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OLG Oldenburg

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Zitieren als:
OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.12.2008 - 13 W 30/08 - asyl.net: M14490
https://www.asyl.net/rsdb/M14490
Leitsatz:

Die Verhängung der Sicherhungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG setzt die Ausübung richterlichen Ermessens voraus; § 5 Abs. 1 FreihEntzG verlangt die Ladung des Verfahrensbevollmächtigten zur Anhörung; es besteht begründeter Anlass zur Beantragung von Sicherungshaft, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorliegen, so dass der Ausländerbehörde nicht die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen sind.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Ermessen, Amtsgericht, Landgericht, Anhörung, Sachaufklärungspflicht, Entziehungsabsicht, Verfahrensfehler, Prozessbevollmächtigte, Ladung, Heilung, Kosten, außergerichtliche Kosten, begründeter Anlass zur Antragstellung
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 2; FreihEntzG § 5 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; FreihEntzG § 16; FGG § 13a Abs. 1
Auszüge:

Die Verhängung der Sicherhungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG setzt die Ausübung richterlichen Ermessens voraus; § 5 Abs. 1 FreihEntzG verlangt die Ladung des Verfahrensbevollmächtigten zur Anhörung; es besteht begründeter Anlass zur Beantragung von Sicherungshaft, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorliegen, so dass der Ausländerbehörde nicht die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen sind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die weitere Beschwerde ist gem. §§ 6, 7 FEG, §§ 27, 29 FGG zulässig.

1. Sie ist bezüglich der Haftanordnung vom 29.05.2008 auch in der Sache begründet und führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit derselben.

a) Zutreffend haben die Vorinstanzen angenommen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorlagen. [...]

Über diese Tatbestandsvoraussetzungen hinaus ist Anordnung der Haft in § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG durch das Wort "kann" in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Im Rahmen dieser Ermessensausübung sind unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots das Grundrecht auf die persönliche Freiheit des Betroffenen gegen das Allgemeininteresse, eine zügige Durchführung der vollziehbaren Abschiebung des Betroffenen zu sichern, abzuwägen (OLG Hamm Beschluss vom 06.11.2006 InfAuslR 2007, S. 159 ; FGPrax 2004, 53 = NVwZ-RR 2004, 303; Hofmann-Keßler, Ausländerrecht, 1. Aufl. 2008, § 62 Rn 30 mwN).

Welche Erwägungen für diese Ermessensentscheidung maßgebend sein können, kann nicht allgemein, sondern nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles bestimmt werden. Der Bedeutung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit entsprechend kann eine Haftanordnung jedoch nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn die gesamten Umstände auf eine zumindest gewisse Wahrscheinlichkeit schließen lassen, dass der Betroffene ohne Inhaftierung die Abschiebung wesentlich erschweren oder vereiteln werde (Senatsbeschluss vom 10.4.2006, 13 W 63 u. 82/05; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.12.2006, 13 W 63/05, I-3 Wx 244/06, 3 Wx 244/06; Hofmann-Keßler, aaO ; aA OLG Hamm, Beschluss vom 06.11.2006, 15 W 299/06). Der Ermessensausübung sind insoweit Grenzen gesetzt.

Ob der Tatrichter - gemessen an den vorstehenden Maßstäben - sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, unterliegt zwar nur einer eingeschränkten Überprüfung durch den Senat als Rechtsbeschwerdegericht. Ein zu berücksichtigender Rechtsfehler ist indessen dann anzunehmen, wenn der Tatrichter sein Ermessen nicht ausgeübt hat oder von unzureichenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen worden ist bzw. wesentliche Umstände unerörtert geblieben sind (vgl. OLG Hamm aaO; OLG Köln, Beschluss vom 27.06.2006, 16 Wx 151/06; Keidel/Meyer-Holz, FGG 15. Auflage, § 27 Rdn. 23).

Nach den vorstehenden Grundsätzen sind sowohl die Haftanordnung des Amtsgerichts, als auch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts ermessensfehlerhaft ergangen.

