VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 30.10.2008 - 5 L 633/08 - asyl.net: M14471
https://www.asyl.net/rsdb/M14471
Leitsatz:

1. Das Fehlen einer nach § 28 VwVfG vorgeschriebenen Anhörung ist bei einer zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen für eine Verhältnismäßigkeitsentscheidung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK nicht vorliegen.

2. Die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG bei rechtzeitiger Stellung eines Verlängerungsantrags erfüllt nicht die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthaltes i.S. des § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, Anhörung, Verfahrensrecht, Entscheidungserheblichkeit, Ermessen, Privatleben, EMRK, Integration, Aufenthaltsdauer, Fortgeltungsfiktion, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwVfG § 28; VwVfG § 46; AufenthG § 53 Nr. 1; EMRK Art. 8; AufenthG § 81 Abs. 4
Auszüge:

1. Das Fehlen einer nach § 28 VwVfG vorgeschriebenen Anhörung ist bei einer zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen für eine Verhältnismäßigkeitsentscheidung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK nicht vorliegen.

2. Die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG bei rechtzeitiger Stellung eines Verlängerungsantrags erfüllt nicht die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthaltes i.S. des § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

(Amtliche Leitsätze)

 

[...]

In der Sache hat der Antrag keinen Erfolg.

[...]

Nach Prüfung der vorgelegten Verwaltungsunterlagen und unter Berücksichtigung des Vortrages des Antragstellers im vorliegenden Verfahren geht die Kammer davon aus, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 02.05.2008 offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

Der Bescheid vom 02.05.2008 ist zunächst ist nicht deshalb formell rechtswidrig, weil ihm keine ordnungsgemäße Anhörung nach § 28 SVwVfG vorangegangen ist. [...]

Zwar liegt keine Sachlage vor, aufgrund der der Antragsgegner berechtigt gewesen wäre, von einer Anhörung abzusehen, da keiner der in § 28 Abs. 2 und 3 SVwVfG geregelten Tatbestände einschlägig ist. Jedoch entfällt das Recht des Antragstellers, die Aufhebung des unter Verletzung einer Verfahrensvorschrift zustande gekommenen Bescheids beanspruchen zu können nach § 46 SVwVfG. Denn es ist offensichtlich, dass der Anhörungsfehler die Entscheidung der Behörde nicht beeinflusst hat. Bei einem Verstoß gegen die Anhörungspflicht handelt es sich um einen relativen Verfahrensfehler, der nur dann zur Aufhebung des Verwaltungsakts führen kann, wenn er sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 28 Rdnr. 78). Dies ist hier nicht der Fall. Der Antragsgegner musste im vorliegenden Fall wie geschehen entscheiden, da es sich um eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG handelt.

Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG. [...] Wie sich bereits aus der Überschrift der Vorschrift ergibt, ist in einem solchen Fall zwingend eine Ausweisung auszusprechen. Ein Ermessen der Behörde besteht nicht. Eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn die Voraussetzungen des § 56 AufenthG vorliegen, der Ausländer also über einen besonderen Ausweisungsschutz verfügt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind jedoch im Fall des Antragstellers nicht gegeben. Insbesondere genießt der Antragsteller keinen besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, da er sich zum Zeitpunkt der Ausweisung nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Insbesondere war er nicht wegen des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, da die Wirkung und Reichweite der Fiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG dies nicht mit umfassen.

[...]

Daher bestand für den Antragsgegner kein Ermessen beim Ausspruch der Ausweisung. Es lagen auch nicht die Voraussetzungen für eine Verhältnismäßigkeitsentscheidung vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443 = AuAS 2008, 2 = EzAR-NF 42 Nr. 6) ist auch bei zwingenden Ausweisungen nach § 53 AufenthG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der Vorgaben der Art. 8 EMRK sowie Art. 6 GG durchzuführen. Vorliegend liegen die Voraussetzungen für eine Verhältnismäßigkeitsentscheidung zugunsten des Antragstellers jedoch nicht vor.

Die vom Antragsteller vorgetragene lange Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet allein kann nicht zu einer Begünstigung führen.

Gemäß der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (vgl. Beschlüsse vom 30.04.2008 - 2 B 214/08 - zit. nach juris und vom 08.08.2008 - 2 B 265/08 -) kommt auch ein Anspruch eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter "faktischer Inländer" nur in Betracht, wenn von einer abgeschlossenen "gelungenen" Integration eines Ausländers in die Lebensverhältnisse in Deutschland ausgegangen werden kann, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist. Eine Aufenthaltsbeendigung kann nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das "Privatleben" im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so "starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte" zum "Aufnahmestaat" verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung "faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

Dies ist jedoch beim Antragsteller nicht der Fall, da er weder wirtschaftlich noch sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. So befindet sich der Antragsteller seit Januar 2006 in Haft. Zuvor bezog der Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II. [...]

Er ist ledig und volljährig, hat keine Kinder und es sind auch keine Umstände ersichtlich, die einen besonders engen Kontakt zu seiner Familie erforderlich machen würden.

Daher liegen die Voraussetzungen für eine Verhältnismäßigkeitsentscheidung im Rahmen der zwingenden Ausweisungen nach § 53 AufenthG nicht vor.

[...]