Kein Stopp einer Dublin-Überstellung nach Griechenland.
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Der sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 22. August 2008 anzuordnen, hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig nicht durchgeführt werden darf, hat sowohl im Hauptantrag als auch im Hilfsantrag keinen Erfolg; der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls abzuweisen.
1. Für den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Ausweislich des Verwaltungsvorganges ist in dem von der Antragsgegnerin eingeleiteten Rückübernahmeverfahren unter dem 22. September 2008 eine Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG gefertigt worden, sodass die Abschiebung des Antragstellers unmittelbar droht, für deren Vollzug bereits ein konkreter Abschiebetermin festgesetzt worden ist. Auch wenn es sich hierbei nur um einen Bescheidentwurf handeln dürfte, da die Zustellung an den Antragsteller ausweislich des Verwaltungsvorgangs möglichst erst am Überstellungstag vorzunehmen ist, muss dem Antragsteller die Antragstellung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bereits zum jetzigen Zeitpunkt möglich sein.
Dabei kann offen bleiben, ob der vorläufige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO oder nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren wäre. Denn nach § 34a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Im vorliegenden Fall soll die Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland erfolgen. Zweifel an der Zuständigkeit Griechenland für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein in der Bundesrepublik Deutschland gestellter Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat am 25. April 2008 ein Wiederaufnahmeersuchen an Griechenland gerichtet, weil der Antragsteller erstmalig am 4. Dezember 2007 in Griechenland Asyl beantragt hatte und in der Folgezeit in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Da auf das Wiederaufnahmeersuchen innerhalb der Frist des Art. 20 Abs. 1 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der zur Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II VO) keine Antwort erfolgte, gilt das Ersuchen als angenommen. Daher ist der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag des Antragstellers vom 21. April 2008 gemäß § 27a AsylVfG unzulässig.
In verfassungskonformer Auslegung der Bestimmung des § 34a Abs. 2 AsylVfG kommt ausnahmsweise die vorläufige Untersagung der Abschiebung in Betracht, wenn der Ausländer Einwendungen zu einer individuellen Gefährdung im Drittstaat geltend macht, wobei an die Darlegung solcher Sonderfälle strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938, 2513/93 – BverfGE 94, 49, 84 ff.).
Einer der Ausnahmefälle, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus Gründen verfassungskonformer Auslegung der Drittstaatenregelung und der flankierenden Regelung in § 34a Abs. 2 AsylVfG anerkannt sind, liegt bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Falle des Antragstellers nicht vor.
Über das gesetzliche Verbot in § 34a Abs. 2 AsylVfG dürfen sich die Verwaltungsgerichte nur dann hinwegsetzen, wenn dem Ausländer im Zielstaat die Todesstrafe droht, wenn für ihn die konkrete Gefahr besteht, dort im unmittelbaren Zusammenhang mit der Rückverbringung Opfer eines Verbrechens zu werden, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaates steht, wenn sich die für die Qualifizierung als "sicher" maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben, wenn der Drittstaat voraussichtlich selber gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greifen wird oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird.
Da es sich bei den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, zu denen Griechenland gehört, um sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist schon aufgrund des diesen Vorschriften zugrundeliegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Genauso beruht die Dublin II VO auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedsstaaten gesichert ist (vgl. VG München, Urteil vom 30. Mai 2008 - M 16 K 07.51049 - juris; VG Saarland, Beschluss vom 23. Juli 2008 - 2 L 446/08 -; VG Regensburg, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - RO 8 E 08.30132 -).
Zwar mag ein zur Unanwendbarkeit des § 34a Abs. 2 AsylVfG führender Ausnahmefall auch dann vorliegen, wenn ein europäischer Drittstaat in feststellbarer Weise insbesondere weder die Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 einhält noch den Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten gemäß der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 Rechnung trägt (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 25. April 2008 - 2 L 201/08.GI.A - sowie VG Oldenburg, Beschluss vom 23. Juli 2008 - 7 B 2119/08 -, VG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Juni 2008 - 3 K 1412/08 -, VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16. Juni 2008 - 6 B 18/08 - und VG Weimar, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 5 E 20094/08 We -).
Diesen vom Antragsteller zitierten gerichtlichen Entscheidungen liegt jeweils die Erwägung zu Grunde, dass auch bei einer Überstellung im Dublin-Verfahren von der Bundesrepublik Deutschland aus nach Griechenland den Asylsuchenden Rechtsverletzungen hinsichtlich der Aufnahme bzw. Registrierung des Asylantrages, der Erteilung von Informationen zum Verfahren, der Hinzuziehung eines Dolmetschers bzw. Rechtsbeistandes, der Unterbringung sowie der medizinischen und sozialen Versorgung drohen. Dem UNHCR-Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland nach der "Dublin-II-Verordnung" vom 15. April 2008 und anderen Unterlagen z.B. von Pro Asyl kann entnommen werden, dass eine beträchtliche Anzahl von Asylsuchenden in Griechenland seit längerer Zeit Schwierigkeiten bei einem Zugang zu effektivem Schutz unter Beachtung internationaler Standards hat. Gleichzeitig ergibt sich jedoch daraus aus, dass Griechenland um eine Verbesserung bemüht ist, auch wenn der UNHCR als Fazit des Berichts die Mitgliedsstaaten der Dublin II VO auffordert, angesichts der dortigen Situation keine Überstellungen nach Griechenland durchzuführen. Auf solche Verbesserungen verweist auch der Bundesinnenminister in dem vom Antragsteller überreichten Schreiben an den Innenminister von Schleswig-Holstein vom 9. Juni 2008. Darin heißt es, dass die sogenannte Abbruchpraxis nach Mitteilung der griechischen Regierung nicht mehr praktiziert werde. Die kritisierte Vorgehensweise griechischer Behörden in der Ägais und auf griechischen Inseln betreffe nicht Asylbewerber, die aus Deutschland zurückkehrten. Außerdem sei die EG-Richtlinie zur den Aufnahmebedingungen durch Präsidialerlass umgesetzt und ein weiterer Erlass zur Umsetzung der Verfahrensrichtlinie geplant. Auch der griechische Innenminister habe bei seiner Stellungnahme zur Dublin-Problematik beim Rat der Innen- und Justizminister der Europäischen Union am 18. April 2008 bekräftigt, dass Verbesserungen im griechischen Asylsystem erfolgt seien und habe weitere Verbesserungen angekündigt. Der Bundesinnenminister räumt jedoch ein, dass es in Einzelfällen zu "persönlichen Härten und erheblichen Schwierigkeiten" kommen könne. Dem trage die Antragsgegnerin dadurch Rechnung, dass im Zweifel bei besonders schutzwürdigen Personen von einer Überstellung nach Griechenland abgesehen werde.
