Kein vorläufiger Stopp der Überstellung nach Griechenland wegen der Mängel des dortigen Asylsystems oder bei Zusicherung des griechischen Innenministeriums, dass die Möglichkeit eines Asylgesuchs bestehe; keine Gruppenverfolgung von irakischen Yesiden aus dem Sheikhan.
[...]
Der Hauptantrag ist unzulässig.
Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor Aushändigung und damit Wirksamkeit des Bescheides vom 20. August 2008 ist kein Raum.
Der Hilfsantrag ist unbegründet.
Der Antragsteller hat unabhängig von der Frage der Zuständigkeit der Antragsgegnerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, der einer Abschiebung nach Griechenland entgegenstehen könnte.
Sein Asylantrag ist gem. § 27a AsylVfG unzulässig, weil Griechenland gemäß Art. 10 Abs. 1 der VO EG Nr. 343/2003 (Dublin II) für das Gesuch zuständig ist. Denn der Antragsteller hat aus einem Drittstaat kommend illegal die Dublin-Außengrenze nach Griechenland überschritten. Soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nach § 27a AsylVfG abgeschoben werden, darf die Abschiebung nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden, vgl. § 34a Abs. 2 AsylVfG. Diese Regelung bindet das Gericht nur in bestimmten engen Grenzen nicht, nämlich dann, wenn Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzeptes der sogenannten "normativen Vergewisserung" von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können (vgl. BVerfG NVwZ 1996, 700, 705). So kann etwa das Drohen der Todesstrafe, die Gefahr, Opfer eines Verbrechens zu werden, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaates steht, oder die Gefahr, dass dieser einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuches entledigen wird, einen individuellen Fall begründen, der im normativen Vergewisserungskonzept des Verfassungs- und Gesetzgebers nicht erfasst ist. Solche individuellen Umstände trägt der Antragssteller nicht vor. Er verweist vielmehr auf die allgemeine Situation im zuständigen EU-Staat Griechenland, in dem ihm angeblich erhebliche Rechtsverletzungen drohen. So seien die zuständigen Behörden mit der Situation seit Jahren überfordert, sodass keine den Mindestanforderungen genügenden Aufnahme- und Verfahrensbedingungen zur Prüfung der Asylanträge gewährt würden. Auch sei es zu schweren Misshandlungen von Flüchtlingen durch die griechische Küstenwache sowie zu Inhaftierungen auch Minderjähriger gekommen. Solche allgemeinen Bedingungen entziehen sich dagegen gerade nicht auf Grund ihrer Eigenart einer Bewertung im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung durch den Gesetz- oder - wie hier - durch den Verfassungsgeber. Allgemeine Umstände im zuständigen Drittstaat können allenfalls dann zu einer Durchbrechung der Sperrwirkung des Gesetzes angeführt werden, wenn sich die als sicher beurteilten maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht (vgl. BVerfG a.a.O.). So liegt es aber hier nicht. Der Antragsteller macht vielmehr geltend, UNHCR und Flüchtlingshilfeorganisationen sowie die Anwaltskammer erhöben bereits seit mehr als einem Jahr Vorwürfe gegen die Zustände in Griechenland.
Ungeachtet dessen ist hier zu berücksichtigen, dass das griechische Innenministerium mit Schreiben vom 16. Mai 2008 ausdrücklich erklärt hat, dass der Antragsteller in der Lage sein wird, ein Asylgesuch bei Ankunft in Griechenland zu stellen, wenn er dies wolle (vgl. Bl. 117 der Verwaltungsvorgänge).
Kommt nach alledem eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht in Betracht, kann ein Anordnungsanspruch auch nicht mit der Erwägung begründet werden, er, der Antragsteller würde in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt werden, eine Chance hierzu bestehe in Griechenland nicht. Auf Grund der gegenüber dem Bundesamt gemachten Angaben kann eine Anerkennung als Asylberechtigter nicht erfolgen. Der Antragsteller hat keine ihm individuell drohenden Übergriffe geltend gemacht, sondern sich allein auf seine Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Yeziden berufen.
Der Antragsteller ist nicht schon als Mitglied der Gruppe der Yeziden von einer Gruppenverfolgung im Irak bedroht. [...]
Die Zahl der Yeziden im Irak wird zwischen 200.000 und 600.000 geschätzt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Oktober 2008 unter II. 2.2.2. (5)). Die Mehrzahl siedelt im nördlichen Irak, vor allem im Gebiet um die Stadt Sindschar sowie in Sheikhan. Yeziden sind wie alle Bewohner des Irak von der allgemeinen problematischen Sicherheitslage mit Entführungen, Plünderungen, Zerstörungen, Sprengstoff- und Bombenangriffen betroffen. Indessen ist zusätzlich zu beachten, dass sie wie auch andere religiöse Minderheiten seit dem Sturz des Saddam-Regimes gezielten Übergriffen von radikalen Islamisten ausgesetzt sind. [...]