Die Entscheidung des Amtsgerichts ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie nicht erkennen lässt, dass überhaupt von dem im Rahmen des § 62 Abs. 2 S.2 AufenthG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht wurde. So wird in der Begründung ausgeführt, dass die Betroffene in Sicherungshaft zu nehmen sei, weil die Ausreisefrist abgelaufen sei und feststehe, dass die Abschiebung innerhalb von zwei Wochen durchgeführt werden könne. Im Folgenden erfolgt lediglich eine Subsumtion des Sachverhaltes unter die vorgenannten tatbestandlichen Voraussetzungen. [...] Da weitergehende Ausführungen zum Ermessensgebrauch in Bezug auf die Inhaftierung fehlen, ist davon auszugehen, dass der entscheidende Richter von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist (Ermessensausfall).

Dieser Ermessensausfall wurde in der Beschwerdeinstanz nicht geheilt. Zwar enthält die Entscheidung des Landgerichts Ausführungen zum Ermessensgebrauch. Dieser erfolgte jedoch aufgrund unzureichender Tatsachenfeststellung und damit nach den vorstehenden Grundsätzen ebenfalls fehlerhaft. Das Landgericht, das die Betroffene nicht noch einmal persönlich angehört hat, begründet die Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung damit, dass die Betroffene im Rahmen ihrer Anhörung durch den Haftrichter geäußert habe, sie habe im Kosovo Niemanden, weshalb sie gerne hier blieben wolle, und sie darüber hinaus den Termin zur amtsärztlichen Untersuchung vom 22.05.2008 unentschuldigt nicht wahrgenommen habe. Von einem unentschuldigten Fernbleiben konnte das Landgericht jedoch nach Aktenlage nicht ausgehen. Das Anhörungsprotokoll vom 29.05.2008 enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Umstand mit der Betroffenen besprochen worden ist. Da auch die Begründung der Haftanordnung des Amtsgerichts die Nichtwahrnehmung des Termins nicht thematisiert, hatte die Betroffene in der Beschwerdeinstanz keine Gelegenheit, sich hierzu zu äußern und ggf. Entschuldigungsgründe vorzubringen. Dass die Betroffene den Untersuchungstermin unentschuldigt nicht wahrgenommen hat, konnte das Landgericht folglich nicht als feststehend der Entscheidung zugrunde legen.

Allein die Äußerungen der Betroffenen im Rahmen der richterlichen Anhörung rechtfertigen eine Haftanordnung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Denn die Verweigerung der Ausreise begründet für sich allein noch nicht den Verdacht, sich einer Abschiebung entziehen zu wollen (Senatsbeschluss vom 10.04.2006 aaO). Gegen eine Entziehungsabsicht spricht im übrigen der Umstand, dass sich die Betroffene stets an die Vorgaben der Ausländerbehörde zum Aufenthaltsort gehalten hat, und zwar auch dann noch, als ihr die Abschiebung in Aussicht gestellt wurde und die Duldungen nur noch kurzfristig verlängert wurden. Dem Umstand, dass sie die Duldungen einige Male erst nach einigen Tagen Verspätung beantragte, kommt vor diesem Hintergrund keine entscheidende Bedeutung zu.

Im Hinblick auf die fehlende bzw. unzureichende Ermessensausübung sind die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Die Anordnung der Abschiebungshaft war bereits deswegen rechtswidrig, ohne dass es darauf ankäme, ob im Ergebnis eine andere Sachentscheidung hätte getroffen werden müssen (BGH NJW 2002, 1801, 1803 a.E.).

b) Die Entscheidungen der Vorinstanzen leiden darüber hinaus an weiteren Verfahrensmängeln.

