1. Jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion genießen aufgrund des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG und können sich auch ohne Vorliegen eines Verfolgungsschicksals auf den Schutz des Abschiebungsverbotes nach Art. 33 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen.
2. Aus § 102 Abs. 1 Satz 1 und § 103 AufenthG folgt, dass der bisherige besondere ausländerrechtliche Status der jüdischen Zuwanderer auch nach Inkrafttreten des AufenthG unangetastet bleiben soll.
3. Art. 33 GFK/§60 Abs. 1 und 8 AufenthG sind daher auf jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion sinngemäß mit folgendem Inhalt anzuwenden:
a) Kein jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion wird abgeschoben.
b) Auf die Vergünstigungen dieser Vorschriften kann sich ein jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt wurde und eine konkrete Wiederholungsgefahr von ihm ausgeht. Das Gleiche gilt, wenn der jüdische Emigrant die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes erfüllt.
1. Jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion genießen aufgrund des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG und können sich auch ohne Vorliegen eines Verfolgungsschicksals auf den Schutz des Abschiebungsverbotes nach Art. 33 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen.
2. Aus § 102 Abs. 1 Satz 1 und § 103 AufenthG folgt, dass der bisherige besondere ausländerrechtliche Status der jüdischen Zuwanderer auch nach Inkrafttreten des AufenthG unangetastet bleiben soll.
3. Art. 33 GFK/§60 Abs. 1 und 8 AufenthG sind daher auf jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion sinngemäß mit folgendem Inhalt anzuwenden:
a) Kein jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion wird abgeschoben.
b) Auf die Vergünstigungen dieser Vorschriften kann sich ein jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt wurde und eine konkrete Wiederholungsgefahr von ihm ausgeht. Das Gleiche gilt, wenn der jüdische Emigrant die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes erfüllt.
(Amtliche Leitsätze)
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2006 zu Recht insoweit aufgehoben, als der Klägerin darin die Abschiebung in die Ukraine angedroht wurde. Die Abschiebungsandrohung ist wegen Verstoßes gegen §§ 102 Abs. 1 Satz 1, Art. 33 Art. 1 GFK/§60 Abs.1 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Entgegen einer in der Rechtsprechung verbreiteten Auffassung (vgl. OVG Berlin, B. vom 5.2.2001, DVBl. 2001, 574 [575 f.]; Bay VGH, B. vom 15.5.2002 – 12 CE 02.659 -, Juris; OVG Berlin, B. vom 15.11.2002, EZAR 018, Nr. 2, S. 4; BayVGH, B. vom 20.12.2004 – 12 CE 04.3232 -, Juris; VG Augsburg, U. vom 11.7.2000, NVwZ 2000, 1449 [1450], jedoch allesamt zu Fragen mit sozialrechtlichem Hintergrund; auch bezüglich des Ausweisungs- und Abschiebungsschutzes hingegen: VG Augsburg, U. vom 18.9.2001 – Au 1 K 01.451 – Juris; VG Augsburg, B. vom 11.7.2007 – Au 1 S 07.622 – Juris; im Sinne einer mittelbaren Rechtsstellung entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG differenzierend jedoch: OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. vom 15.9.2004 – 1 L 106/02 -, LKV 2005, 510 [512]; VG Osnabrück, U. vom 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris; VG Neustadt, U. vom 6.10.1999, NVwZ 2000, 1447 [1448]) ist das Verwaltungsgericht Ansbach – wenn auch ohne nähere Begründung – zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG genießt und sich deshalb grundsätzlich auf den Schutz des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG berufen darf (so mit Recht auch VG Karlsruhe, U. vom 19.12.2005, ZFSH/SGB 2006, 339 [341 f.]; in die selbe Richtung wohl auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. vom 15.9.2004 – 1 L 106/02 -, LKV 2005, 510 [512]; VG Osnabrück, U. vom 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris).
