VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 20.06.2008 - 19 A 254/07 - asyl.net: M14380
https://www.asyl.net/rsdb/M14380
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung eines afghanischen Staatsangehörigen wegen ernsthafter Konversion zum Christentum; Gefahr der staatlichen und nichtstaatlichen Verfolgung für den Fall der Offenbarung des Glaubenswechsels; § 28 Abs. 2 AsylVfG schließt die Flüchtlingsanerkennung nicht aus, wenn der subjektive Nachfluchtgrund auf einer ernsthaften und dauerhaften Glaubensüberzeugung beruht.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, Konversion, Apostasie, Christen, Drei-Monats-Frist, Überwachung im Aufnahmeland, Glaubwürdigkeit, Beweislast, Todesstrafe, Übergriffe, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, religiöses Existenzminimum, subjektive Nachfluchtgründe, atypischer Ausnahmefall
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung eines afghanischen Staatsangehörigen wegen ernsthafter Konversion zum Christentum; Gefahr der staatlichen und nichtstaatlichen Verfolgung für den Fall der Offenbarung des Glaubenswechsels; § 28 Abs. 2 AsylVfG schließt die Flüchtlingsanerkennung nicht aus, wenn der subjektive Nachfluchtgrund auf einer ernsthaften und dauerhaften Glaubensüberzeugung beruht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat bereits mit ihrem Hauptantrag Erfolg.

1. Die Konversion des Klägers begründet einen den rechtlichen Anforderungen entsprechenden Grund, das Verfahren in Bezug auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wieder aufzugreifen.

Es liegt eine Änderung der Sachlage darin, dass der Kläger am 09.02.2007 durch seine Taufe zum Christentum konvertiert ist. Die Berücksichtigung dieses Umstandes scheidet auch nicht aus formellen Gründen gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG aus, weil auf den Zeitpunkt der Taufe als maßgeblichen Zeitpunkt für die Änderung der Sachlage abzustellen ist (vgl. VG Dresden, Urteil vom 1.12.2003 - 14 A 30749/02.A -; Urteil vom 01.08.2003 - 14 A 30732/01.A - beide zit. nach juris). Diese Frist ist hier noch nicht abgelaufen gewesen, da der Kläger bereits wenige Tage nach seiner Taufe den Antrag bei der Beklagten stellte. Diese veränderte Sachlage führt, wie von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorausgesetzt, zu einer für den Kläger günstigen Entscheidung in der Sache.

2. Die damit eröffnete erneute Sachentscheidung nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist zugunsten des Klägers zu treffen.

a) Eine formelle Konversion allein reicht nicht aus, um die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu begründen (aa). Allerdings hat das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass der durch die Taufe im Februar 2007 vom Kläger formal vollzogene Glaubenswechsel vom Islam zum Christentum Ausdruck einer ernsthaften, aus einem inneren Bedürfnis heraus erfolgten Gewissensentscheidung ist und nicht auf asyl- bzw. verfahrenstaktischen Erwägungen beruhte (bb).