Aus den dem Gericht vorliegenden Auskünften des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (a.a.O.), der Gesellschaft für bedrohte Völker (vgl. insbesondere Memorandum vom November 2007), des GIGA/Institut für Nahost-Studien (insbesondere Auskunft vom 7. September 2007) und des UNHCR (insbesondere Auskunft vom 28. Juli 2007) ergibt sich indessen, dass die Gefährdung der Yeziden nicht einheitlich für den gesamten Irak und auch nicht einheitlich für die Gebiete zu beurteilen ist, die formal dem Zentralirak zuzuordnen sind. Der nördliche Teil des Sheikhan-Gebietes (Distrikt Shekhan) gehört bereits de jure zu den kurdisch verwalteten nördlichen Provinzen (vgl. EZKS a.a.O., Bl. 1 ff.). In diesen Provinzen, so teilt der UNHCR mit seiner Auskunft vom 28. Juli 2007 mit, seien Yeziden in jüngster Zeit kaum von Übergriffen betroffen gewesen, zumindest sei in diesen Fällen in der Regel Schutz durch kurdische Behörden gewährleistet gewesen.
Dagegen wird in mehreren Auskünften betont, dass die Gefährdung in der Stadt Mosul besonders hoch sei (EKZS, a.a.O., Bl. 19, und Deutsches Orientinstitut, Auskünfte vom 14. Februar 2005 und 12. September 2005 an die Verwaltungsgerichte Köln und Osnabrück).
Der Antragsteller hat zwar angegeben, er habe für kurdische Peshmerga-Einheiten in Mosul gearbeitet. Er führt jedoch weiter aus, er habe diese Tätigkeit kurz vor seiner Ausreise aufgegeben, weil es ihm zu gefährlich gewesen sei, nach Mosul zu gehen. Er gibt an, er stamme aus dem Dorf N in der Gemeinde Sheikhan.
Das Sheikhan-Gebiet südlich des de jure zum Nordirak zählenden Bereichs (also der Distrikt Al-Shikhan), zu dem auch die Gemeinde Sheikhan gehört, gehört zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten". Hierbei gehen die dem Gericht vorliegenden Auskünfte zum Teil davon aus, dass es sich um de facto kurdisch verwaltete Gebiete handle (UNHCR, Auskunft vom 8. Juli 2007, Bl. 9, GIGA, Auskunft vom 7. September 2007, Bl. 5). Zum Teil wird diese Beurteilung allerdings abgelehnt. Es könne allenfalls von "umstrittenen Gebieten unter kurdischem Einfluss" gesprochen werden (vgl. EZKS vom 26. Mai 2008, Bl. 11 ff.). Einig sind sich die Auskünfte jedoch darin, dass die Sicherheitslage für Yeziden im Sheikhan-Gebiet signifikant besser ist als im übrigen Gebiet des Zentralirak, auch als in sonstigen yezidischen Siedlungsgebieten wie dem Sindschar-Gebiet. Das Institut für Nahost-Studien (Auskunft vom 7. September 2007) führt aus, dass für Christen und Yeziden hinsichtlich der Sicherheit vor Übergriffen durch die muslimische Bevölkerung und hinsichtlich sonstiger Gefährdungen keine relevanten Unterschiede zwischen den Gebieten bestehe, die formell an die autonome kurdische Religion angeschlossen seien und den de facto unter kurdischer Herrschaft stehenden Gebieten. Im Sheikhan-Bezirk gebe es Yeziden, die dort völlig unangefochten lebten und keine Befürchtungen wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit haben müssten (Auskunft des Orient-Instituts vom 12. September 2005 an das Verwaltungsgericht Osnabrück). Auch soweit diese Einschätzung nicht geteilt, sondern ausgeführt wird, die Situation sei nicht vergleichbar mit derjenigen in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten, die Situation der Minderheiten sei prekärer einzuschätzen als dort, wird ausgeführt, dass der Teil des Sheikhan-Gebietes, der faktisch unter kurdischem Einfluss stehe, deutlich sicherer sei als viele andere Gebiete des Irak (vgl. EZKS vom 26. Mai 2008, Bl. 17). Er gehöre zu den "eher sicheren umstrittenen Gebieten unter kurdischem Einfluss" (vgl. a.a.O., Bl. 13). Dies hänge mit seiner direkten Anbindung an die de jure kurdisch verwaltete Region zusammen (a.a.O., Bl. 13).
Im Unterschied hierzu wird die Lage in Sindschar durch das EZKS als außerordentlich prekär eingeschätzt. Hier war es im August 2007 zu den Angriffen gekommen, bei denen mehrere hundert Yeziden starben (a.a.O., Bl. 19). Gerade im Hinblick auf diesen Angriff teilt wiederum die Gesellschaft für bedrohte Völker mit (Memorandum vom November 2007, Bl. 9), es habe die erwartete Fluchtwelle von Yeziden aus dem Gebiet gleichwohl nicht gegeben, u.a. deshalb, weil die Regierung der kurdisch verwalteten Gebiete seit dem 14. August 2007 etwa 400 zusätzliche Polizeikräfte eingesetzt habe, um die yezidische Bevölkerung zu schützen und logistische Hilfe zu leisten. Hinsichtlich der Region Sheikhan wird ausgeführt, es sei von großer Bedeutung, "dass der Terror nicht auf die Region übergreift". Auch aus dieser Stellungnahme wird somit deutlich, dass trotz der auch im nördlichen Irak für Yeziden bestehenden Gefahren zu differenzieren ist. Es kann dagegen nicht festgestellt werden, dass ungeachtet der Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen für alle Angehörigen der Glaubensgemeinschaft, die vielfach die Mehrheit der Dorfbevölkerung darstellen, eine verdichtete Gefährdungslage im Sinne der zitierten Rechtsprechung besteht, bei der jeder Angehörige der Gruppe allein aufgrund seiner Religionszugehörigkeit jederzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen muss.
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