Die Rechtsstellung nach § 1 Abs. 1 HumHAG entsteht zwar ausschließlich kraft Gesetzes, weil es insoweit ein Anerkennungs- oder Feststellungsverfahren nicht gibt (vgl. BVerwG, B. v. 27.2.1996, InfAuslR 1996, 322 [324]) mit der Folge, dass auch die amtliche Bescheinigung, die gemäß § 2 HumHAG jeder Flüchtling im Sinne des § 1 HumHAG zum Nachweis seiner Rechtsstellung erhält, nur deklaratorische Bedeutung entfaltet (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 26.11.1999 –, InfAuslR 2000, 466). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden jüdischen Emigranten nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 HumHAG fielen, weil es bei ihnen – insoweit unstreitig – an einer Verfolgungssituation (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Urt. v. 17.2.1992, NVwZ 1993, 187 [188]; B. v. 27.2.1996, InfAuslR 1996, 322 [324]) fehlt und sie sich deshalb nicht auf den in § 1 Abs. 1 HumHAG verheißenen Schutz von Art. 2 bis 34 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) berufen dürften (so aber VG Augsburg, U. vom 18.9.2001 – Au 1 K 01.451 – Juris; VG Augsburg, B. vom 11.7.2007 – Au 1 S 07.622 – Juris). Dies würde weder der Quellenlage noch der historischen Dimension der Aufnahme der jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion gerecht (vgl. hierzu VG Karlsruhe, U. vom 19.12.2005, ZFSH/SGB 2006, 339 [341 f.]; OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. vom 15.9.2004 – 1 L 106/02 -, LKV 2005, 510 [512]; VG Osnabrück, U. vom 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris) und stünde nicht zuletzt auch mit der bisherigen Verwaltungspraxis – nicht nur der Beklagten – in Widerspruch.
2. Die Aufnahme der jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion ist vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus erfolgt.
Hiervon ausgehend beschloss die Konferenz der Regierungschefs des Bundes und der Länder (Ministerpräsidentenkonferenz) am 9. Januar 1991 in Bonn, der Einreise jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion "entsprechend" den Vorschriften des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge (HumHAG) zuzustimmen. Die nähere Verfahrensweise der Aufnahme jüdischer Zuwanderer und ihre Verteilung auf die Bundesländer wurden zwischen den Ausländerreferenten des Bundes und der Länder im Rahmen einer Besprechung vom 28. bis 30. Januar 1991 in Fulda festgelegt. Das Ergebnisprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 weist unter TOP 3 Folgendes aus:
"Nach kurzer Debatte […] wird zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern Einvernehmen hergestellt, dass die Einreise von Juden aus der Sowjetunion – ohne zahlenmäßige Begrenzung – auch in Zukunft auf Grund von Einzelfallentscheidungen in entsprechender Anwendung des "Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge" ermöglicht wird."
Bezüglich der Rechtsstellung der jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion hält das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 10. August 1993 – A 2 125 341 – ISR/1 – u.a. Folgendes fest:
"Nach dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 findet das Kontingentflüchtlingsgesetz ausdrücklich nur entsprechende Anwendung. Maßgeblich hierfür war vor allem, dass nur bei einer Aufnahme nach diesem Gesetz eine finanzielle Beteiligung des Bundes an den erforderlichen Eingliederungsmaßnahmen vorgesehen ist, und dass es für Aufnahmen ein Verteilungsverfahren auf die Länder gibt. Dies bedeutet allerdings, dass die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion den unmittelbar nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz aufgenommenen Flüchtlingen gleichgestellt werden und denselben Rechtsstatus erhalten, d.h. ihnen stehen die sich aus den Artikeln 2 bis 34 der Genfer Konvention ergebenden Vergünstigungen zu (z.B. unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Eingliederungshilfen, Zugang zum Arbeitsmarkt). Ihnen kann zum Nachweis ihrer Rechtsstellung daher auch eine Bescheinigung nach § 2 Kontingentflüchtlingsgesetz erteilt werden.