aa) Nur wenn verlässlich festgestellt werden kann, dass eine Konversion auf einer glaubhaften und dauerhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung, auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, kann davon ausgegangen werden, dass ein Verschweigen, Verleugnen oder die Aufgabe der neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung staatlicher oder nicht staatlicher Repressionen im Heimatland den Betroffenen grundsätzlich und in aller Regel unter Verletzung seiner Menschenwürde existenziell und in seiner sittlichen Person treffen und ihn in eine ausweglose Lage bringen würde und ihm deshalb nicht zugemutet werden kann (vgl. HessVGH, Beschl. v. 26.06.2007, 8 UZ 452/06.A und 8 UZ 1463/06.A; VG Kassel, Urt. v. 15.12.2005, 3 E 2960/03.A und v. 04.05.2006, 3 E 762/04; vgl. aber auch: BVerwG, Urt. v. 18.02.1986, BVerwGE 74, 38 und v. 20.01.2004, 1 C 9/03, BVerwGE 120, 16 ff. - alle zit. nach juris; Funke-Kaiser, in GK zum AsylVfG, § 28 Rn. 31). Nur bei einem in diesem Sinne ernsthaften Glaubenswechsel kann das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass der schutzsuchende Ausländer bei einer Rückkehr in sein islamisches Heimatland von seiner neuen christlichen Glaubensüberzeugung nicht ablassen könnte (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 15.08.2006, 22 K 350/05.A, zit. nach juris). Diese Vorgehensweise im Falle einer geltend gemachten Verfolgungsgefährdung wegen eines in Deutschland erfolgten Glaubenswechsels entspricht einer weit verbreiteten verwaltungsgerichtlichen Praxis (vgl. u.a. VG Ansbach, Urt. v. 29.03.2000, AN 9 K 98.32719; VG Minden, Urt. v. 23.05.2005, 9 K 5381/03.A; VG Oldenburg, Urt. v. 3.08.2005, 7 A 4142/03; VG Darmstadt, Urt. v. 10.11.2005, 5 E 1749/03.A (4); VG Düsseldorf, Urt. v. 15.08.2006 a.a.O. und v. 29.08.2006, 2 K 3001/06.A; VG Karlsruhe, Urt. v. 19.10.2006, A 6 K 10335/04; VG Meinigen, Urt. v. 10.01.2007, 5 K 20256/03.Me - alle zit. nach juris), der sich das Gericht anschließt. Eine solche Prüfung wäre nur dann entbehrlich, wenn der in Deutschland nur formal vollzogene Übertritt vom islamischen zum christlichen Glauben allein für sich im islamischen Heimatland des schutzsuchenden Ausländers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit selbst dann zu erheblichen Verfolgungsmaßnahmen führte, wenn er dort seine christliche Glaubenszugehörigkeit verheimlichte, verleugnete oder aufgäbe (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschl. v. 19.12.1994 a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 20.01.2004 a.a.O.). Das setzte aber nicht nur eine in diesem Sinne dort regelmäßig und mit hinreichender Dichte geübte Verfolgungspraxis, sondern auch voraus, dass die allein in Deutschland stattgefundenen Geschehnisse den staatlichen Stellen oder maßgeblichen Gruppen im Heimatland des Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bekannt werden (HessVGH Hessen, Beschl. v. 26.06.2007, a.a.O.). Weder gerichtlichen Entscheidungen noch tatsächlichen Erkenntnissen lassen sich aber konkrete Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine derartige Verfolgungspraxis wegen eines im Ausland nur formal vorgenommenen Religionswechsels in Afghanistan beachtlich wahrscheinlich sein könnte. Zwar wird darüber berichtet, dass vom Islam zum Christentum übergetretene Konvertiten dort gezwungen seien, ihre Religion allenfalls im häuslichen Rahmen auszuüben, auch wenn Repressionen in städtischen Gebieten wegen der größeren Anonymität weniger zu befürchten seien als in Dorfgebieten (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2008 S. 16), dass sie sich sogar verstecken und ihren Glauben verheimlichen müssten (vgl. AA, Auskunft an VG Hamburg vom 22.12.2004). Diese Auskünfte beziehen sich aber nur auf solche Gefährdungssituationen, die für zum Christentum konvertierte Afghanen dadurch entstehen, dass sie ihren neuen Glauben in ihrem Heimatland beibehalten und dort auch praktizieren.

bb) Für die danach entscheidungserhebliche Frage, ob die Konversion des Klägers auf einer glaubhaften und dauerhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, trägt dieser die Darlegungs- und Beweislast (vgl. auch VG Darmstadt a.a.O.). Die Prüfung der sich im Inland und in seinem persönlichen Bereich abspielenden Vorgänge kann im Wege richterlicher Überzeugungsbildung im Einzelfall nur aufgrund einer wertenden Betrachtung nach außen erkennbarer Umstände und der Überzeugungskraft dazu abgegebener Erklärungen erfolgen, wie etwa zur Entwicklung des Kontaktes zu dem neuen Glauben, zur Glaubensbetätigung und zu Kenntnissen über die neuen Glaubensinhalte (vgl. HessVGH, Beschl. v. 26.06.2007, a.a.O.; Marx, AsylVfG,§ 1 Rn. 218 f.).

Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen davon zu überzeugen vermocht, dass seinem in Deutschland durchgeführten Glaubensübertritt eine im obigen Sinne ernsthafte und dauerhafte Gewissensentscheidung zu Grunde liegt.

Zwar erweckt die zeitliche Abfolge der Ereignisse den Anschein eines nicht ernsthaften Glaubensübertritts: ...