Nach dem vom Antragsteller vorgelegten Schreiben des Europareferenten von Pro Asyl an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vom 9. Oktober 2008 hat Griechenland inzwischen die sogenannte Asylverfahrensrichtlinie durch Präsidialerlass vom 11. Juli 2008 und die Qualifikationsrichtlinie am 30. Juli 2008 in nationalstaatliches Recht umgesetzt. Welche konkreten nachprüfbaren Auswirkungen die geschilderte Praxis der Zugangsverweigerung für einzelne Asylbewerber in der zentralen Ausländerbehörde in Athen auf diejenigen Asylsuchende habe, die - wie der Antragsteller - im Rahmen der Dublin II VO nach Griechenland überstellt werden und denen eine sogenannte Pink Card am Flughafen ausgehändigt werde, bliebe einer Recherche vorbehalten, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen, da diese noch nicht abgeschlossen ist.
Bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung ist daher zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu besorgen, dass gerade der Antragsteller bei Rücküberstellung beginnend am Flughafen Athen keinen den EU-Richtlinien entsprechenden Zugang zu einem Asylverfahren erhalten wird und ihm ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren droht. Zwar mag es im Hinblick auf die in den vom Antragsteller in Bezug genommenen Unterlagen beschriebenen Zustände wegen der Schwierigkeiten Griechenlands bei der Bereitstellung ausreichender (personeller und sächlicher) Kapazitäten auch im Asylverfahren des Antragstellers zu Verzögerungen der Sachbearbeitung bzw. auch sonstigen Erschwernissen bei der Bearbeitung seines Asylverfahrens kommen. Dass dem Antragsteller jedoch irreversible Nachteile drohen – etwa in dem Sinne, dass er dauerhaft kein Asylbegehren stellen könnte, bzw. sein Asylbegehren ohne inhaltliche Prüfung und ohne ihm die Möglichkeit einzuräumen, einen Rechtsbehelf einzulegen, abgelehnt wird – ist bei der gebotenen Anlegung eines strengen Maßstabes nicht ersichtlich. Aus seinem eigenen Vortrag ergibt sich, dass die griechischen Behörden sich nach seiner illegalen Einreise nach Griechenland, die im November 2007 erfolgt sein soll, um ihn gekümmert haben. [...]
Im Übrigen ist die Annahme des Antragstellers unzutreffend, dass ihm auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Yeziden in der Bundesrepublik Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt würde, während sein Asylantrag in Griechenland nach seinen Angaben abgelehnt worden sei. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bedürfte einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall und ist u.a. von der örtlichen Herkunft des Asylbewerbers abhängig (vgl. Urteil des VG Düsseldorf vom 23. Juli 2008 - 16 K 4218/08.A -).
Zudem bietet eine etwaige gegenüber Griechenland bestehende günstigere Entscheidungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland keinen Anlass, von einer Überstellung abzusehen, zumal eine materielle Prüfung des Asylbegehrens im Rahmen des § 27a AsylVfG bei einer Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gerade nicht erfolgt.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO. Es kann offen bleiben, ob ein solcher Anspruch bereits deshalb nicht besteht, weil die Selbsteintrittskompetenz eines EU-Mitgliedsstaates nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO schon kein subjektives Recht des Asylbewerbers begründet, da die Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin II VO allein der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den EU-Mitgliedsstaaten dienen oder ob sich der Antragsteller, wie er ausführt, wegen Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag zumindest auf einzelne Bestimmungen der Verordnung direkt berufen kann. Denn der Antragsteller hat keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts glaubhaft gemacht. Ein Selbsteintrittrecht käme nämlich nur dann in Betracht, wenn außergewöhnliche humanitäre Gründe, die an die besonderen persönlichen Verhältnisse des einzelnen Asylbewerbers anknüpfen, vorliegen würden. Diese hat der Antragsteller nicht substantiiert dargetan. Lediglich die Gesamtsituation der Asylbewerber in Griechenland betreffende Umstände reichen hingegen nicht aus. Würden diese bereits zu einem Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts führen, hätte dies eine Umgehung der Vorgaben des Verordnungsgebers zur Konsequenz, da dann stets das Selbsteintrittsrecht bei Abschiebungen nach Griechenland ausgeübt werden müsste (vgl. auch VG München, Urteil vom 30. Mai 2008 - M 16 K 07.51049 - juris; VG Regensburg, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – RO 8 E 08.30132 -). [...]