Infolge der nur entsprechenden Anwendung bleibt jedoch die Möglichkeit erhalten, den vom unmittelbaren Anwendungsfall dieses Gesetzes abweichenden Besonderheiten Rechnung zu tragen und die Regelungen über die Kontingentaufnahme mit den aus sachlichen Gründen gebotenen Maßgaben anzuwenden, beispielsweise auch auf die vorgesehene Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge nach Art. 28 Genfer Konvention zu verzichten.
Auch ein Erlöschen der Rechtsstellung unter bestimmten Voraussetzungen ist durchaus denkbar. Allerdings kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Aufnahmeverfahrens für ehemals sowjetische Juden die Erlöschensvorschrift des § 2a Abs. 1 Nr. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz keine Anwendung finden, wenn ein sowjetischer Reisepass bzw. ein Reisepass des Herkunftsstaates nur zu fest umrissenen Zwecken (z.B. Legalisierung der Ausreise, Ausbürgerung) oder deshalb beantragt oder erneuert wird, um weiterhin Besuchsreisen in die Heimat durchführen zu können."
Der Grundsatzerlass des Auswärtigen Amtes vom 25. März 1997 – Az. 514-516-20/7 – bestätigt diese Rechtslage. Die jüdischen Emigranten erhielten den Status von Kontingentflüchtlingen gem. § 2 HumHAG (vgl. hierzu Hochreuter, NVwZ 2000, 1376).
3. Diese Quellenlage führt nach Auffassung des Senats zu folgender Beurteilung:
a) Der Wortlaut des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz gibt zwar eindeutig zu erkennen, dass die Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nur entsprechend den Vorschriften des HumHAG erfolgte, weil sich die Beteiligten von vornherein darüber im klaren waren, dass es sich bei den jüdischen Emigranten mangels Verfolgungs- oder Flüchtlingsschicksal gerade nicht um Kontingentflüchtlinge im Rechtssinne handelte, und eine unmittelbare Anwendung des tatbestandlich nicht einschlägigen Gesetzes deshalb nicht beschlossen werden konnte (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. v. 15.9.2004, 1 L 106/02, LKV 2005, 510 [512]; OVG Berlin, B. v. 30.7.2004 - 2 N 87.04 -, Juris; OVG Berlin, B. v. 15.11.2002, EZAR 018, Nr. 2; VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 -5 A 53/06 -, Juris; VG Augsburg, U. v. 11.7.2000, NVwZ 2000, 1449 [1450]; VG Neustadt, U. v. 6.10.1999, NVwZ 2000, 1447 [1448]). Daraus kann nun aber nicht der Schluss gezogen werden, dass das Kontingentflüchtlingsgesetz für diese Emigranten nicht gelten würde (so jedoch VG Augsburg, B. vom 11.7.2007 – Au 1 S 07.622 -, Juris). Aufgrund der Aufnahme dieses Personenkreises „entsprechend“ dem Kontingentflüchtlingsgesetz ist eine mittelbare oder auch analoge Anwendung nicht etwa ausgeschlossen, sondern im Gegenteil gerade beabsichtigt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. v. 15.9.2004, 1 L 106/02, LKV 2005., 510 [512]; VG Neustadt, U. v. 6.10.1999, NVwZ 2000, 1447 [1448]; VG Karlsruhe, U. vom 19.12.2005, ZFSH/SGB 2006, 339 [341 f.]; VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 -5 A 53/06 -, Juris; a.A. VG Augsburg, U. v. 19.9.2001 – Au 1 K 01.451 -, Juris). Das Rundschreiben des BMI vom 10. August 1993 – A 2 – 125 341 – ISR/1 – belegt dies eindeutig. Die jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion sind den unmittelbar nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz aufgenommenen Flüchtlingen gleichgestellt; sie erhalten denselben Rechtsstatus. Abweichungen sind lediglich aus sachlich gebotenen Gründen möglich, um etwaigen, vom unmittelbaren Anwendungsfall des Kontingentflüchtlingsgesetzes abweichenden