Das Amtsgericht hat den Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen nicht zur mündlichen Anhörung nach § 5 Abs. 1 FreihEntzG geladen, obwohl das Gericht schon dem Antrag der Ausländerbehörde hätte entnehmen können, dass die Betroffene einen Verfahrensbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragt hatte. Einem Verfahrensbevollmächtigten ist aber grundsätzlich Gelegenheit zu geben, an einer gerichtlichen Anhörung teilzunehmen, da andernfalls der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wird (OLG Schleswig, Beschluss vom 09.03.2007, 2 W 54/07; OLG München, Beschluss vom 03.05.2007, 34 Wx 55/07; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.2007, I-3 Wx 226/07). Dieser Verfahrensfehler wurde hier weder durch die im Rahmen der Anhörung erfolgte telefonische Kontaktaufnahme mit dem Büro des Verfahrensbevollmächtigten geheilt, noch dadurch, dass der Verfahrensbevollmächtigte im schriftlichen Verfahren vor dem Landgericht die Möglichkeit zur Äußerung hatte. Denn das Landgericht war im konkreten Fall gehalten, die Betroffene gem. § 5 FrEntzG erneut anzuhören. Im Beschwerdeverfahren kann von einer erneuten Anhörung zwar dann abgesehen werden, wenn gegenüber der Anhörung durch das Amtsgericht keine neuen Erkenntnisse für die Sachverhaltsaufklärung zu erwarten sind und auch ein persönlicher Eindruck nicht erforderlich ist (OLG Schleswig aaO mwN). Eine solche Ausnahme scheidet indessen aus, wenn - wie vorliegend - erstmals im Beschwerdeverfahren eine Ermessensentscheidung getroffen wird. Denn für die zu treffende Entscheidung ist der Sachverhalt hinsichtlich der ermessensleitenden Umstände umfassend zu klären und die Betroffene hierzu zu hören. Dabei ist dem Verfahrensbevollmächtigten Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Betroffene im Beisein ihres Anwalts Angaben gemacht hätte, die für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung hätten sein können. Dies gilt insbesondere für die nach Auffassung des Landgerichts entscheidende Frage nach den Gründen des Nichterscheinens der Betroffenen beim Gesundheitsamt, zu der diese bisher keine Gelegenheit hatte, sich zu äußern. Insofern beruht die angefochtene Entscheidung auch auf dem Verfahrensfehler. [...]

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 14, 15 FrEntzG.

Die Erstattung außergerichtlicher Kosten war nicht anzuordnen.

Über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten der Betroffenen ist nach § 16 FrEntzG zu entscheiden. Danach hat das Gericht, wenn es den Antrag der Verwaltungsbehörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung ablehnt, zugleich die Auslagen eines Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrages nicht vorlag. Die Vorschrift findet im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung entsprechende Anwendung.

Ob ein begründeter Anlass zur Antragstellung vorgelegen hat, ist dabei nach dem Sachverhalt zu beurteilen, der von der Behörde zur Zeit der Antragstellung unter Ausnutzung aller ihr nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Erkenntnisquellen festgestellt werden konnte; ein schuldhaftes Verhalten von Verwaltungsbediensteten wird nicht vorausgesetzt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06.11.2006, 15 W 299/06 aaO).

Nach diesem Prüfungsmaßstab hat eine Erstattungsanordnung hier zu unterbleiben. Wie festgestellt, lagen zum Zeitpunkt der Antragstellung die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vor. Die Begründung des Antrags lässt mit dem Hinweis, die Betroffene habe den für den 22.05.2008 bestimmten Untersuchungstermin beim Gesundheitsamt unentschuldigt nicht wahrgenommen, ein bei der Ermessensentscheidung verwertbares und auch erhebliches Element erkennen. Die weitere Aufklärung dieses Umstandes hätte dem Amtsgericht im Rahmen des Amtermittlungsgrundsatzes oblegen (vgl. oben).

Die Anordnung der Kostenerstattung kann auch nicht auf § 13a Abs.1 S. 1 FGG gestützt werden. § 16 FEVG verdrängt die Vorschrift des § 13a FGG als lex specialis. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, käme eine Kostenerstattung nicht in Betracht. Es ist nämlich ersichtlich kein Gebot der Billigkeit, die Verwaltungskörperschaft der Ausländerbehörde mit Kosten zu belasten, wenn das gerichtliche Verfahren zu keinen eindeutigen Feststellungen hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen der Haft geführt hat und dies nicht auf einem Fehlverhalten der Behörde beruht (OLG Hamm, aaO). Dies gilt hier umso mehr, als die Betroffene bis jetzt nicht erklärt hat, aus welchem Grunde sie den Untersuchungstermin nicht wahrgenommen hat.