VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.06.2008 - 6 A 10/08 - asyl.net: M14384
https://www.asyl.net/rsdb/M14384
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen wegen Konversion zur Bahai-Glaubensgemeinschaft.

 

Schlagwörter: Iran, Bahai, Konversion, Apostasie, Glaubwürdigkeit, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Missionierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen wegen Konversion zur Bahai-Glaubensgemeinschaft.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist nur in dem tenorierten Umfang begründet.

Die Klage ist jedoch begründet, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Wenn der Kläger seine Heimat nicht verlassen hätte, wäre sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Religion oder seiner politischen Überzeugung bedroht gewesen. Das ist das Ergebnis der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Sein Fluchtvorbringen ist zunächst schlüssig im Sinne von § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG. Danach ist der Kläger vom Islam zur Bahai-Glaubensgemeinschaft konvertiert. Wegen seines nach außen sichtbar gewordenen Engagements für die Bahai drohte im Oktober 2006 seine Verhaftung. Dieser Verhaftung hat er sich unmittelbar durch Flucht entzogen.

Dieses, von dem Kläger im Einzelnen konkretisierte Fluchtvorbringen ist auch glaubhaft. Es steht zunächst im Einklang mit der Auskunftslage. Das Auswärtige Amt beschreibt die Lebensumstände der Bahai im Iran in seinem Lagebericht vom 18. März 2008 (Bl. 20 f) im Wesentlichen wie folgt: Die Situation der Bahai sei schwierig. Sie gehörten im Gegensatz zu Christen, Juden und Zoroastriern nicht zu den nach Art. 13 der iranischen Verfassung ausdrücklich neben dem Islam anerkannten Religionsgemeinschaften. Sie würden als vom Islam abgefallene Sektierer angesehen, und ihre Mitglieder auch wegen ihrer Nähe zu Israel diskriminiert. Die Bahai seien in besonderem Maße der Willkür lokaler und staatlicher Behörden ausgesetzt. Willkürliche Festnahmen hätten sich auch 2007 fortgesetzt. Die Bahais seien auch Anfeindungen aus der Bevölkerung ausgesetzt. Die UN-Sonderberichterstatterin habe sich ob der gesamtpolitischen Entwicklung, insbesondere aufgrund der Stimmungsmache gegen Bahai in den Medien und der staatlichen Diskriminierung besorgt gezeigt. Auf der anderen Seite verneint das Auswärtige Amt das Vorliegen systematischer Repressionen gegen die Bahai, wie sie in der Zeit unmittelbar nach der Revolution stattgefunden hätten.

Vor dem Hintergrund dieser Auskunftslage liegt es auf der Hand, dass iranische Moslems, die zu der Bahai-Religion konvertieren, mit besonderer Wahrscheinlichkeit einer staatlichen Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind. Denn schon der Übertritt vom Islam zum Christentum, also einer staatlich geduldeten Religion, führt zu einer konkreten Verfolgungsgefahr. Insoweit geht die Schweizer Flüchtlingshilfe von einem spezielles Gefährdungsprofil für muslimische Iraner aus, die zum Christentum übertreten. Konversionen würden in der muslimisch-iranischen Öffentlichkeit dem Verdacht einer regimekritischen Haltung erregen. Es gäbe zwar kein rechtliches Verbot, zum Christentum überzuwechseln. Man bediene sich aber strafrechtlicher Hilfskonstruktionen und klage an, wegen der Mitgliedschaft in illegalen bzw. politischen Gruppierungen. Konvertiten seien einer erhöhten Gefährdungssituation ausgesetzt. Das Regime vermute, dass der Glaubenswechsel mit einer regimekritischen Haltung einhergehe. Konvertiten würden deshalb in das Informationsministerium bestellt, sobald der Übertritt bekannt werde. Nach Belieben würden Spionagevorwürfe, Aktivitäten in illegalen Gruppen usw. vorgeworfen. Die Reaktion der iranischen Behörden seien äußerst willkürlich und nicht vorherzusagen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Behörden davon ausgingen, der Übertritt erfolge nicht aus religiösen, sondern aus politischen Motiven. Dies könne wiederum Verfolgungen durch die Sicherheitskräfte nach sich ziehen. Der Übertritt könne immer auch als Hochverrat, Staatsverrat, Abfall von der eigenen Sippe und dem eigenen Stamm angesehen werden (Schweizer Flüchtlingshilfe, Christen und Christinnen im Iran, Themenpapier, 18. Oktober 2005).

Diese Grundsätze müssen umso mehr für die staatlich nicht anerkannten Bahai, denen zudem eine Nähe zu Israel unterstellt wird, gelten.

In diese Auskunftslage fügt sich das Vorbringen des Klägers nahtlos ein.

Es ist dem Kläger auch abzunehmen, dass er wegen seiner Missionierungstätigkeit zusammen mit dem Vater seiner Freundin verhaftet worden ist. Zu Unrecht hält es das Bundesamt für unglaubhaft, dass nach dieser Verhaftung nur der Kläger verurteilt worden sie, nicht aber der Vater seiner Freundin. Hierbei wird verkannt, dass der Vater der Freundin des Klägers von Geburt an Bahai war, während der Kläger vom Islam zu Bahaismus konvertiert ist. Von daher ist es ohne Weiteres nach der obigen Auskunftslage nachvollziehbar, dass der Vater der Freundin des Klägers nach einigen Schikanen und Repressionen wieder freigelassen wurde, während dem Kläger allein wegen seiner Konversion ein schwerwiegender Strafvorwurf gemacht wurde.