Bescheides tatsächlich auch nicht geändert hat. Art. 73 iranisches Strafgesetzbuch bestimmt zwar, dass bei einer schwangeren Frau, die keinen Ehemann hat, die Tatsache der Schwangerschaft alleine keine Bestrafung begründet, außer wenn mit einem der in diesem Gesetz genannten Beweismittel ein unerlaubter Geschlechtsverkehr bewiesen wird. Wie sich aus den den Beteiligten bekannten Auskünften, zum Beispiel amnesty international vom 9. Februar 2008, ergibt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch dann, wenn die notwendige Beweisführung eigentlich nicht erbracht werden kann, die dann zu einer Bestrafung führt, eine solche gleichwohl verhängt werden kann und es auch gar nicht darauf ankommt, ob nun die Klägerin freiwillig in der Ukraine mit einem iranischen Staatsangehörigen Geschlechtsverkehr gehabt hat, wie sie im Erstverfahren vorgetragen hat, oder ob sie - wie nunmehr im Widerrufsverfahren vorgetragen wird - in Wahrheit in der Ukraine von mehreren Männern mehrmals vergewaltigt worden ist und ihre Tochter aus dieser Vergewaltigung hervorgegangen ist. Denn nach dem wohl gültigen und auch praktizierten iranischen Recht wäre es dann augenscheinlich Aufgabe der Klägerin, glaubhaft zu machen, dass das Kind in Wahrheit das Ergebnis der geschilderten Vergewaltigungen ist, wenn die iranischen Behörden dem Grunde nach eine Bestrafung der Klägerin ins Auge fassen. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin heute genauso wie damals zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides weiterhin damit rechnen muss, dass ihr bei einer Rückkehr in den Iran auf Grund eines unerlaubten Geschlechtsverkehrs tatsächlich eine Auspeitschung drohen würde, so dass die Voraussetzungen für den Widerruf nicht vorliegen. Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung der Kammer auch nicht aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 12. April 2007, wonach sich die Stellung der Frauen in der islamischen Gesellschaft des Iran spürbar verbessert habe, seit sich die Reformisten unter der Führung Khatamis der brachliegenden Frauenthemen angenommen hätten. Zum einen ergibt sich aus einer Vielzahl anderer Auskünfte hinsichtlich Iran, dass entgegen der Auffassung des Auswärtigen Amtes seit der Amtsübernahme durch Ahmadinejad nicht nur die Verbesserungen ins Stoppen geraten sind, sondern auch gegenläufige Tendenzen erkennbar sind. Darüber hinaus bestätigte das Auswärtige Amt in dieser Auskunft, dass auch im Fall einer mangelnden Beweisführung einer Person wie der Klägerin die Auspeitschung droht, wenn ihr ein illegaler Geschlechtsverkehr bewiesen wird.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist auch aus anderen Gründen rechtswidrig, da der Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitpunkt, dem der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG), wegen ihres Übertritts zum christlichen Glauben ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zur Seite steht.

Die Ausführungen des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid vom 24. Januar 2008, wonach die Klägerin wegen ihres Übertritts zum christlichen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran nichts zu befürchten habe, weil allenfalls missionierende Kirchenführer und in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen mit staatlichen Repressionen zu rechnen hätten und die Klägerin nichts dafür dargetan hat, dass sie diesem Personenkreis angehöre, tragen die Ablehnung nicht.

Auf Grund des von der Klägerin vorgelegten Taufzeugnisses vom ... 2007 in der Kirche ... in ... und der Tatsache, dass die Klägerin ein Fernstudium an der Katholischen Akademie ... begonnen hat und eine entsprechende Prüfung am ablegen will, geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin im Vergleich zu vielen anderen iranischen Asylbewerbern ernsthaft für sich den Entschluss gefasst hat, vom islamischen Glauben zum christlichen Glauben überzutreten. So ist dem Gericht aus anderen Asylverfahren bekannt, dass die katholische Kirche nur dann erwachsene Personen tauft, wenn diese ernsthaft und überzeugend darlegen können, dass sie sich nunmehr zum christlichen Glauben bekennen wollen.

