1. Das nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG "erforderliche" Visum erfordert eine Identität des Aufenthaltszweckes für das Visum mit dem Aufenthaltszweck für den Aufenthaltstitel.
2. Die Begünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV greift nicht, wenn die Ehe nach der Einreise mit einem Schengen-Besuchsvisum im Ausland geschlossen wird.
3. Wird die Ehe mit einem Deutschen nach der Einreise mit einem Schengen-Besuchsvisum im Ausland geschlossen, ist die Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, die Ausländerin auf das Visumsverfahren zu verweisen, von Recht wegen nicht zu beanstanden.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Die Statthaftigkeit des Antrags ergibt sich aus § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, weil Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG von Gesetz wegen keine aufschiebende Wirkung haben.
[...]
Vom Ansatz her zutreffend gehen alle Beteiligten davon aus, dass der Antragstellerin vom Grundsatz her aufgrund der Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG zusteht. [...]
Im Streit steht deshalb allein noch die Rechtsfrage, ob der Erteilung dieses Aufenthaltstitels gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eine allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 AufenthG entgegensteht.
In diesem Zusammenhang kann dahin stehen, ob der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegensteht, demzufolge die Erteilung eines Aufenthaltstitels "in der Regel" voraussetzt, dass "kein Ausweisungsgrund vorliegt". Selbst wenn man mit dem Antragsgegner zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die mehr oder weniger verdichtete Heiratsabsicht der Antragstellerin bereits im Visumsverfahren bei der Deutschen Botschaft in Delhi hätte offenbart werden müssen, so hätte der Antragsgegner erwägen müssen, ob unter diesen Umständen ein Ausnahmefall vom Regelfall vorliegt. Immerhin war wegen der sich aus der Natur der Sache ergebenden Unsicherheit der Eheschließung innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens nicht sicher, ob ein Standesbeamter gefunden würde, der die Ehe so kurzfristig zu schließen bereit war.
Allerdings steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis derzeit die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht hat.
Insoweit teilt die Kammer die Ansicht des Antragsgegners, dass das "erforderliche Visum" eine Identität des im Visumsverfahren angegebenen Aufenthaltszwecks mit dem Zweck des nunmehr angestrebten Aufenthaltstitels erfordert, die nicht vorliegt, weil die Antragstellerin mit einem Besuchsvisum eingereist ist und nunmehr eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung begehrt.
Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist auch nicht nach § 39 Nr. 3 AufentV entbehrlich. Danach kann ein Ausländer "über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus" einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum besitz, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. In diesem Zusammenhang teilt die Kammer ebenfalls die Einschätzung des Antragsgegners, dass vorliegend zwei Einreisen vorliegen, zum einen die am 09.04.2008 aus Indien und zum anderen die am 21.05.2008 aus Dänemark, und dass insoweit auf die letzte Einreise abzustellen ist, bei der aufgrund der zuvor in Dänemark geschlossenen Ehe die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 AufenthG bereits vorlagen.
Mit der Antragstellerin ist allerdings davon auszugehen, dass der Wortlaut des § 39 Nr. 3 AufenthV nur eine Vergünstigung gegenüber den allgemeinen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes darstellt und § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vom Grundsatz her eine Ausnahme von der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zulässt. Nach die Ausnahmeregelung kann vom Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum und der Angabe der für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis maßgeblichen Angaben im Visumsantrag abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen.
Unstreitig liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 AufenthaltsG für einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nunmehr vor, nachdem die hinreichenden Deutschkenntnisse von der Antragstellerin nachgewiesen wurden. Gleichwohl sieht sich der Antragsgegner gehindert, das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen in der Weise auszuüben, dass er der Antragstellerin die begehrte Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Mit dem Antragsgegner ist davon auszugehen, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG als Ausnahmeregelung prinzipiell eng auszulegen ist, weil die Durchführung des Visumsverfahrens sowohl bei Vorliegen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als auch in allen anderen Fällen die Regel bleiben soll (GK-AufenthG, § 5 Rdnr. 159 unter Hinweis auf OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.10.2006 - 18 B 1767/06 -, InfAuslR 2007, 56 f. = ZAR 2006, 413). Zwar wird - vorauf die Antragstellerin mit Recht hinweist - in der Literatur verschiedentlich und insbesondere von Literaten, die zugleich Rechtsanwälte sind, die Auffassung vertreten, dass § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG so zu verstehen sei, dass in den Fällen der 1. Alternative, des Bestehens eines Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis, bei der Ermessensausübung stets vom Vorliegen besonderer Gründe für ein Verbleiben im Inland vorlägen, wenn der Verweis auf das Visumsverfahren mit unnötigen Kosten verbunden sei und im Zustimmungsverfahren ohnehin eine positive Stellungnahme abgegeben würde (Marx, Kommentar zum Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2005, § 2 Rdnr. 36 (S. 87); ähnlich: Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 5 Rdnr. 80). In diesen Fällen wäre die Forderung nach Durchführung des Visumsverfahrens zu einer reinen Förmelei, zum Selbstzweck. Ein irgendwie gearteter Steuerungszweck lasse sich dann nicht mehr verwirklichen. (HK-AuslR, §5 AufenthG Rdnr. 38).
