VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 22.10.2008 - 8 K 1457/08.A - asyl.net: M14456
https://www.asyl.net/rsdb/M14456
Leitsatz:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Kurden, Separatisten, PKK, Menschenrechtslage, Folter, politische Entwicklung, Reformen
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 24.04.2008, mit dem die Asylanerkennung und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 AufenthG widerrufen worden ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

[...] Die fluchtbegründenden Umstände bestehen nach wie vor. Denn die Praxis der türkischer Sicherheitskräfte gegenüber vermeintlichen oder wirklichen separatistischen Tendenzen hat sich bisher nicht in entscheidungserheblicher Weise geändert. Es kann deshalb nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Türkei erneut von politischer Verfolgung betroffen wird. Zwar hat sich die Menschenrechtslage in der Türkei seit dem Jahre 2001 erheblich verbessert. Es wurden insbesondere nachdrückliche Anstrengungen unternommen, um die Anwendung von Folter zu unterbinden (vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 19.04.2005 - 8 A 273/04.A -; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 25.10.2007).

Eine durchgreifende Entspannung, die die Gefahr asylerheblicher Übergriffe der Sicherheitskräfte weitgehend ausschließen würde, ist aber bisher und auch für die absehbare Zeit nicht festzustellen. Folter ist - wenn auch in geänderter Form - noch so weit verbreitet, dass von einer üblichen Praxis gesprochen werden muss, auch wenn dies erklärtermaßen den gesetzlichen und politischen Vorgaben widerspricht. Der gewünschte Mentalitätswandel hat noch nicht alle Teile von Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Nach dem Lagebericht kommt hinzu, dass der Ruf nach entschiedeneren Maßnahmen zur Terrorbekämpfung mit dem aktuellen Wiedererstarken des PKK-Terrorismus lauter werde, nachdem es im Osten und im Südosten der Türkei verstärkt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK komme. Trotz aller Maßnahmen der Regierung gegen Folter und Misshandlungen im Rahmen ihrer "Null-Toleranz-Politik" und eines weiteren Rückgangs von bekanntgewordenen Fällen sei die Strafverfolgung von Foltertätern immer noch unbefriedigend. Auch lägen keine zuverlässigen Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang es zu inoffiziellen Festnahmen durch Sicherheitskräfte in Zivil mit anschließender Misshandlung und Folter komme. Nach alledem liegt noch keine verfestigte und nachhaltige Veränderung der Menschenrechtssituation in der Türkei vor, die bei Personen, die wie die Klägerin aufgrund des Verdachts separatistischer Betätigung als vorverfolgt als Flüchtlinge anerkannt worden sind, Voraussetzung für einen Wegfall der Umstände im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ist (im Ergebnis ebenso VG Minden, Urteil vom 07.08.2007 - 8 K 3124/06.A -; VG Minden, Urteil vom 07.10.2008 - 12 K 1889/07.A -; VG München, Urteil vom 26.06.2008 - M 24 K 08.50189 -, JURIS, m.w.N.).

[...]