Seit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 sind für die Feststellung, ob eine asylrelevante Verfolgung vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinien 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ergänzend anzuwenden. Dies bedeutet, dass die bisherige Rechtsprechung, wonach ein Asylbewerber bei der religiösen Betätigung in seinem Heimatland auf den Kernbereich im Sinn des so genannten religiösen Existenzminimums bei Konvertiten in Bezug auf den iranischen Staat keine Anwendung mehr finden kann (vgl. auch BayVGH vom 23.10.2007, 14 B 06.30315). Gegenüber dem religiösen Existenzminimum, dem so genannten "forum internum", umfasst der Begriff der Religion im Sinn der Qualifizierungsrichtlinie nunmehr die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit, aber auch sonstige Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen und nach dieser vorgeschrieben sind. Dazu zählen insbesondere das offene, nicht nur an die Mitglieder der eigenen Religionsgemeinschaft gewandte Bekenntnis der persönlichen religiösen Überzeugung, wie auch die Darstellung ihrer Verheißungen und damit auch missionarische Betätigung, die gerade darin besteht, Nicht- oder Andersgläubigen vor Augen zu führen, welches Heil den die jeweiligen Lehren beachtenden Gläubigen im Gegensatz zu der Verdammnis Ungläubiger erwarte. Eine Beschränkung dieses Bekenntnisses und der Verkündigung auf den Bereich der eigenen Glaubensgemeinschaft kann weder dem Wortlaut noch der Systematik der Vorschrift entnommen werden. Es sind vielmehr alle Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen erfasst, die sich auf eine ernstzunehmende religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Ihre Grenzen finden solche religiösen Handlungen, wenn sie in einer erheblich den öffentlichen Frieden störenden Weise in die Lebenssphäre anderer Bürger eingreifen oder mit dem Grundbestand des ordre public nicht vereinbar sind. Innerhalb dieser Grenzen ist nicht nur derjenige geschützt, der seine religiösen Überzeugungen ohne Rücksicht auf Verfolgungsmaßnahmen nach Außen vertritt, sondern auch derjenige, der unter dem Zwang der äußeren Umstände aus Furcht vor Verfolgung seine religiösen Bedürfnisse nur abseits der Öffentlichkeit oder gar heimlich auslebt. Zwar sind die im Iran traditionell beheimateten christlichen Konfessionen nach dem Wort der Verfassung geschützt, doch bei der Klägerin stellt sich dies anders dar, da sie ja vom islamischen Glauben abgefallen und zum christlichen Glauben übergetreten ist, also weithin als Apostatin gilt.

Die Kammer teilt die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im genannten Urteil vom 23. Oktober 2007, die sich auch aus den Lageberichten Iran des Auswärtigen Amtes und anderen, den Beteiligten bekannten Auskünften ergibt, dass Mitglieder religiöser Minderheiten, zu denen zum Christentum konvertierte Muslime gehören, staatlichen Repressionen ausgesetzt sein können, wobei es insbesondere auch auf das öffentlich erkennbare Engagement des Betroffenen ankommt. Danach müssen Angehörige christlicher Religionsgemeinschaften mit Verfolgung, insbesondere auch durch Dritte, rechnen, wenn Gottesdienste auch nur im privaten Bereich bekannt werden, insbesondere haben danach Apostaten ungeachtet der Strafbarkeit des Abfalls vom Islam in solchen Fällen regelmäßig andere Formen der Bestrafung zu gegenwärtigen. Christen, insbesondere konvertierte Muslime, haben bei einer über den bloßen Besuch öffentlicher Gottesdienste hinausgehenden religiösen Betätigung Gefährdungen zu befürchten. Hinzu kommt bei der Klägerin, dass diese darüber hinaus mit dem Makel eines nicht ehelichen Kindes behaftet ist, so dass der Klägerin möglicherweise eine andere Aufmerksamkeit entgegengebracht wird und so ihr Übertritt zum christlichen Glauben in der Öffentlichkeit in einem für sie noch negativeren Licht gesehen wird, als dies ohnehin bei Apostaten der Fall ist.