Besonderheiten Rechnung zu tragen. Mit Blick auf die Rechtsstellung jüdischer Emigranten kann damit festgehalten werden, dass sie zwar nicht als Kontingentflüchtlinge im eigentlichen Sinne bezeichnet werden können. Begrifflich lässt sich ihr Status jedoch durchaus als "Kontingentflüchtlinge in einem weiteren, gewissermaßen untechnischen Sinne" umschreiben (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. v. 15.9.2004, 1 L 106/02, LKV 2005, 510 [512]; VG Karlsruhe, U. vom 19.12.2005, ZFSH/SGB 2006, 339 [341 f.]; VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 -5 A 53/06 -, Juris). Teilweise ist hinsichtlich ihres Status auch zu Recht von einer "mittelbaren Rechtsstellung als Konventionsflüchtlinge" die Rede (vgl. Welte, in: Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, Band 2, 60. Erg.-Lfg. 12/2001, § 33 AuslG RdNr. 11). Noch weitergehend spricht das Verwaltungsgericht Kassel (U. vom 15.4.1998 – 4 E 4222/95 (4) –, InfAuslR 1999, 313 [314]) von einer "wirklichen" Aufnahme nach § 1 Abs. 1 HumHAG. Die immer wieder betonte "entsprechende" Anwendung sei lediglich außenpolitischen Erwägungen (Rücksichtnahme auf Russland und Israel) geschuldet.
b) Mit Blick auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des HumHAG auf jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion bedeutete die zwischen Bund und Ländern vereinbarte Verwaltungspraxis, dass diesem Personenkreis analog § 1 Abs. 3 HumHAG sofort eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt und eine entsprechende Bescheinigung nach § 2 HumHAG ausgestellt werden konnte, ohne dass es zuvor einer individuellen Prüfung im Hinblick auf eine Verfolgung oder Diskriminierung in der ehemaligen Sowjetunion bedurft hätte (vgl. OVG Berlin, B. v. 15.11.2002, EZAR 018, Nr. 2, S. 4; VG Neustadt, U. v. 6.10.1999, NVwZ 2000, 1447 [1448]; VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris). Auf Grund ihres Status als Kontingentflüchtlinge erhielten sie sogleich Anspruch auf bestimmte Vergünstigen, wie z.B. Eingliederungshilfen, Sprachkurse, Unterbringung, Sozialhilfe und Zugang zum Arbeitsmarkt (vgl. Hochreuter, NVwZ 2000, 1376).
c) Vor dem Hintergrund der von der Ministerpräsidentenkonferenz bewusst ins Werk gesetzten, wegen des Fehlens der tatbestandlichen Voraussetzungen denknotwendig lediglich entsprechenden Anwendung des HumHAG kann gerade auch angesichts der besonderen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht davon ausgegangen werden, die analoge Heranziehung des HumHAG habe ausgerechnet vor dem Refoulmentverbot des § 33 Abs. 1 GFK und seiner nationalen Umsetzung in § 60 Abs. 1 AufenthG halt machen wollen. Der im Rundschreiben des BMI vom 10. August 1993 – A 2 – 125 341 – ISR/1 – aufgestellte Grundsatz der Gleichstellung von jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion und Kontingentflüchtlingen, der Durchbrechungen nur ausnahmsweise, nämlich aus sachlich gebotenen Gründen gestattet, um vom unmittelbaren Anwendungsfall des Kontingentflüchtlingsgesetzes abweichenden Besonderheiten Rechnung zu tragen, steht dem entgegen. Angesichts der mit der Aufnahme jüdischer Emigranten verfolgten Intention einer mittel- und langfristigen Revitalisierung jüdischen Kultur- und Geistesleben in Deutschland liegt vielmehr gerade das Gegenteil, nämlich die Zuerkennung eines dem Refoulmentverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK entsprechenden Abschiebungsschutzes nahe, auch ohne dass dessen Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelnen vorliegen müssen.
