Aussetzung einer Überstellung im Rahmen der Dublin II-Verordnung an Griechenland wegen Nichteinhaltung der europarechtlichen Mindeststandards (im Anschluss an VG Gießen, Beschluss vom 25.4.2008 - 2 L 201/08.GI.A).
Aussetzung einer Überstellung im Rahmen der Dublin II-Verordnung an Griechenland wegen Nichteinhaltung der europarechtlichen Mindeststandards (im Anschluss an VG Gießen, Beschluss vom 25.4.2008 - 2 L 201/08.GI.A).
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Der Antragsteller, ein am 1980 in (Irak) geborener irakischer Staatsangehöriger yezidischer Religionszugehörigkeit, der bei seiner Einreise über Griechenland am 7. Februar 2008 einen bislang nicht beschiedenen Asylantrag gestellt hat, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Abschiebung nach Griechenland. [...]
Dieser Antrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass das Rechtsmittel, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet wird, bereits eingelegt ist (siehe Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 80 RdNr. 139 m.w.N.).
Des Weiteren steht § 34a Abs. 2 AsylVfG einer Zulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht entgegen.
Nach der genannten Vorschrift darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. In verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung kommt eine Aussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO jedoch dann in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Drittstaatenregelung (Urt. v. 14. Mai 1996 (2 BvR 1938/93, BVerfGE 94, 49)) ist die Vorschrift des § 34a AsylVfG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie entgegen ihrem Wortlaut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen in den sicheren Drittstaat nicht generell verbietet, sondern derartiger Rechtsschutz in Ausnahmefällen nach den allgemeinen Regeln möglich bleibt. Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist zwar aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II-VO wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer danach jedoch dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist, wobei an die Darlegung eines Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen sind (BVerfG, a.a.O.).
Der sinngemäß gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen den - ausweislich der Akten noch nicht zugestellten - Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. August 2008 ist auch begründet. Der Antragsteller einen solchen Sonderfall glaubhaft gemacht. Er hat unter Berufung auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen (Beschl. v. 25. April 2008 - 2 L 201/08.GI.A -, <juris>) sowie das Positionspapier des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen - UNHCR - zur Überstellung von Asylsuchenden nach der "Dublin II-Verordnung" vom 15. April 2008 im Einzelnen dargelegt, ohne dass die Antragsgegnerin dem hinreichend substantiiert entgegengetreten wäre, dass ihm im Falle der Abschiebung nach Griechenland dort ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren droht und ihm dort kein asylrechtliches Prüfungsverfahren offen steht, welches die Mindestnormen der Richtlinien 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005 sowie 2003/9/EG vom 27. Januar 2003 einhält. Das VG Gießen (a.a.O.) ist dem gefolgt und hat in den Gründen des o.g. Beschlusses im einzelnen u.a. ausgeführt: [...]
Das beschließende Gericht macht sich die o.g. Ausführungen zu eigen und hält es nach alledem für hinreichend glaubhaft gemacht, dass dem Antragsteller mit der Abschiebung nach Griechenland ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren befürchten muss, solange die griechische Regierung nicht konkret auf den vorliegenden Fall bezogen garantiert, dass bei einer Überstellung des Antragstellers diesem umgehend eine Registrierung seines Asylantrags sowie Informationen unter Hinzuziehung eines anerkannten Dolmetschers und Rechtsbeistand ermöglicht wird, er in einer angemessenen Unterkunft ohne Haftcharakter untergebracht wird und im Bedarfsfall Zugang zu medizinischer und sozialer Versorgung besteht.
Die Antragsgegnerin ist hierdurch nicht daran gehindert, noch während eines laufenden Hauptsacheverfahrens entweder die genannten Garantien bezüglich des Antragstellers beizubringen (vgl. hierzu auch BVerfG a.a.O. C III 2 a cc, wonach es auch sonst naheliege, "dass die deutschen Behörden vor einer Zurückweisung oder Rückverbringung des Ausländers in den Drittstaat mit den dort zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen"), oder aber doch noch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. [...]