Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung für Yeziden aus der Türkei.
Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung für Yeziden aus der Türkei.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Widerrufsbescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgebliche Rechtsgrundlage für das Widerrufsverfahren bezüglich der Klägerin Ziffer 1 ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Hiervon ausgehend vermag das Gericht den Wegfall der bislang schon wegen ihres Glaubens andauernden Gefährdung der Kläger auf Grund der ansonsten in vielen Bereichen tatsächlich festzustellenden Wandlung der Verhältnisse in der Türkei nicht festzustellen.
Auch in der Person der Kläger liegende Änderungen sind nicht festzustellen.
Die Klägerin Ziffer 1 ist nach dem vom Gericht während ihrer kurzen Anhörung gewonnenen Eindruck offenbar weiterhin, wie im Anerkennungsbescheid unstreitig angenommen, gläubige Anhängerin der yezidischen Religion, die sie auch praktiziert bzw. praktizieren will (VG-Protokoll-Anlage, S. 1 u. 2). Die Schwierigkeiten, diesen Glauben in der Türkei zu leben, sind auch heute noch nicht in einer Weise entfallen, die es rechtfertigen würde, den ihr vor vielen Jahren gewährten Asylrechtsschutz wieder aufzuheben. Das hat das Gericht bereits mit rechtskräftigem Urteil vom 25.07.2006 - A 6 K 11023/05 - in einem gleich gelagerten Fall ausgeführt (AuAS 2006, 224 und 2007, 70; zit. nach juris; bestätigt durch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.09.2006 - A 12 S 907/06 -).
Das Ausbleiben einer grundlegenden Verbesserung der Verhältnisse für die Yeziden ergibt sich insbesondere aus dem bereits erwähnten Lagebericht der yezidischen Gemeinschaft in Oldenburg, welcher schlüssig und glaubhaft wirkt, aber auch aus allgemeinen Überlegungen unter Auswertung der von der Beklagten angeführten Quellen. Insoweit hat sich der frühere Sachstand, der zur Asylanerkennung führte, nicht wesentlich geändert. Es gelten deshalb nach wie vor die nachfolgend erneut wiedergegebenen Gründe aus dem genannten Urteil der erkennenden Kammer:
"Unter grundlegender Änderung der asylerheblichen Verhältnisse ist nicht nur eine augenblickliche freundlichere Haltung der Bevölkerungsmehrheit und/oder staatlicher Stellen zu verstehen, sondern eine grundsätzliche Überwindung der bisherigen Konfliktsituation.
Zu Recht weisen die Kläger darauf hin, dass der grundsätzliche Konflikt zwischen der yezidischen Religionsgemeinschaft und der muslimischen Bevölkerungsmehrheit indessen weiterhin ungelöst ist. Es ist nichts dafür zu erkennen, dass Yeziden nicht weiterhin wegen ihrer Religion verachtet werden und deshalb in gewisser Weise rechtlos sind: So sind sie nach dem genannten Bericht des yezidischen Forums vom 05.02.2006, welches noch immer einen zeitnahen Stand wiedergibt, nach wie vor der Willkür von Großgrundbesitzern ausgeliefert, die sie wie Leibeigene zu behandeln trachten; auch ist staatlicher Rechtsschutz gegenüber der Wegnahme von Besitz und selbst in Fällen von Totschlag allem Anschein nach nicht, jedenfalls aber ganz überwiegend nicht zuverlässig zu erreichen.