Art. 33 GFK/§ 60 Abs. 1 u. 8 AufenthG sind daher auf jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion sinngemäß mit folgendem Inhalt anzuwenden:
- Kein jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion wird abgeschoben.
- Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich ein jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt wurde. Gleiches gilt, wenn der jüdische Emigrant die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes erfüllt.
In ihrem Vertrauen hierauf sind die jüdischen Emigranten spätestens mit der Ausstellung der Bescheinigung gemäß § 2 HumHAG schutzwürdig und schutzbedürftig, auch wenn diese lediglich deklaratorische Wirkungen entfaltet. Allein dies entspricht der mit der entsprechenden Anwendung des HumHAG beabsichtigten grundsätzlichen Gleichstellung jüdischer Emigranten mit Konventionsflüchtlingen (vgl. hierzu OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. v. 15.9.2004, 1 L 106/02, LKV 2005, 510 [512]; VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris; Welte, in: Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, Band 2, 60. Erg.-Lfg. 12/2001, § 33 AuslG RdNr. 11; ders., in: Welte/Jakober, Aktuelles Ausländerrecht, 99. Erg.-Lfg.11/2006, § 103 AufenthG RdNr. 5). Dass der einzelne Emigrant gleichsam persönlich auf das Bestehen von Abschiebungsschutz vertraut haben müsste, um sich auf den Schutz des § 60 Abs. 1 AufenthG berufen zu dürfen, wie die Beklagte offenbar meint, ist insoweit nicht erforderlich. Vielmehr genügt – wie auch sonst – eine generalisierende Betrachtungsweise.
Mit den in Art. 33 Abs. 2 GFK/§ 60 Abs. 8 AufenthG vorgesehenen Einschränkungen wird zugleich ein sachgerechter Ausgleich zwischen den Schutz- und Bewahrungsinteressen der jüdischen Emigranten und dem berechtigten Sicherheitsstreben der Allgemeinheit gewährleistet, der die Grenzen des Zumutbaren nach beiden Seiten hin nicht überschreitet und dabei zugleich auch der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland angemessen Rechnung trägt.
d) Weigerte man sich, die soeben beschriebenen Konsequenzen zu ziehen, so würde sich die Bundesrepublik Deutschland eines widersprüchlichen Verhaltens schuldig machen. Es kann nicht einerseits sehenden Auges ein bestimmter Personenkreis dem Anwendungsbereich eines Gesetzes unterworfen werden, wohl wissend, dass dessen Tatbestandsvoraussetzungen von vornherein nicht vorliegen, ihm aber andererseits Schutz versagt werden, wenn er sich auf die Rechtsfolgenverheißungen der entsprechenden Normen beruft.
Es mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, dass eine Person in den Genuss eines Abschiebungsverbots nach Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG gelangen kann, die im Land ihrer Herkunft keine aktuelle Verfolgung zu erwarten hat. Diese Rechtswohltat ist jedoch unmittelbarer Ausfluss einer politischen und nicht einer rechtlichen Entscheidung, nämlich des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991, § 1 Abs. 1 HumHAG für jüdische Einwanderer aus der Sowjetunion für entsprechend anwendbar zu erklären, und des dadurch gesetzten Vertrauenstatbestandes, an dem sich der Vertrauensgeber – die Bundesrepublik Deutschland – in den Grenzen des Art. 33 Abs. 2 GFK/§ 60 Abs. 8 AufenthG – festhalten lassen muss und auf den sich der Vertrauensnehmer – der Emigrant – auch dann berufen darf, wenn in seinem Falldie Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt sind.
Letzteres ist im Übrigen nicht allein das Ergebnis der erwähnten – politischen – Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991, sondern bereits des Kontingentflüchtlingsgesetzes selbst.