Der Kläger hat aber in der mündlichen Verhandlung am 20.06.2008 nachvollziehbare Gründe für den oben aufgezeigten zeitlichen Ablauf benannt. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger sich schon vor der Haft mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt hatte.

Auch wenn es ungewöhnlich ist, hält es das Gericht - insbesondere unter Berücksichtigung der für die gerichtliche Entscheidung nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgebenden Sach- und Rechtslage - für möglich, dass ein bereits 36-jähriger Moslem, der aufgrund seiner Lebensgeschichte psychisch angegriffen ist, seinen angestammten Glauben in Frage stellt und sich der christlichen Religion zuwendet.

Grund für das Verhalten und die Äußerungen des Klägers im Verwaltungsverfahren, die eine asyltaktische Konversion vermuten ließen, war die angespannte Anhörungssituation unmittelbar vor der Inhaftierung bzw. während der Haft. Dies erscheint aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen wahrscheinlich, in dem festgestellt wird, dass der Kläger an einer mittelgradigen Depression leidet (S.28 d. Gutachtens) und bei insistierenden Fragen dazu neigt, sich zu verschließen und aggressiv zu werden (S.11-13, 28 d. Gutachtens).

Von erheblichem Gewicht ist für das Gericht auch, dass der Kläger seine Hinwendung zum christlichen Glauben nach außen dokumentiert und gelebt hat.

b) Hinsichtlich der Verfolgungshandlungen hat der Kläger bei Rückkehr in sein Heimatland mit Handlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu rechnen. Einerseits muss er auf Grundlage eines seiner Religion entsprechenden Verhaltens eine Ausgrenzung, eine Inhaftierung oder anderweitige erhebliche Repressalien von einzelnen Regierungsmitgliedern oder von Seiten der Zivilbevölkerung gewärtigen. Andererseits ist davon auszugehen, dass er durch eine Verheimlichung, Verleugnung oder Aufgabe seiner christlichen Glaubenszugehörigkeit als religiös geprägte Persönlichkeit in seiner Menschenwürde verletzt, in ähnlich schwerer Weise wie bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische Freiheit in Mitleidenschaft gezogen würde und durch seine religiöse Prägung bei einer Rückkehr nach Afghanistan deshalb in eine ausweglose Lage geriete. Zu dieser Auffassung gelangt das Gericht aufgrund der allgemeinen Auskunftslage (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2008, S. 16; VGH Mannheim, Beschl. v. 26.06. 2007, a.a.O.; VG Meiningen, Urt. v. 16.11.2006, 8 K 20532/03.Me; Hollmann, Rechtsprechungsfokus Afghanistan in: Informationsverbund Asyl Oktober 2006; Afghanistan, International Religious Freedom Report 2007, Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor, 14.09.2007, www.state.gov).

Nach dem Verständnis der islamischen Rechtslehre ist der Abfall vom (islamischen) Glauben ein todeswürdiges Verbrechen. Das durch die europäische Aufklärung entwickelte Prinzip der Religionsfreiheit ist weder in der afghanischen Regierung noch in der Zivilbevölkerung verankert. Ein Beispiel dafür ist der Fall "Rahman", der 1990/91 in einem Flüchtlingslager in Pakistan bei einer christlichen Organisation gearbeitet hatte und sich dort taufen ließ, nach seiner 2003 erfolgten freiwilligen Rückkehr aus Deutschland oder Belgien Mitte März 2006 nach einem familiären Sorgerechtsstreit in Kabul wegen Apostasie angezeigt und angeklagt und wegen der drohenden Todesstrafe nach internationalem Druck Ende März 2006 freigelassen und in Italien aufgenommen worden ist (vgl. u.a. AA, Lagebericht vom 07.03.2008, S. 16; Die Zeit vom 30. März 2006; Der Spiegel vom 27. März 2006 S. 116 ff. und vom 3. April 2006 S. 118 ff.). Aufgrund dieser Umstände geht das Gericht davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan seinen christlichen Glauben absolut geheim halten müsste; eine Offenbarung des Glaubenswechsels geschweige denn eine Ausübung des Glaubens wären nicht möglich, ohne dass sich der Kläger dadurch Gefahren für Leib und Leben durch staatliche Stellen oder der Zivilbevölkerung aussetzte. Damit ist nach Auffassung des Gerichts schon das bisher geschützte sog. religiöse Existenzminimum nicht gewährleistet; jedenfalls wäre dem Kläger ein solches Verhalten aber aufgrund des nunmehr in Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie verankerten Verständnisses des Begriffs der Religion nicht zuzumuten.

3. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Zuge eines Asylfolgeverfahrens ist auch nicht nach § 28 Abs. 2 Alt. 2 AsylVfG ausgeschlossen.

Zwar kann gemäß dieser Vorschrift in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat. Doch ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch § 28 Abs. 2 AsylVfG zumindest in den Fällen nicht ausgeschlossen, in denen gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG auch die Anerkennung als Asylberechtigter möglich ist (eingehend Funke-Kaiser, a.a.O., § 28 Rn 56). Nach der gesetzgeberischen Konstruktion besteht nämlich ein Stufenverhältnis zwischen den Schutzkategorien der Asylanerkennung und des Flüchtlingsstatus, nach dem die Asylanerkennung als höherwertig anzusehen ist und ihre Voraussetzungen strenger erscheinen lässt. Aufgrund der Verweisung in § 28 Abs. 2 AsylVfG finden die Voraussetzungen zu dessen Absatz 1 Anwendung.

Dabei enthält § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zunächst den Grundsatz, dass ein Ausländer dann in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat. Von dem als Regel formulierten Grundsatz des § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist in atypischen Fällen eine Ausnahme zu machen. Ein atypischer Fall liegt dann vor, wenn zwar die Regelvoraussetzungen erfüllt sind, aber nach wertender Betrachtung entsprechend der vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzung die Regelfolge unangemessen ist.

Die gesetzgeberische Zielsetzung einer grundsätzlichen Zurückhaltung bei der Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe liegt darin, dass sich ein Ausländer bei Fehlen des Kausalzusammenhanges zwischen der Verfolgung, seiner Flucht und dem zu gewährenden Asyl nicht durch eine „risikolose Verfolgungsprovokation vom gesicherten Ort aus" ein grundrechtlich verbürgtes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland praktisch selbst erzwingen können soll (BVerfG, Beschl. v. 26.11.1986, 2 BvR 1058/85, BVerfGE 74, 51). Diese Erwägung trägt dann nicht, wenn die humanitäre Intention der Asylrechtsgewährung entgegensteht, nach der demjenigen Aufnahme und Schutz zu gewähren ist, der sich wegen asylerheblicher Merkmale in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.04.1992, 9 C 143/90, BVerwGE 90, 127). Das diese zu Lasten des Ausländers vorgeschriebene Einschränkung allerdings nicht umfassenden und abschließenden Charakter hat, kommt in den beiden gesetzlich ausdrücklich normierten Ausnahmeregelungen zum Ausdruck. Ausgenommen von dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit subjektiver Nachfluchttatbestände ist gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 a. E. AsylVfG zunächst der Fall, dass der Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht. Des Weiteren findet der Grundsatz gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere dann keine Anwendung, wenn der Ausländer auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.

Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist die Annahme eines atypischen, die Einschränkung ausnehmenden Falles zumindest dann geboten, wenn der Nachfluchtgrund - wie hier - auf einen ernsthaften und dauerhaften Glaubenswechsel gestützt wird. Denn eine Verleugnung der neuen Glaubensüberzeugung würde den Betroffenen grundsätzlich und in aller Regel existenziell und in seiner sittlichen Person treffen, weshalb ihm dies nach der humanitären Intention der Asylgewährung nicht zugemutet werden kann (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., Rn 37; Renner, Komm, zum AuslR, § 28 Rn. 17, 21; Marx, Komm. zum AsylVfG, § 28 Rn. 90; a.A. VG Braunschweig, Urt. v. 14.12.2007, 2 A 228/07, zit. nach juris). In einem solchen Fall hat sich der Ausländer nicht ohne Not in eine Verfolgungssituation begeben (vgl. zu diesem Kriterium Hailbronner, Ausländer- und Asylrecht, Art. 16a GG Rn. 199), zumal der Verlust einer bisherigen bzw. der Gewinn einer neuen religiösen Überzeugung nicht auf einer verstandesmäßig steuerbaren Entscheidung des Einzelnen beruht. Da als Religion nicht nur das Innehaben der religiösen Überzeugung sondern gemäß Art. 10 lit. b der Qualifikationsrichtlinie auch das der religiösen Überzeugung entsprechende Verhalten geschützt ist, kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, die eine Verfolgung auslösende Religionsausübung zu unterlassen.