VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.11.2008 - 6 B 58/08 - asyl.net: M14483
https://www.asyl.net/rsdb/M14483
Leitsatz:

Kein Folgenbeseitigungsanspruch auf Rückübernahme eines im Rahmen der Dublin II-Verordnung überstellten Asylantragstellers, wenn die Abschiebungsanordnung weder nichtig noch aufgehoben war; keine generelle Unzulässigkeit der Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Abschiebungsanordnung, Abschiebung, Griechenland, Folgenbeseitigungsanspruch, vorläufiger Rechtssschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Drittstaatenregelung, Verordnung Dublin II
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 2; AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

Kein Folgenbeseitigungsanspruch auf Rückübernahme eines im Rahmen der Dublin II-Verordnung überstellten Asylantragstellers, wenn die Abschiebungsanordnung weder nichtig noch aufgehoben war; keine generelle Unzulässigkeit der Dublin-Überstellung nach Griechenland.

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

Der Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 122 VwGO zu verpflichten, die Rückübernahme des Antragstellers bei den griechischen Behörden zu beantragen, hat keinen Erfolg. Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit, und ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Anspruch auf die begehrte Maßnahme.

Vorliegend ist ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für das Begehren des Antragstellers. Auch unter dem Gesichtspunkt des Folgenbeseitigungsanspruches gibt es keinen Anspruch des Antragstellers darauf, dass die Antragsgegnerin sich um eine Rückübernahme bei den griechischen Behörden bemüht. Grundlage der Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland ist der Bescheid vom 3. April 2008. In Betracht kommt deshalb nur ein sogenannter Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruch, weil es sich um einen sofort vollzogenen, aber eventuell rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt. Der Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruch setzt allerdings voraus, dass der zu Grunde liegende Verwaltungsakt auch aufgehoben worden ist oder von vornherein nichtig war (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. § § 30 Rn. 10). Daran scheitert es hier. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides bildete der Verwaltungsakt die Rechtsgrundlage für die Abschiebung und schließt deshalb die Annahme eines Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruches aus. Daran würde auch die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Bescheides nichts ändern. Maßgeblich ist allein, dass der Bescheid die Grundlage für die Abschiebung bildete. In Bezug auf einen erledigten Verwaltungsakt kommt ein Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruch nicht in Betracht (vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 13. Auflage, § 113, Rn 85).

Im Übrigen kann die etwaige Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 03. April 2008 in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren auch nicht festgestellt werden. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass ein Asylbewerber, der über einen sogenannten sicheren Drittstaat eingereist ist, in diesen zurückgewiesen oder zurückverbracht wird. Aus dem mit Art. 16 a Abs. 2 GG verfolgten Konzept normativer Vergewisserung folgt, dass Griechenland kraft Verfassungsrecht als Schutz gewährend anzusehen ist. Diese normative Vergewisserung des Verfassungsgebers bezieht sich darauf, dass Griechenland einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Art. 16 a Abs. 2 GG sieht nicht vor, dass dies im Einzelfall überprüft werden kann. Folgerichtig räumt Satz 3 des Art. 16 a Abs. 2 GG den Behörden die Möglichkeit ein, den Flüchtling in den Drittstaat zurückzuschieben, ohne dass die Gerichte dies im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verhindern dürfen. Nur wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, die nach ihrer Eigenart nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können, hat die Bundesrepublik Deutschland Schutz zu gewähren. An die Darlegung dieser im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. insgesamt Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996, AZ.: 2 BvR 1938, 2315/93, BVerfGE 94, 49, 97 ff.).

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend eine solche Ausnahmesituation vorliegt. Insoweit wird auf die ausführlichen Darlegungen durch die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2008 in diesem Eilverfahren Bezug genommen. Dort heißt es, dass nicht generell von einer Verweigerung von Schutz durch den griechischen Staat ausgegangen werden kann. Vielmehr sei dies eine Frage des Einzelfalles, so dass für besonders schutzbedürftige Personen (Flüchtlinge hohen Alters, minderjährige Flüchtlinge, Flüchtlinge, bei denen eine Schwangerschaft, ernsthafte Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder besondere Hilfsbedürftigkeit vorliegt) von einer Überstellung nach Griechenland abgesehen wird. Im Übrigen weist die Beklagte auch darauf hin, dass der UNHCR in seinem Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland vom 15. April 2008 festgestellt hat, dass in den letzten Monaten Verbesserungen im griechischen Asylsystem erfolgt sind. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, hängt deshalb entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab. Der Antragsteller hat dazu aber nichts vorgetragen. Es gibt deshalb keine Hinweise darauf, dass der Antragsteller ohne jede Prüfung seines Schutzgesuches von Griechenland in seinen Heimatstaat zurückgeschoben wird. Daraus folgt, dass die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 03. April 2008 nicht ohne Weiteres festgestellt werden kann. [...]