Daran hat sich im Grundsatz – jedenfalls zum Nachteil der jüdischen Emigranten – bis heute nichts geändert. Zwar hat der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 1996 (InfAuslR 1996, 322 [324]) mit Wirkung vom 31. Oktober 1997 (BGBl I, S. 2588) mit § 2b HumHAG einen Widerufstatbestand eingeführt, nach dem die Rechtsstellung aus § 1 HumHAG entzogen werden kann, wenn festgestellt wird, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (§ 60 Abs. 1 AufenthG) in Bezug auf den Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt, nicht mehr vorliegen. § 2b HumHAG ist jedoch nach einhelliger Auffassung auf die jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nicht anwendbar, da diese dort gerade keiner Verfolgung unterworfen waren und deshalb ein nachträglicher Wegfall der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (§ 60 Abs. 1 AufenthG) denknotwendig nicht möglich ist (vgl. VG Augsburg, U. vom 11.7.2000, - Au 3 K 99.30656 –, NVwZ 2000, 1449 [1451] unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ein entsprechendes Schreiben des BayStMI vom 22.10.1999). Dies gilt auch nach der in § 103 AufenthG angeordneten Fortgeltung.
In der Tat entspricht es der Verwaltungspraxis der Beklagten – wie auch der übrigen Ausländerbehörden –, straffällig gewordene jüdische Emigranten (sofern das Aufenthaltsgesetz dies zulässt) zwar auszuweisen, jedoch mit Rücksicht auf den Status der Betroffenen aus § 1 Abs. 1 HumHAG i.V.m. Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen.
4. Dieser Rechtspraxis steht Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach niemand wegen u.a. seiner Abstammung und Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf, nicht entgegen. Es trifft zwar zu, dass straffällig gewordene jüdische Emigranten durch den Verzicht auf Abschiebungsmaßnahmen gegenüber anderen delinquenten Ausländern bevorzugt werden. Diese Differenzierung ist jedoch – wie nicht zuletzt die Beweggründe für die Zuwanderung jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion zeigen – zum Ausgleich für die Verfolgung und Diskriminierung dieses Volkes in der Vergangenheit gerechtfertigt, obwohl die heute hierdurch Begünstigten von der Schoah nicht am eigenen Leib betroffen waren (vgl. hierzu Hochreuter, NVwZ 2000, 1376 [1377]; Weizsäcker, ZAR 2004, 93 [100]; Raabe, ZAR 2004, 410 [413; 414] jeweils m.w.N.). Das einzigartige unmenschliche Schicksal, dem die jüdische Bevölkerung Europas unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht zuletzt auch in den Mauern der Beklagten selbst ausgesetzt war, prägt den Geltungs- und Achtungsanspruch eines jeden von ihnen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern des Landes, auf denen diese Vergangenheit ruht (vgl. hierzu auch Raabe, ZAR 2004, 410 [414]).
5. Der besondere ausländerrechtliche Status der jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ist auch mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht entfallen (so mit Recht VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris; VG Karlsruhe, U. vom 19.12.2005, ZFSH/SGB 2006, 339 [341 f.]). Der Gesetzgeber hat die bisherige, die jüdischen Zuwanderer betreffende Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes nachträglich gebilligt und auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. In § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist nunmehr ausdrücklich vorgesehen, dass eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 1 Abs. 3 HumHAG oder in entsprechender Anwendung dieses Gesetzes erteilt wurde, und eine anschließend erteilte Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG fortgelten.
Auch wenn nach dem Willen des Gesetzgebers künftig die Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion allein auf der Grundlage der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes erfolgen soll, lässt sich daraus nicht folgern, dass auch die bereits seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nur noch nach den neuen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen zu behandeln wären (so mit Recht auch VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris; VG Karlsruhe, U. vom 19.12.2005, ZFSH/SGB 2006, 339 [341 f.]). Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die generalklauselartige Formulierung des § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zum Ausdruck gebracht, dass der bisherige besondere ausländerrechtliche Status der jüdischen Zuwanderer unangetastet bleiben soll.