Die Tatsache, dass Yeziden ungestört Besuchsreisen in ihre ursprünglichen Heimatdörfer machen können, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dort ein dauerhaftes sicheres Leben für sie voraussichtlich nicht mehr möglich sein dürfte. Zu einem grundsätzlichen Wandel kann es auch nicht führen, wenn lediglich das äußere Verhalten verschiedener Amtspersonen im Hinblick auf die angestrebte EU-Mitgliedschaft der Türkei "freundlicher" geworden sein sollte. Für eine grundlegende Verbesserung der Verhältnisse bedürfte es dazu offizieller, programmatischer Schritte, mit denen z.B. der Wille des türkischen Staates, die Yeziden als Religionsgemeinschaft ernst zu nehmen, zum Ausdruck gebracht und eine entsprechende Behandlung durch alle staatlichen Stellen unter Hervorhebung der Religionsfreiheit verbindlich gemacht würde. Das ist hier nicht geschehen. Soweit schließlich die Zahl der Übergriffe deutlich abgenommen haben mag, dürfte dies schlicht daran liegen, dass eine Zahl von 363 Personen, die zudem auf mehrere Dörfer verteilt sein sollen, im öffentlichen Leben gar nicht mehr aufzufallen vermag und schon deshalb kaum noch eine Gelegenheit für Reibereien besteht. Umso mehr fallen die immerhin vier Fälle des oben genannten Lageberichts der yezidischen Vereinigung, denen noch weitere nachfolgen sollen, ins Gewicht. Mangels einer programmatischen und verbindlichen Aussage staatlicher türkischer Stellen zur (künftigen) Behandlung der Yeziden und der nicht von der Hand zu weisenden Annahme, dass lediglich die angestrebte EU-Mitgliedschaft derzeit ein gewisses Wohlverhalten mit sich bringt, erscheint nach alldem zumindest nicht die (auch) von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte dauerhafte Verbesserung ihrer Existenz erreicht.
In gewisser Weise ist u.U. sogar eine schon früher für möglich gehaltene Verschlechterung eingetreten: Infolge der Abwanderung der eigenen Religionsmitglieder können sich Verbliebene und Rückkehrer noch weniger als früher in intakte Dorfstrukturen zurückziehen, sind daher weder in ihrer Existenz noch in ihrer religiösen Betätigung gesichert. Insoweit könnte im Hinblick auf die äußerst geringe Zahl der Yeziden in der Türkei dort heute kaum noch eine funktionierende religiöse Gemeinde zu bilden sein, sodass selbst das religiöse Existenzminimum, zu welcher nach Kenntnis des Gerichts auch die Bildung von religiös geprägten Familienverbänden gehört, nicht mehr gesichert wäre. Darauf wären die Kläger angewiesen, da ihre Kinder, die zum Teil bereits eingebürgert wurden, ebenso wie ihre übrigen Verwandten in Gießen aller Voraussicht nach in Deutschland verbleiben würden.
Außerdem hat sich in der Türkei allgemein der Status Quo zu ihren Lasten verändert. Offenbar ist ihr Eigentum nach so vielen Jahren Abwesenheit verteilt worden und sind es dann die Rückkehrer, die dagegen ankämpfen müssten, um die Rückgabe ihrer Ländereien zu erreichen, und damit automatisch in die Rolle der "Unruhestifter" gerieten. Das dürfte auch die Kläger betreffen, die nun seit 20 Jahren ihre Heimat verlassen haben. Ohne Rückgabe der Ländereien könnten zurückkehrende Yeziden, denen anderweitige Arbeitsplätze möglicherweise nur mit großen Schwierigkeiten offen stehen, indes nicht ihre Existenz sichern. Unter diesen Umständen ist wohl auch kaum mit einer Rückkehr weiterer Yeziden zu rechnen.
Schließlich ist eine Zunahme des Konflikts durch die auch in der Türkei festzustellende fortschreitende Islamisierung nicht von der Hand zu weisen. Jedenfalls dürften diese genannten Umstände selbst eine etwaige derzeitige Verbesserung wieder wettmachen. Auch besteht nach alldem nach wie vor keine zumutbare inländische Fluchtalternative. Damit ist nicht zu erkennen, dass sich an den Gründen, die das Verwaltungsgericht Karlsruhe seinerzeit bewogen hatten, die Beklagte zur Asylanerkennung zu verpflichten, etwas Wesentliches geändert hätte. Ganz im Gegenteil kommt nunmehr mit Rücksicht auf § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG dem offensichtlich unveränderten Verhalten der Großgrundbesitzer und eventuell ideologisierter Moslems besonderes Gewicht zu."
Von dieser Einschätzung geht das Gericht weiterhin auch im vorliegenden Fall aus.