Dieser Auslegung ist indes entgegenzuhalten, dass sie mit dem eingangs dargestellten Grundsatz nicht zu vereinbaren ist, dass nämlich Ausnahmeregelungen prinzipiell eng auszulegen sind. Zu Recht weist Renner in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die mit einer Ausreise und einer erneuten Einreise mit dem erforderlichen Visum verbundenen Kosten, Mühen und Zeitverluste zu dem normalen Risiko einer nicht ordnungsgemäßen Einreise gehören. (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 5 AufenthG Rdnr. 61).
Die Gesetzessystematik dürfte es verbieten, bei den Ausnahmen von der Visumspflicht, deren Erfüllung der Gesetzgeber nicht nur in der Regel, sondern unbedingt verlangt, großzügiger zu verfahren als bei den Regelerteilungsvoraussetzungen wie etwa der Passpflicht. Nachdem der Verordnungsgeber von der der Ermächtigung des § 99 Abs. 1 Nr. 2 2. Variante AufenthG mit den Regelungen der §§ 39 ff. AufenthV großzügig Gebrauch gemacht hat, sind für die Anwendung des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur noch wenige Anwendungsfälle vorstellbar, nämlich dann, wenn das Beharren auf die Einhaltung des Visumsverfahrens objektiv als unangemessen empfunden werden müsste (Storr/Wenger, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, Kapitel 2 Rdnr. 11 unter Hinweis auf OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.10.2006 - 18 B 1767/06 -, InfAuslR 2007, 56 f. = ZAR 2006, 413). Das ist etwa dann der Fall, wenn in sogenannten "Notsituationen" wie etwa Schwangerschaft, Krankheit oder besonders dringender Pflegeverpflichtungen in Deutschland die Einholung des erforderlichen Visums wegen Zeitknappheit nicht möglich war (Nienhaus/Depel/Raif/Renke, Praxishandbuch Zuwanderung und Arbeitsmarkt, 2006, III. Rdnr. 121).
Nur wenn überhaupt ein Ausnahmetatbestand erfüllt ist, hat die Ausländerbehörde hinsichtlich der Gewährung der Ausnahme Ermessen auszuüben. Die ausländerbehördliche Praxis ist dabei tendenziell restriktiv, was die Rechtsprechung billigt. Gegen ein Absehen vom Visumserfordernis sprechen danach Umstände, die darauf schließen lassen, dass der Ausländer mit der Einreise zu einem anderen Aufenthaltszweck "Fakten schaffen" wollte (Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 1. Aufl. 2008, § 4 Rdnr. 120 (S. 132) unter Hinweis auf OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.10.2006, a.a.O., und OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11.07.2007 - 10 ME 130/07 -, ZAR 2007, 366 mit krit. Anm. von Pfersich, ZAR 2007, 368).
Auf dieser Grundlage spricht viel für die Annahme, dass die Entscheidung des Antragsgegners, von der Einhaltung des Visumsverfahrens nicht abzusehen, Bestand haben wird. Denn der Antragsgegner hat dabei nicht allein auf die Einreise aus Indien am 09.04.2008, sondern tragend auf die Ausreise nach Dänemark zum Zwecke der Eheschließung, der dortigen Eheschließung und der anschließenden zweiten Einreise nach Deutschland am oder kurz nach dem 21.05.2008 und damit auf das Schaffen von den Fakten abgestellt, auf die sie sich nunmehr beruft, um nicht auf das Visumsverfahren verwiesen werden zu können. Ohne diesen Auslandsaufenthalt hätten nämlich - im Falle der Eheschließung in Deutschland - die Voraussetzungen des § 39 Nr. 3 AufenthV vorgelegen.
Dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative AufenthG vorliegen und es der Antragstellerin auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen, macht sie substantiiert nicht geltend. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass eine zeitweilige Trennung von Eheleuten auch vor dem Hintergrund von Art. 6 GG grundsätzlich hinnehmbar ist (GK-AufenthG, § 5 Rdnr. 173 unter Hinweis u.a. auf BVerwG, Beschluss vom 19.03.1990 - 1 B 32.90 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 07.11.1984 - 2 BvR 1299/84 -, NVwZ 1985, 260); das gilt auch im Falle des Vorhandenseins gemeinsamer Kinder. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Ergebnis und Folgen der Entscheidung vom Normalfall der vorübergehenden Trennung abweichen, wie etwa wenn einer der Angehörigen aufgrund individueller Besonderheiten wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit mehr als im Regelfall auf persönlichen Beistand angewiesen ist oder wenn die Betreuung von Kindern im Fall der Ausreise nicht gesichert wäre (GK-AufenthG, § 5 Rdnr. 174 mit Nachweisen). Ein solcher Fall ist hier aber soweit ersichtlich nicht gegeben.
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