Nach dieser Vorschrift bleiben die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere zeitliche und räumliche Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen, Verbote und Beschränkungen der politischen Betätigung sowie Ausweisungen, Abschiebungsandrohungen, Aussetzungen der Abschiebung und Abschiebungen einschließlich ihrer Rechtsfolgen und der Befristung ihrer Wirkungen sowie begünstigende Maßnahmen, die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren und Befreiungen von der Passpflicht, Entscheidungen über Kosten und Gebühren, wirksam. Bereits der Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ("insbesondere") macht deutlich, dass der Gesetzgeber den Begriff der Maßnahmen in einem umfassenden Sinne und damit die Norm selbst als Auffangtatbestand verstanden wissen wollte, um weitere spezielle Überleitungsregelungen entbehrlich zu machen (vgl. VG Osnabrück, U. v. 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris). Es unterliegt daher keinem vernünftigen Zweifel, dass sich die bereits seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiterhin auf die ihnen mit der entsprechenden Anwendung des HumHAG gewährten Rechtsfolgenverheißungen berufen dürfen.
Bestätigung erfährt dieser Befund auch durch § 103 AufenthG. Die Vorschrift soll über ihren unmittelbaren Wortlaut hinaus sicherstellen, dass auf den nach dem HumHAG aufgenommenen Personenkreis auch nach dem Außer-Kraft-Treten dieses Gesetzes (vgl. Art. 15 Abs. 3 Nr. 3 ZuwG) weiterhin die Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention zur Anwendung kommt (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: April 2005, RdNr. 1 zu § 103 AufenthG; VG Karlsruhe, U. vom 19.12.2005, ZFSH/SGB 2006, 339 [341 f.]; VG Osnabrück U. v. 10.7.2006 – 5 A 53/06 -, Juris). Gleichzeitig wird der dem Kontingentflüchtlingsgesetz immanente Bestandsschutz durch die in § 103 AufenthG enthaltene Verweisung auf § 2 a HumHAG prolongiert. Die Auffassung der Beklagten, der Status der Klägerin als Kontingentflüchtling nach § 1 HumHAG sei durch das Aufenthaltsgesetz nicht übergeleitet worden, entbehrt mithin jeder Grundlage. Vielmehr gibt das Aufenthaltsgesetz der bisherigen Verwaltungspraxis auch weiterhin Raum, wie nicht zuletzt § 103 AufenthG zeigt.
6. Dessen ungeachtet ist die Beklagte auch auf Grund ihrer eigenen Verwaltungspraxis in den vergangen eineinhalb Jahrzehnten gehindert, hiervon abzurücken. Der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG) steht jedem willkürlichen Abweichen entgegen (vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., 2008, § 40 RdNr. 25 m.w.N.). Sachlich vertretbare Gründe für eine Änderung der bisherigen Gepflogenheiten sind nicht ersichtlich. Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG sind damit auch im Fall der Klägerin anzuwenden.
7. Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG kommen zwar dann nicht zum Tragen, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG). Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG sind vorliegend – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – jedoch nicht erfüllt. Die Verurteilung der Klägerin zu einer Freiheitsstrafe liegt zwar um 6 Monate über dem in § 60 Abs. 8 AufenthG vorgesehenen Mindeststrafrahmen. Allein die rechtskräftige Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe führt jedoch noch nicht automatisch zum Ausschluss des Abschiebeschutzes. Vielmehr muss darüber hinaus im Einzelfall von der Klägerin auch eine konkrete Wiederholungsgefahr ausgehen (vgl. BVerwG, U. v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 –, InfAuslR 2001, 194 [196]; Hamburgisches OVG, B. v. 22.9.1995 – OVG Bs IV 87/95 –, InfAuslR 1996, 107; VGH BW, B. v. 28.3.1996 – 1 S 1404/95 -, InfAuslR 1996, 328 [330] zum insoweit inhaltsgleichen § 51 Abs. 3 AuslG 1990). Eine solche ist vorliegend jedoch weder aufgrund der konkreten Tatumstände noch aufgrund des Gesamtbildes der Betroffenen gegeben.